Klaus Hurrelmann, ein Soziologe der Bielefelder Schule, zählt zu den Kollateralopfern von Corona. Im März erschien sein Buch „Generation Greta. Was sie denkt, wie sie fühlt und warum das Klima nur der Anfang ist“, das er zusammen mit dem Journalisten Erik Albrecht verfasst hatte. Im März begann auch die große Transformation der Klimajugend-Bewegung ins Home Office. Ihren Klimastreiktag kurz vor den bayerischen Kommunalwahlen, der eigentlich am 13. März stattfinden sollte, sagte die Organisatoren wegen der Covid-19-Krise ab.
Und seit der bundesweiten Schulschließung lässt sich der letzte Unterrichtstag der Woche nicht mehr für die Freizeitprotestaktivität nutzen.
Der Evangelischen Nachrichtenagentur idea sagte Hurrelmann, in den nächsten Wochen müsse sich zeigen, ob FFF die Corona-Krise überstehe. Das werde der Fall sein, wenn es den Anführerinnen gelinge, „die Klimakrise und die gegenwärtige Gesundheitskrise“ irgendwie zu verbinden: „In beiden Fällen handelt es sich um eine existenzbedrohende, unsichtbare Gefahr.“
Diejenigen, die in der Lombardei, in Spanien und anderswo an den Beatmungsgeräten hängen, würden möglicherweise aus ihrer ganz subjektiven Perspektive nicht von einer unsichtbaren Gefahr sprechen. Auch nicht die italienischen Soldaten, die Särge auf LKWs verladen.
Hurrelmanns Anregung zur Corona-Klima-Verbindungsherstellung blieb offenbar nicht folgenlos. Der Mitteldeutsche Rundfunk setzte sie sofort in praktisches Kinder- und Jugendfernsehen um, und zwar im Wetterbericht für Kinder am 28. März. Der zu behandelnde Stoff steht praktischerweise schon auf einer animierten Schultafel: „Was haben das Corona-Virus und CO2 gemeinsam?“
Beide fangen mit C an und gehören zur Natur – das wäre die erschöpfende Antwort.
Aber nicht für Moderatorin Michaela Koschak:
„Von Corona wird man ziemlich krank. Aber auch von CO2 wird man krank, nämlich unsere Atmosphäre, die wird zunehmend wärmer, und damit gibt es zunehmend Unwetter auf der Erde, und das ist auch nicht allzu gut.“
Nun wird man von dem SARS-CoV-2-Virus nicht nur ziemlich krank, sehr viele, vor allem in Italien und Spanien, sterben daran. Darauf, dass die simple Kausalität: mehr Kohlendioxid gleich mehr Unwetter so nicht existiert, hatte selbst schon das IPCC mehrfach hingewiesen. Nach der Statistik der Munich RE, eines der weltweit größten Rückversicherungsunternehmen, ging die Zahl der Toten durch Naturkatastrophen 2019 im Vergleich zum Vorjahr sogar ziemlich deutlich zurück. Aber Unwetter, „das ist auch nicht allzu gut“ – dem wird niemand so richtig widersprechen wollen. Jedenfalls ist es weniger gut als schönes Wetter.
Nach dem Dreisatz „CO2 macht auch krank, weil es mehr Unwetter macht, und das ist auch nicht allzu gut“ – genau so, wie eben eine Pandemie nicht allzu gut ist – geht es beim mdr-Kinderwetterdienst weiter mit der Engführung zwischen Virus und Molekül. Erst einmal: Wo kommt das nicht allzu gute Kohlendioxid eigentlich her? „CO2 wird in die Atmosphäre gepustet, dadurch, dass wir ganz viel heizen, Auto fahren oder in den Urlaub fliegen“, erklärt die ARD-Frau. Es gäbe noch ein paar Details, nämlich, dass 96 Prozent des CO2, das in die Atmosphäre gelangt, nicht aus menschengemachten, sondern natürlichen Quellen stammt, und jedenfalls die Deutschen mit Heizen, Autofahren und anderen Aktivitäten 2,3 Prozent dieses menschengemachten Anteils im globalen Maßstab verursachen. Ganz abgesehen davon, dass es ohne CO2 kein Leben auf der Erde gäbe, was sich vom Corona-Virus nicht behaupten lässt. Das würden auch Kinder ganz gut verstehen. Es passt nur nicht in die schwarze Pädagogik zu grünen Zwecken. Die Wetterfrau vom mdr weiß aber noch mehr Gemeinsamkeiten: Beide, Virus und CO2, sind „winzig klein und mit dem bloßen Auge nicht zu sehen“, weshalb wir wissen, wo die Gefahr ist. „Wenn beide nach faulen Eiern riechen würden, dann könnten wir viel mehr tun“. Ernsthaft, wenn das SARS-CoV-2-Virus nach Schwefelwasserstoff stinken würde, wäre es leichter zu bekämpfen? Mit Eau de Cologne? Wo sich das Virus aufhält – nämlich erst im Rachen und dann auch in der Lunge der Erkrankten – wissen die Ärzte auch ohne Geruchsmarkierung. Bisher fehlt das, was die Ärzte eine ‚kausale Therapie’ nennen, also ein Medikament, das den Virus zerstört. Die Erfinderin der olfaktorischen Virusortung wiederholt ihren Unfug trotzdem ungerührt: könnte man Corona-Viren sehen und vor allem riechen, „dann wäre es leichter zu beheben“.
Am Ende ihres Kurzvortrags schlägt Michaela Koschak noch den Bogen zu dem gewissen Nutzen von Kohlendioxid: es sei „nicht nur schlecht“, im Gegenteil, sogar nötig für das Leben von Pflanze, Tier und Mensch. „Aber wir machen viel zu viel CO2 in die Atmosphäre.“ Hinter der mdr-Erklärfrau tauchen an dieser Stelle Kraftwerkskühltürme auf, die, wie es ihrem Zweck entspricht, kein Kohlendioxid in den Himmel schicken, sondern Wasserdampf.
Jedenfalls, und hier kommt der mdr zum eigentlichen Lernziel, drosselt die Corona-Pandemie ja gerade Wirtschaft und öffentliches Leben, und damit den CO2-Ausstoß: „Im Moment verbrauchen wir ja nicht allzu viel, weil wir nicht so viel rausgehen, CO2. Ich hoffe, das hält danach noch ’ne Weile an. Da tun wir was Gutes für unser Klima.“
Sagte sie ernsthaft: verbrauchen? Aber darauf kommt es ja auch nicht mehr an in der Lektion über das leider geruchlose Virus und das CO2, das auch so krank macht.
Entscheidend ist ihre Schlussfolgerung, die sie den Kindern serviert, nämlich, dass der Wirtschaftsstillstand einen dauerhaft erstrebenswerten Zustand darstellt, weil er wegen der Kohlendioxidreduzierung dem Klima gut tut. Auch dann, wenn unser zu einem Wesen gemachtes Klima selbst dann kaum etwas merken würde, wenn Deutschland, siehe oben, seine Industrieproduktion ganz einstellen würde.
Vielleicht kann der eine oder andere kleine Zuschauer die Hoffnung des mdr auf einen möglichst langen Stopp von Wirtschaft und Handel mit seinen Eltern diskutieren, gerade dann, wenn einer oder beide gerade in Kurzarbeit geschickt wurden, als Selbständige ihr Einkommen verlieren oder als Unternehmer ihre Firma.
Und ganz besonders, wenn die Großen in Berlin leben, der Stadt, deren Regierung zwar über 25 Staatssekretäre verfügt, aber nicht über die Kompetenz, Corona-Soforthilfen einigermaßen pannenfrei zu verteilen. Die Quarantäne lässt den Familien ja viel Zeit zum Diskutieren.
In der Engführung von Virus und Klima steht der mdr nicht allein. Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung mahnt, die Viruskrise nicht ungenutzt vorbeiziehen zu lassen:
„Das, was wir derzeit beim Umgang mit dem #Coronavirus lernen, gilt auch beim #Klimaschutz. Wir müssen heute handeln, um die Katastrophen von morgen zu verhindern. Beim Wiederanfahren nach der Pandemie sollten wir klimaschonende Technologien fördern.“
Der Lernerfolg bei der Bekämpfung der Covid-19-Pandemie besteht vor allem darin, die Wirkung des Virus zu begreifen und medizinische Gegenmittel zu finden, was wiederum nicht ohne Industrie gehen dürfte. Wie das auf den #Klimaschutz zu übertragen wäre, darüber teilt Kemfert nichts mit. Auch nicht, was sie sich zu klimaschonenden Technologien vorstellt, die dann eine große Rolle spielen sollen, wenn VW und tausende mittelständische Firmen ihre volle Produktion wieder aufnehmen, im April, Mai oder später. Nach Schätzungen des Deutschen Industrie- und Handelstages sind zehn Prozent der mittleren Unternehmen von der Insolvenz durch Corona bedroht. Sie werden also beim Hochfahren der Wirtschaft nicht mehr dabei sein und damit das Klima entlasten. In den USA, wo die Zahl der Arbeitslosen innerhalb kurzer Zeit um drei Millionen nach oben schnellte, halten Ökonomen eine Depression für möglich.
Claudia Kemfert liefert für alle Medien, die das wünschen, seit fast zehn Jahren die passen Zitate zum Erfolg der Energiewende und konkurrenzlos günstigen erneuerbaren Energien. Im Jahr 2011 sagte sie voraus, die Umlage für erneuerbare Energien werde bis 2020 kaum steigen: „Obwohl sich die Erzeugung aus erneuerbaren Energien bis 2020 mehr als verdoppelt, wird die EEG-Umlage als Bestandteil des Verbraucherpreises dann real mit 3,64 Cent nur wenig höher sein als gegenwärtig.“ Heute liegt die EEG-Umlage bei 6,756 Cent pro Kilowattstunde, der Strom kostet in Deutschland so viel wie nirgends sonst in Europa. Im Jahr 2008 hielt Kemfert einen Ölpreis von 200 Dollar pro Fass für „wahrscheinlich“, den es dann nie gab.
Für Luisa Neubauer gehört es seit einigen Wochen zum Kerngeschäft, Corona und Klima irgendwie miteinander zu reimen:
Was ihre Anhänger gut finden:
Die etwas radikalere Schwesterbewegung von FFF, Extinction Rebellion, drückt das schnörkellos aus, indem sie die Bekämpfung der Corona-Pandemie nicht nur für überflüssig erklärt, sondern für klimaschädlich:
Am 24. April soll nach den Vorstellungen von Fridays for Future auf jeden Fall das Demonstrationsgeschäft wieder hochgefahren werden. Für den Tag plant das Organisationsteam eine Demonstration in Frankfurt zum Thema „Klima und Finanzsektor“ mit sechs Marschkolonnen.
Um ein möglichst vollständiges Bild von der Wohlstandsgesellschaft zu bekommen, die sich auch in der Viruskrise noch für sehr reich hält – jedenfalls tut das der progressive Teil der Bevölkerung – lohnt es sich, Mentalitätsstudien zu betreiben. Denn Ansichten wie die von Johannes Heinen, Student und alternativer Finanzökonom des linken SPD-Flügels sind nicht selten, zumindest unter jungen urbanen Menschen, die noch nie eine Krise erlebt haben, geschweige denn einen tiefen gesellschaftlichen Umbruch.
Der Glaube daran, dass uns das Geld nie ausgehen wird, dass Wohlstand durch Sprechakte entsteht und Finanzkraft durch Abschöpfung derjenigen, die auch nach der Krise noch etwas übrig haben, diese Überzeugung bildet dort den allerersten Glaubenssatz, aus dem sich alles weitere ergibt.
Auch ZEIT-Journalisten gehen offenbar davon aus, nach der Krise nicht schlechter dazustehen.
Die Viruskrise zeigt unter anderem auch, wo die feine Klassengrenze im Land verläuft. Auf der einen Seite stehen zurzeit Hunderttausende, die zwar nicht wissen, wie viel Einkommen und Vermögen sie verlieren werden, aber realistischerweise damit rechnen, dass es sie hart trifft. Im Westen leben etwa 13,5 der Beschäftigten von weniger als 2000 Euro brutto bei Vollzeitarbeit, im Osten 27,5 Prozent. Das Kurzarbeitergeld beträgt wiederum 60 Prozent des Gehalts. In einem Land mit der zweithöchsten Steuerbelastung Europas und, siehe oben, dem teuersten Strom bleibt da sehr, sehr wenig Spielraum. Auch viele von denen, die mehr besitzen, beispielsweise eine Firma, für die sie mit ihrem Vermögen haften, werden sich nach der Krise in anderen wirtschaftlichen Verhältnissen zurechtfinden müssen. In diesen Kreisen wird man von Tag zu Tag auf die Verlautbarungen hören, wann der Lockdown endet und die Klimaschädlingswirtschaft endlich wieder hochfährt. Dort wird man über jedes verkaufte Auto froh sein und über jedes in einem Restaurant verzehrte Steak.
Auf der anderen Seite finden sich Sozialwissenschaftler wie Hurrelmann, Angestellte steuerfinanzierter Institutionen wie Claudia Kemfert, Gebührenfunker und reiche Kinder wie Luisa Neubauer, deren Cashflow durch die Krise nicht abreißt, und die fest davon ausgehen, dass sich für sie auch anschließend nichts ändert.
Darin liegt überhaupt ein Paradox, das den Paradoxen gar nicht auffällt: sie fordern, dass wir alle nach der Corona-Krise auf keinen Fall so weitermachen dürfen, rechnen aber fest damit, dass für sie selbst finanziell und aufmerksamkeitsökonomisch alles beim Alten bleibt.
Da täuschen sie sich möglicherweise.