Bei Unternehmern ebenso wie bei Arbeitnehmern geht die Angst um. Die Angst, die Corona-Krise nicht zu überstehen – trotz des gigantischen Hilfspakets, das die Bundesregierung im parlamentarischen Hauruckverfahren beschlossen hat. Die entscheidende Frage für den Großteil der Unternehmen in Deutschland ist, ob die vom Staat in Aussicht gestellten Überlebenshilfen, die Kredite der staatlichen Bank KfW, rechtzeitig und in ausreichendem Maß bei ihnen ankommen, um die Umsatzausfälle, die ihnen durch den staatlich verordneten Lockdown des öffentlichen Lebens entstehen, halbwegs auszugleichen. Leider gibt es Gründe, pessimistisch zu sein.
Wenn die KfW-Mittel nicht, oder zumindest nicht rechtzeitig oder nicht in ausreichender Höhe, ankommen, dann droht Deutschland ein „Tsunami an Firmenpleiten“, wie es der Geschäftsführer eines mittelständischen Unternehmens formuliert, der anonym bleiben muss, und selbst über Berufserfahrung in der Finanzindustrie verfügt. „Auf was wir zusteuern, ist ein Abgrund“, sagt er. Denn wenn die Bedingungen der KfW-Hilfen nicht nachgebessert werden, sei für sehr viele kleine Unternehmen der Zusammenbruch fast unausweichlich.
Aber die deutsche Wirtschaft besteht bekanntlich nicht aus den großen Namen. Die Dax-30-Unternehmen bestimmen zwar die Überschriften und kriegen die größte Aufmerksamkeit, aber die Basis der deutschen Wirtschaft besteht aus kleinen und mittleren Unternehmen. Nur etwa 12.000 von rund 3,5 Millionen Unternehmen in Deutschland haben mehr als 250 Erwerbstätige. Es gibt rund 300.000 Unternehmen mit 10-49 Mitarbeitern. Und der riesige Rest der Kleinunternehmen hat weniger als 10 Mitarbeiter. Die Kleinunternehmen und kleinen Mittelständler sind die wichtigsten Arbeitgeber und die bedeutendsten Ausbilder.
Es kommt jetzt darauf an, ob das Geld der KfW bei diesen Hunderttausenden Unternehmen rechtzeitig ankommt. Das ist aus folgenden Gründen leider fraglich:
-Fehlendes Personal bei den Kreditinstituten:
Normalerweise dauert eine Kreditbeantragung etwa vier bis sechs Wochen. Aber derzeit funktionieren eben auch die Banken nicht normal. Die Anzahl der Kreditanträge ist zigfach, vielleicht hundertfach so hoch wie sonst – aber ein Großteil der dafür zuständigen Bankangestellten ist, wie in anderen Branchen auch, coronabedingt nicht bei der Arbeit. Diejenigen, die da sind, haben also schon mit den bisherigen Vorkrisenkrediten eigentlich genug zu tun. Die jetzige Antragsflut können sie also nicht schnell abarbeiten. Natürlich werden sie daher mit Priorität die großen Fälle bearbeiten. Also drohen die kleinen Unternehmen, die aber meist am dringendsten Geld brauchen, am unteren Ende des Stapels zu landen. Bis der Bearbeiter dort anlangt, ist es für sie vielleicht schon zu spät.
-Erhöhtes Prozessrisiko der Banken durch veränderte Vergabepraxis:
-Kaum erfüllbare KfW-Bedingungen:
Die KfW vergibt mit diesem Sonderprogramm keine Geschenke, sondern es geht um Bankkredite. Und diese dürfen eigentlich keine Verluste finanzieren. Die KfW-Kredite setzen also voraus, dass die Unternehmen zum Kapitaldienst fähig sind. Die Banken sollen also prüfen und sicherstellen, dass die Darlehen über die Laufzeit zurückgezahlt werden können. Andererseits sollen aber die Darlehen von den Unternehmen bewusst zur Finanzierung ihrer Verluste durch den Shutdwon eingesetzt werden. Die KfW verlangt außerdem als Bedingung: „Es besteht für das Unternehmen unter der Annahme einer sich normalisierenden wirtschaftlichen Gesamtsituation eine positive Fortführungsprognose.“ Aber kein Wirtschaftsprüfer kann eine solche Prognose im Moment erstellen. Ein Wirtschaftsprüfer geht nach Handbuch vor und kann keine Ausnahme in der Krise machen. Man verlangt von den Unternehmen Pläne für die nahe Zukunft. Aber sie wissen noch nicht einmal, wann die staatlichen Maßnahmen etwa für den Einzelhandel wieder aufgehoben werden. Die Behörden wissen es ja selbst noch nicht.
Die Kredite sollen darüber hinaus gemäß des Merkblattes der KfW banküblich besichert werden. Die Unternehmen müssen also alles, was sie an Sicherheiten haben, bei Ausfall hergeben. Wenn das nicht reicht, müssen die Gesellschafter, falls das im Kreditvertrag vereinbart ist, eine Sicherheitenverstärkung durchführen, werden also selbst in die Haftung genommen. Das ist fragwürdig: Für Schäden, die aufgrund von staatlichen Maßnahmen entstanden sind, sollen also die Unternehmen und ihre Besitzer in Vorleistung gehen – nicht der Staat. Der Staat springt erst ein, wenn alle stillen Reserven verbraucht und die Gesellschafter in Anspruch genommen wurden. Und wenn ein Unternehmen keine Sicherheiten anbieten kann oder die Sicherheiten anderweitig verbraucht sind, ist es raus aus dem Spiel und bekommt keine Kredite.
„Den durchleitenden Finanzierungspartnern (Banken und Sparkassen) wird auf Wunsch eine Haftungsfreistellung von 80 % beziehungsweise für kleine und mittlere Unternehmen von 90 % gewährt“, schreibt die KfW. Das klingt großzügig. Aber das Unternehmen haftet zuerst.
Der Staat verursacht in der Absicht, die Gesundheit der Bürger zu bewahren, Schäden. Die gleicht er nicht aus, sondern stellt Kredite zur Verfügung. Diese Kredite müssen zurückgezahlt werden und diese werden vorrangig besichert durch das Unternehmen und die Unternehmer. Das heißt: Die Unternehmer tragen das Risiko (und seine Beschäftigten natürlich auch). Die Unternehmer verlieren alles, wenn es nicht gut ausgeht. Sie haben es aber nicht in der Hand, ob es gut ausgeht. Sie haben die Schließung ihrer Geschäfte nicht veranlasst, sie können die Schließungen nicht beenden.
Viele Unternehmer zögern darum, so hört man, auch mit der Beantragung von KfW-Krediten, weil es quasi ein all-in-deal ist. Das Unternehmen setzt sich zu anderen ins staatliche Boot und sitzt nicht am Steuer. Es ist für jeden Unternehmer klar, dass er für eigene Entscheidungen die Verantwortung übernimmt. Aber für Entscheidungen des Staates?
– Mangelnde Attraktivität für die Banken:
– Beihilferichtlinie von 2014 als Hemmschuh:
Die Beihilferichtlinie der Europäischen Union von 2014 gilt nach wie vor – und versperrt vielen deutschen Unternehmen den Weg. Denn nach der Richtlinie sind alle Unternehmen, die per 31.12.2019 bereits ihr Stammkapital um die Hälfte aufgezehrt hatten, komplett von jeder Beihilfe ausgeschlossen. Der Begriff des Stammkapitals wird dabei formell betrachtet, Gesellschafterdarlehen oder stille Reserven bleiben außen vor. Gerade aufgrund der traditionellen deutschen Rechnungslegungsvorschrift HGB, die von deutschen kleinen und mittleren Unternehmen viel häufiger verwendet wird als von kapitalmarktorientierten Großunternehmen, ist das so ausgewiesene Eigenkapital niedrig. Anders in den südeuropäischen Ländern: Hier wird überwiegend nach Fair Asset Value bewertet, so dass das Eigenkapital formal höher erscheint.
Das könnte und müsste man ändern, um zusätzliche Pleiten zu verhindern. Dafür gäbe es zwei Wege: Entweder man hilft allen, die nicht bereits per 31.12.2019 insolvenzreif waren und setzt die Beihilferichtlinie für die Dauer der Krise aus. Dann würde es sicherlich Trittbrettfahrer geben, also schlechte Geschäftsmodelle, die mitgerettet würden. Das wäre aber wohl besser, als sehr viele sterben zu lassen, nur weil man nicht die falschen erhalten will. Ein anderer Weg wäre eine alternative Definition des „Unternehmens in Schwierigkeiten“, die nicht auf das Stammkapital alleine zielt.
Die Lage ist schon jetzt für viele kleinere und mittlere Unternehmen existentiell gefährlich, vor allem im Bereich Konsumgüter und Handel. Der Handel beschäftigt rund drei Millionen Menschen in Deutschland. Und gerade diese Jobs, sind oft die einzigen, die außerhalb der wirtschaftsstarken Ballungszentren für Teilzeitkräfte (insbesondere für Frauen, die nur Teilzeit arbeiten können) und ältere und nicht mobile Menschen überhaupt noch in Frage kommen. Wenn diese Jobs verloren gehen, trifft es also die gering oder nur mittelmäßig Qualifizierten, die vermutlich keine Alternativen haben. Gerade diese Jobs in Einzelhandelsgeschäften sind jetzt in der Corona-Krise – abgesehen vom Lebensmittelhandel und Apotheken – akut gefährdet.
Aber der Handel dürfte nur die erste Branche sein, die es komplett erwischt, falls das Hilfsprogramm nicht nachgebessert wird, so dass es die Unternehmen retten kann. Die Krise wird sich, wenn der Einzelhandel stirbt, in konzentrischen Kreisen auch durch alle anderen Bereiche der Wirtschaft, zumindest der kleinen und mittelständischen Unternehmen fressen. Viele Unternehmen haben wohl nur noch wenige Wochen zum Überleben.