Tichys Einblick
Ohne Gesundheitsprüfung

Die Asyleinwanderung geht weiter

Der wegen der Covid-19-Pandemie verhängte EU-Einreisestopp macht seinem Namen keine Ehre: Asylbewerber können auch weiterhin einreisen, abschieben kann man nicht mehr. Das System gerät folglich unter Druck. Ohne Schutzkleidung und Laborkapazitäten werden Mitarbeiter und Ärzte jetzt sehr bald an ihre Grenzen stoßen. Ein Beispiel aus dem deutschen Süden gibt zu denken.

imago images / photothek

Die Nervosität im deutschen Asylsystem wächst. Die Arbeit mit den neu Ankommenden ist wohl nie ganz leicht. Doch die aktuelle Covid-19-Pandemie verschärft die Zustände noch einmal deutlich. Zwei sensible Bereiche stoßen so aneinander, reiben sich und erzeugen Wärme: ein Gesundheitssystem, das jeden Tag in den Stress geraten kann, und das System der Erstaufnahmeeinrichtungen im Land, das ohnehin unter einem gewissen Dauerstress steht. Denn eines nimmt auch inmitten der Corona-Krise nicht vollständig ab: der Druck der Asyleinwanderung.

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Trotz des von Horst Seehofer und Ursula von der Leyen verkündeten Einreisestopps, können Asylbewerber noch immer einreisen. Tatsächlich sehen das die Detail-Regelungen zu diesem ›Einreisestopp‹ auch so vor. Von den Beschränkungen ausgenommen sind demnach neben Ärzten, Pflegern, Pendlern und Diplomaten eben auch »Personen, die internationalen Schutz oder Schutz aus anderen humanitären Gründen benötigen«. Ein Sprecher des Innenministeriums bestätigte, dass es an den Außengrenzen des Schengen-Raums »bisher keine Verfahrensänderung« gebe – nun, zumindest wenn es nach Horst Seehofer geht. So kommen in Brandenburg laut der Zentralen Ausländerbehörde des Landes täglich 15 bis 20 Migranten an und werden in der Folge auf die Erstaufnahmeeinrichtungen des Landes verteilt, die Anfang März etwa zur Hälfte belegt waren (1.482 von 3.000 möglichen Plätzen). Also noch etwa drei Monate, bis diese Unterkünfte unter den derzeitigen Bedingungen überquellen.

Gleichzeitig tritt allmählich eine Verfahrensänderung im Inland ein. Denn Abschiebungen sind aufgrund der gegebenen Einschränkungen – abgesagte Flüge, Einreisestopps von Drittländern – praktisch undurchführbar geworden. Duldungen werden einfach fortgeführt, weil Amtstermine aufgrund von »social distancing« unmöglich geworden sind. Da helfen wohl auch Schlagzeilen nicht weiter, wie sie das hessische Innenministerium in der Welt produzierte (»Abschiebungen werden wegen Coronakrise nicht ausgesetzt«, 19. März). Denn nur einen Tag später kam schon das Quasi-Dementi. Das Land Niedersachsen setzte alle Abschiebungen aus und hat daher vier Albaner, einen Serben und einen Gambier auf freien Fuß gesetzt. Deren Abschiebehaft sei »leergelaufen«, erklärt der Leiter der JVA Hannover, Matthias Bormann. Ein Abschiebebeschluss gilt immer nur für eine begrenzte Zeit.

Den fünf Südosteuropäern wurden Fahrkarten ausgehändigt und die Rückreise in ihre Heimatstaaten aufgegeben, der Gambier darf mangels Flugverbindung in Deutschland bleiben. Auch die sechs Personen in der hessischen Abschiebehaft in Darmstadt verlangen ihre Freilassung und sind laut Welt in einen Halbtags-Hungerstreik getreten. Daneben hat Deutschland natürlich auch die Abschiebungen in andere EU-Staaten gemäß dem Dublin-System ausgesetzt. Derzeit kommen also Migranten in den Erstaufnahmelagern an, ohne dass abgelehnte Asylbewerber abgeschoben werden.

Vom Wahnsinn der Präsenz

Das ist der eine Teil, das Asylsystem mit seiner derzeitigen Sackgassenregelung: viele dürfen hinein, keiner kommt raus. Was aber ist mit dem anderen Systemteil, der Gesundheitsversorgung für die ankommenden Migranten? In den Erläuterungen zum EU-Einreisestopp – der, wie erwähnt, eigentlich gar keiner ist – heißt es zu diesem Thema: »Für Personen, die in den erweiterten EU-Raum einreisen dürfen, sollten koordinierte und verstärkte Gesundheitskontrollen durchgeführt werden.« Die etwas vage Formulierung soll in der derzeitigen Situation wohl heißen: Bitte testet die Einreisenden auf SARS-CoV-2! In Sachsen scheint das zu passieren. In Berlin eher nicht. Auch in Brandenburg wird zunächst nur Fieber gemessen und dann erst bei gegebenem Verdacht auch auf das Coronavirus getestet.

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Hier setzt ein weiterer Problemkomplex an: Denn die Mitarbeiter der Aufnahmeeinrichtungen und Asylbehörden ebenso wie die Ärzte, die für den Infektionsschutz zuständig sind, müssen auch selbst vor Infektionen geschützt werden, um weiterhin für das System zur Verfügung zu stehen. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), das Außenstellen in allen Bundesländern unterhält, nimmt Asylanträge derzeit nur noch schriftlich entgegen. Zuvor hatten Antragsteller nach einem Test und negativem Ergebnis noch einen Vor-Ort-Termin erhalten. Doch davor warnte zwischenzeitig der Personalrat des BAMF. Die Ansteckungsgefahr durch Antragsteller, Begleitpersonen und Dolmetscher sei einfach zu groß. Ein Berliner Personalrat formulierte es deutlich: »Stoppen Sie diesen Wahnsinn – sofort!«

In brandenburgischen Erstaufnahmelagern konstruiert man vorsorglich Quarantäne-Einrichtungen. Dadurch sollen die örtlichen Krankenhäuser im Falle einer Infektion entlastet werden, vor allem aber soll damit Sicherheit für die Mitarbeiter und Mitbewohner hergestellt werden. Ein zentrales Problem der Erstaufnahmeeinrichtungen ist, dass die Bewohner nicht immer mit den staatlichen Behörden kooperieren. Zahllose Verwicklungen sind denkbar und haben sich bereits ereignet. So musste die Landeshauptstadt Schwerin vor wenigen Tagen eine Buslinie teilweise einstellen, weil zwei Asylbewerber, die eigentlich als Kontaktpersonen unter Quarantäne standen, einen Bus in die Stadt genommen hatten.

Der Fall Suhl-Friedberg  (TE berichtete) hat eindrücklich gezeigt, wie schnell die Sicherheit einer Sammelunterkunft auf Messers Schneide stehen kann, wenn Zweifel am Infektionsschutz bestehen. In der thüringischen Erstaufnahmestelle war ein Bewohner positiv auf das neue Coronavirus getestet worden. In der Folge musste die gesamte Einrichtung mit 533 Bewohnern unter Quarantäne gestellt werden. Einige Bewohner revoltierten gegen die Maßnahme, versuchten auszubüchsen und mussten schließlich in einem Polizeieinsatz separat untergebracht werden.

Brodeln von der anderen Seite

In süddeutschen Zentren scheint die Lage derzeit von der anderen Seite her zu brodeln. Hier sind ebenfalls Neuankünfte der Asyleinwanderung für die kommenden Tage angekündigt. Woher, das bleibt einstweilen unklar, es kann wohl nur aus südlicher Richtung sein.

Auch die Einrichtungsmitarbeiter wissen noch nichts Genaues, fragen sich aber bereits, wie sie diesen Zuwachs bewältigen sollen. Ihre erste Aufgabe wird es sein, die Infektionssicherheit bei jedem einzelnen Immigranten sicherzustellen. Schon jetzt befinden sich acht positiv Getestete in baden-württembergischen Einrichtungen. Innenminister Thomas Strobl (CDU) gab sich zufrieden mit der Testpraxis in den Aufnahmelagern des Landes: »Die positiv getesteten Fälle zeigen deutlich, wie notwendig es ist, alle neu ankommenden Flüchtlinge auf das Coronavirus zu untersuchen«. Sein Dank gelte »allen Haupt- und Ehrenamtlichen, die in der Erstaufnahme von Flüchtlingen tätig sind. Ich weiß, dass sie in dieser Zeit über sich hinauswachsen, und sehr, sehr viel leisten«. Es ist schön, wenn man so von seiner Landesregierung gelobt wird, aber ganz uneigennützig ist solcher Dank wohl selten.

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Wenn man etwas genauer hinschaut, kommen Zweifel daran auf, ob wirklich überall im Land so gründlich getestet wird, wie es der Innenminister behauptet. Für die gesundheitliche Betreuung der Erstaufnahmelager sind häufig sogenannte Medizinische Versorgungszentren (MVZ) zuständig. In einem Schreiben, das TE vorliegt, beklagt ein dort arbeitender Arzt eindeutige Engpässe bei den Laborkapazitäten. Gemachte Covid-19-Tests können demnach nicht mehr zeitnah bearbeitet werden, bleiben vielleicht sogar ganz liegen. Diese Knappheit könnte uns langfristig alle betreffen; denn es wird einen Grund haben, dass der Normalbürger es derzeit schon schwer hat, wenn er sich testen lassen will, und vor einer Mauer aus Vorbedingungen steht. Offenbar liegt Knappheit vor, das System scheint schon jetzt an seine Grenzen zu stoßen. Aus dieser Knappheit ergibt sich eine veränderte Testpraxis, die nicht im Sinne des Infektionsschutzes ist, diesen vielmehr unterminiert.

Getestet werden soll demnach – in den Asyleinrichtungen wie andernorts – nur noch in begründeten Fällen, wobei wiederum auf die Kriterien des Robert-Koch-Instituts verwiesen wird. In der Tat, so gibt der klagende Arzt zu, ein Test ergebe keinen Sinn, wenn man durch die Überlastung der Labore kein Ergebnis erhält. Vor allem aber kritisiert er den Mangel an Schutzkleidung. Wenn der Schutz des Personals nicht gewährleistet ist, dann kann natürlich die medizinische Versorgung überhaupt jederzeit zusammenbrechen – zum einen durch die reale Gefahr der Infektion mit folgender Quarantänierung und eventueller Krankheit, zum anderen durch die (verständliche) mangelnde Bereitschaft, ohne geeignete Schutzkleidung überhaupt den Dienst anzutreten.

Entschleunigt in die Krise

Auf die angehende Krankheitswelle hatten sich die Medizinischen Versorgungszentren eigentlich durch eine selbstverordnete »Entschleunigung« vorbereiten wollen, wie ein Vademecum aus einer baden-württembergischen Einrichtung verrät. Ein bisschen von der eskapistischen Energie der regierenden Kreise klingt in diesem Wort an. Angesichts der zu erwartenden Corona-Krise wollte man Freiräume schaffen, für besseren Schutz sorgen und die Bewohner auf veränderte Abläufe vorbereiten. Das Ärzteteam machte sich derweil Gedanken über die Einrichtung eines Zwei-Schichten-Betriebs, damit bei einem Infektionsfall nicht gleich alle Mitarbeiter ausfallen.

Die angekündigten Neuankömmlinge der Asyleinwanderung wirbeln diese Vorbereitungen durcheinander. Nun werden wohl in kurzer Frist alle angesammelten Ressourcen verbraucht werden. Um alle neuen Bewohner zu testen, braucht man logischerweise mehr Schutzbekleidung, die ohnehin wie überall bald aufgebraucht sein wird. Auch geeignete Desinfektionsmittel gehen den Wohnstätten schon jetzt aus. Ohne beides weigern sich aber die Ärzte zu arbeiten. Ausgang offen.

Und auch in einem hessischen Aufnahmelager in Gießen gibt es mittlerweile einen Covid-19-Fall. Ein 24-jähriger Afghane war den Ärzten schon bei seiner Ankunft aufgefallen und wurde umgehend isoliert. Inzwischen fiel sein Test positiv aus. Sämtliche Besuche in den hessischen Erstaufnahmelagern wurden untersagt. Weiter südlich macht derweil die Kunde von »Corona-Parties« in Erstaufnahmelagern die Runde. Kann man Leute wirklich nicht einsperren oder nur die der Asyleinwanderung nicht?

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