Tichys Einblick
"Der Corona-Ausnahmezustand"

Bei Anne Will: Peter Altmaier und das doppelte Staatsversagen

Entgegen aller Beteuerungen: Es wurden immer noch nicht genügend Schutzmasken und Schutzkleidung besorgt. Nun hapert es auch an den versprochenen Geldern.

Screenprint: ARD/Anne Will

Es ist schwer, dieses Bild vom wohlgenährten Mönchlein und seinen wohlfeilen Worten an verarmte, hungernde Bauern loszuwerden, wenn man Peter Altmaier zum Thema Corona reden hört. „Einiges“ sei gemacht worden, „aber einiges, leider Gottes …“, „Wenn man was schnell macht, übersieht man auch mal was“, oder „Jens Spahn und Annegret Kramp-Karrenbauer arbeiten rund um die Uhr“. Fromme Sprüche am laufenden Band, leider mit wenig Sinn und wenig Bestand.

Diesmal war es Susanne Johna, Oberärztin in Rüdesheim und Vorsitzende des Marburger Bundes, vorbehalten darauf hinzuweisen, dass auch nach vielen Wochen Rund-um-die-Uhr-Arbeit von Spahn und AKK (und bestimmt auch Altmaier) immer noch nicht die Grundversorgung mit Schutzmasken und –kleidung sichergestellt ist. Ja, erklärte der Bundeswirtschaftsminister, das „dauert ein paar Tage“, bis von T-Shirts auf Mundschutz umgestellt werden könne, außerdem sei Mundschutz in China im Preis von wenigen Cents auf einige Dollar angestiegen, wunderte sich Altmaier, das sei wohl dem Markt geschuldet. Aber, so eine ausgleichende frohe Botschaft, „Schnapsbrennereien und auch Beiersdorf“ würden jetzt im Desinfektionsbereich helfen.

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Ganz sicher wollten die Zuseher wohl eher wissen, wie lange noch die Räder still stehen müssen im Land. Ob man darüber schon nachdenken dürfe, fragte die Diplomjournalistin Anne Will (weil das Nachdenken hierzulande wohl einer Genehmigung bedarf?). Hier folgte Altmaiers erster (und wohl auch einziger) vernünftiger Satz: „Ende der Woche wissen wir mehr“ – was im Zweifel immer stimmt.

Der Hamburger OB Peter Tschentscher, der zwar in der SPD, aber immerhin auch Arzt ist, befand, dass sich wohl alle einig sind, dass die Wirkung der Maßnahmen jetzt noch nicht messbar ist, und plädierte dafür, mit Ruhe und Vernunft die Dinge abzuwarten.

Clemens Fuest, Präsident des ifo Instituts, ist auf jeden Fall fürs Nachdenken – jetzt und jederzeit. Eine Woche Shutdown koste immerhin 40 Mrd. Euro, da wäre es sinnvoll „auf Dauer“ Strategien für Gesundheit und Wirtschaft zu finden. Als er dann dahinschlenzte, der Lockdown könne bis Mitte Mai oder länger dauern, dachten wir, es wäre eine gute Idee, die Fieberdaten der Diskussionsteilnehmer aktuell einzublenden.

Frau Dr. Johna blieb bei ihrer Forderung, erst einmal das Schutzmaterial zu besorgen. Der zugeschaltete Corona-Joker – diesmal Gérard Krause, Abteilungsleiter Epidemiologie am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung, Braunschweig – schrieb zunächst all den von ständigen Zahlenveröffentlichungen inspirierten Hobby-Epidemiologen ins Stammbuch, dass „die Verdopplung der Fallzahlen egal“ ist. Entscheidend für alle Maßnahmen sei ausschließlich die Beantwortung der Frage: Wie stark ist das Gesundheitssystem? Ho capito.

Coronavirus in China: Gefährliche Propaganda
Auch bei all den virulierenden Testgeschichten brachte der Experte Klarheit: „Test 1 weist eine Infektion nach“ – von den Tests haben wir nicht genug. „Test 2 weist Antikörper nach“, damit wüssten wir, wer bereits immun gegen das Virus ist, der könnte dann sogar ohne Schutz etwa im Pflegebereich arbeiten. Den Test haben wir noch nicht. Auf die Frage „Wie lange muss ich noch zuhause bleiben, Herr Doktor?“ hatte der zwar keine eindeutige Antwort, aber doch mehr Perspektiven im Angebot als Merkels Minister: Es sei besser, „sachte zu lockern, und dann regional intensiver zu reagieren“, als auf Dauer das ganze Land einzuschränken.

Wirtschaftsdoktor Fuest erkannte dann die Raucher als weitere Risikogruppe, weshalb Nikotinpflaster gratis seien sollten, und er erklärte, dass die Masken ja aus China kämen und der Welthandel in einer Krise halt nicht funktioniere. Grundsätzlich befand er, dass „schlechte Masken besser als keine seien“ und die Ärzte und Krankenhäuser sich doch auch selber um Nachschub kümmern sollten. Hatten wir schon erwähnt, dass wir eine eingeblendete Fiebertemperatur der Teilnehmer bei Anne Will ganz sinnvoll fänden?

Die Ärztin erkannte denn auch, dass das Quatsch war, was Fuest sagte, mit den schlechten Masken ebenso, wie dass überlastete Hausärzte jetzt auch noch in die Beschaffung einsteigen sollten. Sie kenne Kollegen, die sich ihre Masken mittels 3-D-Drucker selber herstellten, und fragte, warum nicht Textilunternehmen die Lieferlücke schließen können? Da konnte Altmaier erklären, dass die EU-Wirtschaft eine verflochtene sei, und mit China sei es noch verflochtener.

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Hofberichterstattung trifft Service-Journalismus
Nach 50 Minuten, einer gefühlten Ewigkeit, war endlich der zweite Teil des Staatsversagens dran: die Hilfsgelder. Die versprochenen Kredite fließen nicht, weil die KfW nur 90% eines Corona-Kredits besichert, die fehlenden 10 % lösen eine monatelange Prüfbürokratie der Banken aus. Nun, so Peter, die 90% seien von der EU-Kommission genehmigt, aber „lassen sie mich das in aller Deutlichkeit sagen, wir sind unzufrieden …“ „Die Idee ist doch, dass man die Coronakrise überleben kann!“ Da fällt uns ein, dass wir den schönen Satz von Polit-Doktor Tschetschner noch nicht erwähnt hatten, man solle sich in einer Krise „nicht auf das Bauchgefühl von Politikern verlassen“ – der Satz sei hiermit nachgereicht.

Fuest erwähnte nebenbei, dass 100% in der Schweiz Usus seien, aber die Schweiz gehört ja auch nicht zur EU. Dann ist ja auch in der Wirtschaft ein Befund nicht minder kompliziert wie in der Medizin. Was ist mit einem hoch verschuldeten Unternehmen? Da findet Fuest eine Insolvenz besser. Und wenn sich der Staat beteilige, bezweifelte Fuest, dass er sich kaputt arbeiten würde, wenn der halbe Laden dem Staat gehöre.

So stehen wir wieder am Anfang unserer kleinen Geschichte. Tschetschner hatte noch das Sprachbild vom Luftanhalten, das gut in unsere derzeitige Situation passt: Die ersten zehn Sekunden sind leicht, aber die zweiten …

Nur Peter Altmaier konnte der Situation etwas Positives abgewinnen: So, wie Regierung und Opposition zusammengearbeitet hätten (und die kritiklose Regierungspresse natürlich auch, gelle Pater Peter), „möchte ich das auch in Zukunft so haben“ in Angela Merkels Königreich der Himmel. Amen.

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