Tichys Einblick
Poker

Die Karten, mit denen wir spielen sollen

Syrischer Flüchtling prügelt Deutschen, der stirbt, Syrer wird zu zwei Jahren »zur Bewährung« verurteilt, sprich: bleibt frei. – Ein Deutscher sagt Böses im Internet … und muss in den Knast. – Auch das ist Deutschland 2020.

Im Schach beginnen beide Spieler mit den gleichen Spielfiguren, doch was ab da passiert, das hängt zuerst und zuletzt mit den Entscheidungen der Spieler zusammen.

Das Leben ist nicht wie Schach. Das Leben ist auch nicht wie eines jener Würfelspiele, wo es in Wahrheit ganz egal ist, was man tut, weil der Zufall alles für einen entscheidet.

Das Leben ist wie Poker – Poker mit richtigem Geld als Einsatz, wohlgemerkt, nicht mit diesen Plastik-Spielchips, für die man nicht zahlte, die einem nicht wirklich weh tun, wenn man sie verzockt.

Ach, was soll der Geiz! Krempeln wir unsere Hemdsärmel hoch und greifen wir bis zum Ellenbogen tief in den Farbtopf der extrabunten Metaphern: Der Einsatz im Lebenspoker ist das Leben selbst – und dieser Einsatz ist nicht bei allen gleich, nein, aber doch ähnlich!

Beim Poker erhält zu Beginn der Runde jeder Spieler andere Karten. Im Poker schließt du Wetten ab, und du wettest darauf, was deine Karten wert sind, was sie mit den weiteren Karten gemeinsam noch wert sein werden – und was sie wert sein werden im Vergleich zu den Karten der anderen. Deine Informationen im Pokerspiel wie auch im Leben sind weit davon entfernt, vollständig zu sein, und doch musst du aufgrund ihrer bestmöglich handeln, in die Unsicherheit hinein.

Wie hoch sollte dieser Tage in Deutschland der Spieleinsatz sein? Was soll man wetten, worauf dürfen wir vertrauen? – Antworten wir hier doch, fürs Erste, wie es die Juristen tun: Es kommt drauf an!

Transubstantiation und Strafe

In der Eucharistie essen die braven Katholiken etwas, das nach allen Kriterien eine trockene Oblate ist, doch dank »Transubstantiation« soll das der Leib Jesu sein.

So ähnlich wie die Oblaten der Eucharistie ist auch die »Bewährungsstrafe« der deutschen Rechtsprechung: Der »zur Bewährung« »bestrafte« Täter geht frei aus dem Gericht und lebt sein Leben weiter, aber so wie die trockene Oblate magischerweise der Leib Jesu sein soll, so soll das grinsende Aus-dem-Gericht-Herausgehen des Täters in einer höheren Sphäre eine Bestrafung sein, und dass sie für fast alle nach Freiheit schmeckt (wenn sie auch nur fast ehrlich sind), und dass es niemandes Hunger nach Gerechtigkeit stillt, das liegt gewiss nur an unserem mangelnden Zugang zur magischen Ideenwelt der Juristerei.

2015, im Jahr als die Zerstörerin Angela M. der Welt ihr »freundliches Gesicht« zeigte, kam auch ein junger Mann namens Sabri H. nach Deutschland.

2017 geriet Sabri H. in Streit mit einem jungen Herrn namens Markus Hempel.

Es wurde geschubst, dann geschlagen, dann starb Markus, nach einem Faustschlag des jungen Herrn Sabri.

2020 wurde dann ein Urteil gesprochen – ich habe nicht »es wurde Recht gesprochen« gesagt.

»Ich war wütend, deshalb habe ich zugeschlagen«, so soll Sabri H. laut bild.de, 26.3.2020 seine Tat begründet haben.

Sabri H. kommt zur »Bewährung« frei. Markus bleibt tot, Sabri soll guter Dinge gewesen sein.

Nun mögen Juristen sagen, eine Bewährungsstrafe sei eben doch eine Strafe, und bei entsprechendem Umfang gelte man dann ja auch als vorbestraft, doch Fakt bleibt, dass das Opfer tot bleibt, der Täter aus dem Gericht spaziert.

Markus steht nichts mehr offen. Die Leere und Pein, durch die sein Vater geht, kann ich mir als Vater zwar vorstellen, will es aber nicht länger als für einen Augenblick tun. Der Vater ist 55 Jahre alt. Ich werde in einem Monat 46 Jahre alt sein. Ich weiß nicht, was in neun Jahren in meinem Leben der Fall sein wird, doch eine größere Angst als ein Kind zu verlieren, kennen Vater und Mutter nicht.

Für den Täter Sabri aber steht das Leben offen, und selbst vorbestraft kann man noch etwa Chef einer Bundestagspartei oder einer wirklich wichtigen Bank sein (wer weiß, der weiß).

Vor einem Jahr wurde übrigens in Bayern ein 42-jähriger Vater zu einem halben Jahr Haft verurteilt, weil er im Internet etwas Böses und Verbotenes sagte (rtl.de, 6.2.2020: »Gegen Flüchtlinge gehetzt: Vater (42) zu sechs Monaten Knast verurteilt«).

Wer was sagt

Ein syrischer Flüchtling verprügelt einen Menschen, der stirbt, doch der Schläger bleibt »zur Bewährung« frei. Ein Deutscher sagt Böses im Internet und muss ins Gefängnis. Auch das ist Deutschland heute.

Stellen wir uns einmal den umgekehrten Fall vor: Ein Deutscher schlägt einen Flüchtling tot – wie groß ist unser Vertrauen denn darin, dass die Wahrscheinlichkeit, ebenfalls frei aus dem Gericht zu gehen, gleich hoch wäre? Steht nicht jede Interaktion mit Ausländern gewisser Kulturkreise unter »Rassismus-Vorbehalt«?

Den anderen Fall, also den Fall dass ein Nicht-Deutscher groben Unfug von sich gibt und damit durchkommt, ist nicht einmal im Ansatz hypothetisch. In Berlin findet jährlich etwa der »Al Kuds«-Tag statt, wo antisemitische Parolen gebrüllt werden, mit Wissen von oben, anti-deutscher Rassismus durch Bürger mit Migrationshintergrund wird nicht nur toleriert, er findet auch innerhalb von mit Steuergeld geförderten Institutionen statt.

Es ist Deutschland 2020 und wir sollten die Karten, die uns von Runde zu Runde ausgehändigt werden, näher in Augenschein nehmen.

Brosamen am Kartentisch

Wenn im großen deutschen Pokerspiel die Karten verteilt werden, Jahr und Jahr, Runde um Runde, hat denn jeder Spieler die gleichen Chancen auf gute Karten?

In der Coronakrise werden wir den Eindruck nicht los, dass es in Deutschland mindestens drei »Klassen« von Menschen geben könnte. Ganz oben die Bonzen, die sich »zur Sicherheit« testen lassen können, ganz unten die Bürger, die das alles finanzieren sollen und dennoch nur die Brosamen staatlicher Hilfe aufsammeln dürfen.

Haben alle in Deutschland gleich hohe Chancen auf gute Karten? Jemand antwortet: »Wir haben nicht einmal den gleichen Einsatz auf dem Tisch liegen!« (Er meint wohl, dass mit seinem Leben auch immer das Leben seiner Familie mit auf dem Spiel steht.)

Der Schach-Großmeister Garry Kasparov sagt über Poker:

Das Spiel, das Diktatoren weit präziser definiert [als Schach], ist Poker, denn es dreht sich ums Bluffen. (Kasparov im Gespräch mit Bill Kristol, meine Übersetzung, siehe YouTube)

Was Kasparov sagt, mag für den Umgang von Politikern untereinander gelten, doch im Umgang mit dem Volk könnten wir-hier-unten fast das Gefühl bekommen, dass schon die erste Verteilung der Karten nicht immer ganz fair ist.

Nur die kleinen Karten

Es ist eine ganz besondere Situation, diese Quarantänezeit, und wir verbringen unsere Tage wie auch Nächte drinnen, daheim, und wir gucken Filme, spielen Spiele und manche tun manchmal noch-was-anderes. Der Pokerspieler Dutch Boyd sagte einmal, Poker sei wie jenes noch-was-andere, insofern jeder sich für den Allerbesten hält, in Wahrheit aber hat keiner wirklich eine Ahnung, was er da tut.

Karsten Hempel, Vater des Toten, wird zitiert: »Er hat meinen Sohn getötet, zugegeben, dass er aus Wut handelte, aber dafür hat er nicht einen einzigen Tag in Haft gesessen. Er hat im Gerichtssaal mehrfach gelacht. Er lebt sein Leben weiter, als wäre nichts geschehen.« (bild.de, 26.3.2020) – Was für Karten hat die Republik dem Vater in die Hand gedrückt? Wie hätte sein Familienleben unter einer weniger irrsinnigen Politik ausgesehen?

Es kriecht uns den Nacken hoch, länger schon, dass die Karten, die sie uns aushändigen, gezinkt sind, dass wir, die wir das Spiel finanzieren, irgendwie nur die kleinen Karten bekommen – und doch geben wir unser Bestes, mit unseren doofen Karten irgendwie nicht unterzugehen, gegen alle Wahrscheinlichkeit nicht ganz blank vom Tisch aufstehen zu müssen.

Das Leben ist nicht wie Schach. Das Leben ist auch nicht wie eines jener Würfelspiele, das Leben ist ein Pokerspiel – und wir sollten ganz genau hinschauen, was für Karten uns da in die Hand gedrückt werden!


Dieser Beitrag erschien zuerst auf dushanwegner.com

Dushan Wegner (geb. 1974 in Tschechien, Mag. Philosophie 2008 in Köln) pendelt als Publizist zwischen Berlin, Bayern und den Kanaren. In seinem Buch „Relevante Strukturen“ erklärt Wegner, wie er ethische Vorhersagen trifft und warum Glück immer Ordnung braucht.

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