Der VW-Konzern fordert die globale Automobilindustrie heraus. Die Produktionsschlacht könnten andere Europäer verlieren.
Die Granden der Autoindustrie gehen gern freundlich miteinander um: Man besucht sich auf den Automobilmessen in Genf oder Detroit; sitzt im Neuwagen des Erzkonkurrenten mal Probe und lobt ein bisschen, wenn auch nicht sehr. Seit Kurzem ist das anders: Fiat-Chef Sergio Marchionne beschimpft VW-Chef Martin Winterkorn, der richte mit einer Rabattschlacht „ein Blutbad“ an. Milliarden von EU und der französischen Regierung erbettelten Renault und Peugeot. Selbst ein Bündnis mit Fiat und Opel wird diskutiert – alles Abwehrmaßnahmen gegen „Das Auto“. Etwas überheblich klingt es ja, wenn der VW-Konzern mit diesem Slogan wirbt, als ob andere allenfalls Seifenkisten herstellen könnten, aber eben kein „Auto“.
Hinter dem Total-Anspruch „Das Auto“ stehen ein paar Techniker-Kürzel; VSC für „Vorseriencenter“ und MQB für „Modularer Querbaukasten“. Während Kunden sich über den neuesten Knick im Blech freuen oder über Kaffeetassenhalter ohne Aufpreis, setzt VW auf total neue Produktionsmethoden. Während die Konkurrenten unterausgelastete Werke schließen, baut VW mit Milliardenaufwand seine weltweit 99 Werke um, standardisiert die gewachsenen Fabriken, drillt die Proletarierer aller Länder auf Wolfsburg-Norm und entwickelt einen Baukasten, aus dem bald Autos der zwölf Konzernmarken, aller Klassen und Modelle zusammengesteckt werden, auf dass sie kunterbunt und überall weltweit von den Bändern rollen – zum billigen Preis. Global standardisierte Produktionsstraßen variieren immer wieder neue Kombinationen aus den standardisierten Großserienteilen zu neuen Varianten – das ist die Philosophie der effizienzgetriebenen Baukastenfanatiker unter Clanchef Ferdinand Piëch und seinem kongenialen ersten Mitarbeiter Martin Winterkorn.
Unterschiedlichste Modelle zum Kampfpreis und gleichzeitig 1500 Euro Einsparung je Fahrzeug – damit sollen dann die VW-Verkäufer für die Rabattschlacht munitioniert werden. Unser Report ab Seite 44 beschreibt diese Strategie, die ebenso wagemutig wie an der Grenze zu Allmachtsfantasien ist, so scheinbar simpel wie raffiniert ausgetüftelt – und ein Risiko gesamtgesellschaftlicher Dimension in sich birgt. Denn noch weit vor Chemie und Maschinenbau ist die Automobilproduktion der führende teutonische Industriesektor, an dem fast alles hängt. Die VW-Strategie wirkt weit über den Konzern hinaus, erfasst auch den breiten Gürtel der Zulieferindustrie.
Es ist eine globale Strategie. Der Gegenspieler Toyota dominierte jahrzehntelang als Effizienzweltmeister mit Lean Production und Kaizen. Toyota setzt jetzt gegen VW auf globale Einheitsautos und verfeinerte Hypereffizienzfabriken, jede für sich ein Schmankerlbuffet für Kostenfresser. In Europa ist das Feld buntscheckig. Franzosen und Italienern fehlt die Investitionskraft. BMW erweitert sein bereits anständig effizientes Baukastensystem in seinem hochflexiblen bayrischen Produktionsdreieck. Daimler leidet unter seiner Modellvielfalt und geringen Stückzahlen, die die Mutter des Autos nicht mehr partnerschaftsfähig macht – Klein-Klein lohnt für „Das Auto“ nicht. Alle zusammen fürchten die Konkurrenz aus dem noch ferneren Osten. In China, den Asean-Staaten und Indien wachsen Konkurrenten heran, die von Technikfreaks belächelt, auf Europas Straßen nicht fahren und daher nicht wahrgenommen werden. Aber von einer Fahrzeuggeneration zur nächsten entstehen bessere – in immer noch gigantischeren Stückzahlen. Europas Allerweltsautos kommen unter Druck: von unten durch die nach oben strebenden Asiaten, von oben durch die früher puren Premiumhersteller aus Deutschland, die ihre Stückzahlen und Einkaufsmacht durch kleinere Modelle in die Höhe treiben.
Und damit wird die Automobilindustrie wieder zur Schicksalsindustrie. Diesmal entscheiden nicht das gebogene Blech und raffinierteste Motorenfeinheiten für Käufer, die Benzin im Blut haben und den Geschwindigkeitsrausch erfahren wollen. Es ist die riesige Einheitsmaschine eines global verbundenen Fließbands, die über Erfolg oder Misserfolg entscheidet.
(Erschienen auf Wiwo.de am 03.11.2012)