Liebe Mitbürger,
nein – das ist nicht die übliche Anrede im Bundestag.
Üblicherweise beginnen Reden hier mit „liebe Kollegen“: Das ist die kumpelhafte Floskel unter uns Gewählten. Üblicherweise bleiben wir dann auch im Rest unserer Vorträge eigentlich unter uns. Unsere sogenannten Debatten werden zwar von den Kameras und Mikrofonen hinaus in die richtige Welt getragen – trotzdem führt dieses Parlament in Wahrheit ein fortwährendes Selbstgespräch.
Denn im Kern entscheidet nicht die richtige Welt über unsere Existenz als Volksvertreter. Im Kern entscheidet darüber unsere jeweilige Partei, die uns vor Wahlen als Kandidaten für ein Mandat aufstellt – oder eben auch nicht.
Was wir hier tun, tun wir nicht fürs Volk, sondern für unsere Wiederwahl. (Hier vermerkt das Protokoll „Empörung in allen Fraktionen“.) Diese Wiederwahl hängt aber nur höchst indirekt vom Volk ab. Viel direkter hängt sie von den Parteigremien ab – von den Strippenziehern, die intrigant und in Hinterzimmern die Kandidatenlisten auskungeln.
Nur so sind Entscheidungen wie dieses sogenannte Corona-Hilfspaket zu verstehen.
88,99 % aller Abgeordneten sind ihren Partei- und Fraktionsführern gefolgt – in der Hoffnung, dass ihnen das einen aussichtsreichen Platz bei der nächsten Kandidatenaufstellung in ihren jeweiligen Parteien sichert. Dazu haben sie erst für eine beispiellose Umgehung unserer bewährten parlamentarischen Regeln gestimmt: für Änderungen an der Geschäftsordnung dieses Bundestages, die so einschneidend sind, dass man sich als Volksvertreter schämen müsste, so etwas auch nur zu erwägen.
Dann haben sie für neue gesetzliche Vorschriften gestimmt, die schlichtweg das verraten, was dieses Land seit dem Zweiten Weltkrieg zusammengehalten hat: die Soziale Marktwirtschaft und den Rechtsstaat und die Demokratie.
Damit das nicht sofort so sehr auffällt, haben sie es wie billige Rosstäuscher „Hilfspaket“ genannt, es hinter bürgerfernen technokratischen Formeln wie „§240 BGB“ versteckt und es mit der Krise begründet, die uns durch das Coronavirus gerade herausfordert.
Neun von zehn Abgeordneten haben für diesen Irrsinn aus der Welt der Parlamentarier für die Welt der Parlamentarier gestimmt. Ich bedanke mich ausdrücklich bei den drei Kollegen in der AfD-Fraktion, die den Mut hatten, sich gegen die überwältigende Übermacht zu stellen und ihre Aufgabe als Opposition auch wirklich zu erfüllen.
Alle anderen hatten die Wahl zwischen Egoismus und Verantwortung – und haben sich (auch durch Enthaltung) für den Egoismus entschieden. Deshalb wende ich mich mit dieser Rede nicht an sie, sondern an die Bürger.
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Wir stimmen diesen Gesetzen nicht zu, weil sie ein Anschlag auf die Marktwirtschaft sind.
Die Vertragsfreiheit ist die Keimzelle unserer gesamten Wirtschaft. Dazu gehört nicht nur, dass natürliche und juristische Personen ungehindert miteinander Verträge abschließen dürfen. Dazu gehört auch, dass sie sich darauf verlassen können, dass der jeweils andere den Vertrag auch einhält – oder bestraft wird, wenn er es nicht tut.
Nicht nur auf dem Mietmarkt, auch in anderen Bereichen legen wir mit diesen Gesetzen die Axt an dieses für unsere Wirtschaft überlebensnotwendige Prinzip. Wenn niemand sich mehr darauf verlassen kann, dass ein Kunde für eine Ware oder eine Dienstleistung auch bezahlt – was wird wohl passieren? Im günstigsten Fall gibt es Waren und Dienstleistungen nur noch gegen Vorkasse. Im ungünstigsten – und leider keineswegs völlig unwahrscheinlichen – Fall bricht der Markt zusammen.
Geben Sie sich bitte keinen Illusionen hin: Der private Mietmarkt ist da nur der Anfang. Andere Märkte werden folgen, und das recht schnell.
Die Staatsgläubigen, die es in allen Parteien gibt, wollen genau das. Aber allen, die jetzt öffentlich jubeln, dass bald zum Beispiel niemand mehr in Mietwohnungen investiert, sei gesagt: Die von Ihnen so gehassten Reichen brauchen keine Mietwohnungen – denn die können sich Wohneigentum leisten. Leiden werden die einkommensschwachen Familien – für sie bleibt nur ein Platz auf der Warteliste für eine Sozialwohnung.
Es ist wie immer, wenn man den Markt zerstört: Dadurch geht es nie allen besser – aber immer allen schlechter.
Das Bild des Wirtschaftssystems, das Deutschlands Wohlstand erzeugt und sichert, ist völlig verrutscht.
Die „Zeit“ hat gerade allen Ernstes geschrieben, Marktwirtschaft sei, wenn sich manche mehr nehmen als andere. Hier zeigt sich, dass die Bildungskatastrophe in Deutschland längst in den Redaktionen angekommen ist: In der Marktwirtschaft nimmt man sich nichts. Man bekommt etwas – falls man etwas tut, das andere so nützlich finden, dass sie freiwillig Geld dafür geben. Marktwirtschaft ist, wenn die, die mehr leisten, auch mehr bekommen.
Arbeitsminister Hubertus Heil von der SPD hat im Deutschlandradio gesagt: „Wir haben einen starken Sozialstaat, der nicht nur Gesellschaft absichert, sondern auch wirtschaftlich stabilisiert.“ In Wahrheit ist es genau andersherum.
Wir haben eine sehr starke Wirtschaft, die nicht nur die Gesellschaft absichert, sondern auch den Sozialstaat finanziert. Der Staat wäre in der Krise impotent, wenn nicht zuvor durch den Markt das Geld erwirtschaftet worden wäre, das nun zu ihrer Bewältigung eingesetzt wird.
Wenn wir den Sozialstaat auch nach dem Virus finanzieren wollen und wenn wir die Gesellschaft auch nach dem Virus absichern wollen, dann müssen wir dafür sorgen, dass unsere Wirtschaft stark bleibt.
Wirtschaftsminister Peter Altmaier von der CDU – zur Erinnerung: Das war mal die Partei von Ludwig Erhard – bringt massenhafte Verstaatlichungen ins Spiel. Die marktwirtschaftliche Lösung wäre: Entlastet die Unternehmen SOFORT von allen Verpflichtungen des Staates.
Finanzminister Olaf Scholz von der SPD – zur Erinnerung: Das war mal die Partei der Arbeitnehmer – beglückwünscht sich dafür, dass die Finanzämter jetzt für einige Zeit nicht pfänden und Steuern gestundet werden können. Die marktwirtschaftliche Lösung wäre:
Steuerverzicht SOFORT statt Steuerstundung.
Wir beklatschen hier kamerawirksam die Krankenschwestern. Wir fordern private Arbeitgeber auf, den Pflegern doch bitteschön mehr zu bezahlen. Das ist, pardon, hohler Populismus – und schiere Heuchelei. Wenn es uns wirklich ernst wäre, würden wir dafür sorgen, dass die Krankenschwestern und die Pfleger von ihrem hart verdienten Geld nicht mehr so viele Steuern und Abgaben abliefern müssten – bei uns, beim Staat.
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Wir stimmen diesen Gesetzen nicht zu, weil sie ein Anschlag auf den Rechtsstaat sind.
Die Angst vor dem Virus wird genutzt, um unter dem Vorwand des Katastrophenschutzes ganz andere Ziele leichter verfolgen zu können. Alte antikapitalistische Ideen werden wiederbelebt: Die SED/PDS/Linke fordert zum Beispiel 90% Kurzarbeitergeld, eine Vermögensabgabe für Millionäre und den sofortigen Stopp der Rüstungsexporte.
Das war im regulären parlamentarischen Betrieb bisher völlig aussichtslos. Jetzt wollen Sie den Quasi-Notstand dazu nutzen, es doch durchzusetzen. Das ist ein Frontalangriff auf den Rechtsstaat.
Es ist nicht der einzige: Der SED/PDS/Linken und den Grünen nahestehende „Autonome“ haben im Internet dazu aufgerufen, Polizisten mit Corona zu infizieren. Man hätte sich in dieser Bundestagsdebatte gefreut, wenn jemand von diesen Parteien – oder auch ihrem Wunschpartner SPD – gesagt hätte, wie schäbig das ist. Leider haben Sie die Gelegenheit dazu ungenutzt gelassen.
Insbesondere bei der SED/PDS/Linken verwundert das etwas: Denn Sie werden die Polizei noch brauchen, wenn Sie den totalitären Staat aufbauen wollen, den Sie auf Ihrer sogenannten Strategiekonferenz so leidenschaftlich herbeigeträumt haben.
Bayerns Ministerpräsident Markus Söder von der CSU verliert in der Krise auch die machtpolitische Selbstkontrolle und das Rechtsempfinden: Er kündigt an, alle Corona-Maßnahmen in einem Monitoring überprüfen zu lassen – von einer Theologin und zwei Juristen, die er selbst handverlesen hat.
Das ist, mit Verlaub, die Vortäuschung von Kontrolle. Das einzige wirksame Mittel gegen möglichen Machtmissbrauch ist der Rechtsstaat. Deshalb dürfen wir ihn nicht sturmreif schießen.
Auch in der Krise – gerade in der Krise – darf den Regierenden nicht alles erlaubt sein.
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Wir stimmen diesen Gesetzen nicht zu, weil sie ein Anschlag auf die Demokratie sind.
Die Bundesregierung hat die Krise am Anfang schlicht verschlafen. Sie hat beschwichtigt, beschönigt, heruntergespielt. Seit sie dann endlich anfing, etwas zu tun, gibt es dafür nur ein Wort: Missmanagement.
- Gesundheitsminister Jens Spahn von der CDU sagte noch am 17. März: „Privatpersonen brauchen für ihren Alltag weder Masken noch Desinfektionsmittel.“ Zu dem Zeitpunkt waren weltweit schon 7.900 Menschen an der Seuche gestorben.
- Derselbe Minister hat im Februar frühzeitige Warnungen von Herstellern – und deren Angebote zur Vorratshaltung – schlicht ignoriert.
- Auch drei Wochen, nachdem die Weltgesundheitsorganisation eine Pandemie erklärt hat, fehlen in unseren Pflegeheimen Schutzmasken, Schutzkleidung und Desinfektionsmittel.
- Der Bundeswehr gehen mal eben sechs Millionen Schutzmasken einfach verloren, während Taiwan pro Tag zehn Millionen Masken produziert und jeder Privatperson ausreichend Masken garantiert. Derweil müssen bei uns selbst Ärzte und Pfleger, Polizisten, Kassierer, Apotheker und Paketboten ungeschützt herumlaufen.
- Und auf Corona-Kontrollen an den Flughäfen warten wir immer noch.
Jetzt lenkt die Bundesregierung von ihren eigenen Versäumnissen dadurch ab, dass sie mit einer riesigen anti-demokratischen Schrotflinte auf die Gesellschaft schießt.
Minister Spahn mutiert zum Anhänger des Zentralismus und saugt Tag für Tag mehr Kompetenzen und Zuständigkeiten in seine Verwaltung. Aber glaubt denn ernsthaft jemand – irgendjemand – dass mehr Atemmasken und Schutzanzüge in die Pflegeheime und Arztpraxen kommen, wenn ab morgen Herr Spahn zentral dafür zuständig ist?
Natürlich gibt es auch welche, die sich über den rasanten Demokratieverlust freuen. „Extinction Rebellion“ beklebt gerade Laternen mit Zetteln, auf denen steht: „Corona ist die Heilung – Menschen sind die Krankheit“. Das ist, mit Verlaub, Öko-Faschismus.
Und hier im Bundestag ändern wir im Eilverfahren unsere eigenen Regeln. Wir ermächtigen uns selbst, damit wir im Eilverfahren Dinge beschließen können, die die meisten von uns noch nicht mal durchgelesen haben – geschweige denn, deren Tragweite wir verstanden oder vernünftig diskutiert haben.
Diese Abstimmung ist die bisher dunkelste Stunde des deutschen Parlamentarismus nach dem Zweiten Weltkrieg.
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Vor kurzem war auf Twitter zu lesen:
„Das Tückische an der Corona-Krise ist: Die Menschen haben Angst um ihr Leben und das ihrer Familie. In dieser Situation können die Mächtigen alles tun, viel Widerstand haben sie nicht zu erwarten.“
Aber die Demokratie braucht nichts so sehr wie Widerspruch.
Die meisten Medien, die öffentlich-rechtlichen sowieso, fallen schon lange als kritische Kontrolleure der Mächtigen aus. Was ist von Journalisten zu halten, die sich eher als Pressesprecher und PR-Berater der Regierung aufführen denn als deren natürlicher Widerpart?
Auch hier im Parlament sonnen wir uns in einer parteiübergreifenden Einigkeit. Was ist von Oppositionspolitkern zu halten, die sich eher als heimliche Mitglieder der Regierung aufführen denn als deren natürliche Gegner?
Die Bürger haben uns nicht hierher gewählt, damit wir uns gut verstehen oder damit wir uns einig sind. Sie haben uns gewählt, damit wir uns streiten. Gute Entscheidungen entstehen nicht dadurch, dass alle dasselbe denken.
Die freiheitliche Gesellschaft lebt von der anderen Meinung.
Wir sind für Einigkeit UND Recht UND Freiheit. Wir sind für Marktwirtschaft und Rechtsstaat und Demokratie. Und darum sind wir gegen diese Gesetze.