Frauen in Führungspositionen können genau solche Schweine sein wie ihre männlichen Kollegen. Ach, das wussten Sie noch gar nicht? Deshalb ist heute unser Sonntags-Held eine -in: Der New Yorker Sekretärin Tess McGill wird die Geschäftsidee geklaut, und das von ihrer Vorgesetzten. Dabei sind Frauen in Führungspositionen doch fair und motivieren; lesen wir das nicht immer? Es ist ein Film, der den Film im Kopfkino zum Spielen bringt und die Zukunft mit Bildern von gestern vorweg nimmt.
Der kürzlich verstorbene Kultregisseur Mike Nichols hat mit “ Working Girl „, der in Deutschland unter „Die Waffen der Frauen“ erschienen ist, einen großartigen Film geschaffen, der so richtig erst beim zweiten Mal anschauen funktioniert. Mike Nichols, das ist der Könner, der Filme wie „Die Reifeprüfung“, „Wer hat Angst vor Virginia Wolf“ oder „Closer“ gedreht hat; er hat die Bilder geschaffen, die unser Denken prägen, auch wenn wir nicht wissen: Ach, der war das? Nichols lässt die Geschichte von Tess McGill in den Schluchten Manhattans und dem Muff dessen Peripherie spielen.
So beginnt der Film mit einer der langen Kamerafahrten, die unseren Mann in Hollywood berühmt gemacht haben: Michael Ballhaus.
Die Freiheitsstatue, dann ein langer Gleitflug über den Hudson River vor der Skyline Manhattans der späten achtziger Jahre. Man spürt ihn regelrecht, den Wind der Freiheit. So lange Seh-Freiheit gibt es heute kaum noch, im Zeitalter der gehackten Videoschnipsel.
Die Türme des World Trade Center sind zu sehen. Ach ja, diese Ikonen des modernen Menschseins, zerstört von Islamisten. Wer die Türme im Film sieht, sieht sie auch explodieren; jeder, auch wenn das zum Zeitpunkt der Dreharbeiten nicht imaginierbar gewesen wäre. Geschichte läuft ab im Kopf, und das macht ja den wirklich guten Film aus: Dass einer vor uns abläuft auf Leinwand oder Bildschirm, und ein zweiter in uns. Die Kamera nähert sich der Staten Island Ferry. Carly Simon’s „Let The River Run“ erklingt, man mag das mögen oder auch nicht. Der Text gibt es uns: „We’re coming to the edge, running on the water, coming through the fog, your sons and daughters. We the great and small, stand on a star and blaze a trail of desire, through the darkening dawn. It’s asking for the taking, come run with me now.“ Und kündet von all den Chancen, die einen erwarten und vor einem liegen, wenn man sie denn nur ergreift. Man beginnt bereits hier zu erahnen, warum dies das Land der unbegrenzten Möglichkeiten ist. Warum diese Stadt mit ihren Türmen der Traum war – und immer noch ist.
Tess McGill ist eine Sekretärin aus Staten Island, die genau diese Möglichkeiten leben will. Die Frau der Arbeiterklasse, die ihren Schulabschluss in fünf Jahren auf der Abendschule absolviert hat, während sie – natürlich- tagsüber gearbeitet hat. Mit zusätzlichen Abend- und Sprachkursen versucht sie sich selbst stetig zu optimieren.
Zu Beginn sieht man sie, wie sie als strebsame Assistentin zweier Börsenmakler immer wieder gebremst und ausmanövriert wird, wie schwer es ist, gegen die geleckten Absolventen aus Yale und Princeton antreten zu müssen.
Sie wird an „Bob, den Devisenhändler“ vermittelt – aber statt Chancen gibt es beim koksenden Bob (einer der ersten Auftritte von Kevin Spacey, by the way) nur eines: Flachlegen. Sie stapft in ihren Turnschuhen, die High Heels noch in der Tasche, ins Großraumbüro und hinterlässt eine Textnachricht, die für jedermann gut lesbar auf dem Ticker/Newsband der Etage durchläuft. Geschichte wird vorweggenommen – die der gierigen Bank-Haie. Im Kopfkino flimmern heute die Bilder von Lehman Brothers dazu.
Sie wird versetzt. Mit ihr zusammen tritt am gleichen Tag auch ihre Vorgesetzte Katherine Parker an. Die Begrüßung läuft freundlich, sehr persönlich. Harte Arbeit soll belohnt werden, und wie! Kann das wirklich wahr sein? Klar doch – Frauen in Führungspositionen! Katherine Parker wirkt inspirierend auf sie. Sowohl im Lifestyle und der Mode – sie zitiert Coco Chanel: „Kleide dich schäbig und dein Kleid fällt auf. Kleide dich einwandfrei und die Frau fällt auf“ – als auch in Aussagen über aufdringliche Kollegen: „Brücken soll man nicht abbrechen: Heute Junior Pimmel, morgen Senior Partner.“ – Katherine kann Tess für sich einnehmen. Ermutigt durch ihre Chefin („in meinem Team wird zweigleisig gefahren, habe ich mich klar ausgedrückt?“), klopft Tess mit ihrer ersten Idee an Katherine’s Türe. Tess enthüllt ihre gut durchdachte Geschäftsidee. Katherine gibt sich desinteressiert. Fragt allerdings sicherheitshalber noch einmal nervös nach, ob die Idee auch wirklich von Tess stammt und ob sie diese nicht doch zufällig im Fahrstuhl aufgeschnappt haben könnte. Nein, die Idee stammt tatsächlich von Tess.
Als Katherine durch einen Unfall zur Auszeit verdammt ist, muss Tess einspringen und nicht mehr nur im Büro, sondern auch bei der Chefin zuhause nach dem rechten sehen. Wo allerdings eine saftige Überraschung auf Tess wartet! Sie entdeckt ein Schreiben von Katherine – worin sie Tess’s Geschäftsidee als ihre eigene ausgibt.
Was für ein unglaublicher Verrat! Von einer Schwester, das wiegt doch umso schwerer. Von einem Vorbild.
Völlig konsterniert fährt Tess früher als sonst nach Hause, nur, um ihren Freund beim Sex mit einer anderen Frau zu erwischen.
Hier beginnt die Wandlung von fremd- zu selbstbestimmt.
Am darauffolgenden Tag sieht man Tess im Sessel ihrer Vorgesetzten, adrett gekleidet mit Hochsteckfrisur statt wilder Eighties-Mähne. Sie geht verschiedene Einladungen zu Firmenveranstaltungen durch und entdeckt, dass das Unternehmen von Jack Trainer, an den Katherine Parker sich in ihrem Verrats-Schreiben gewandt hat, am nächsten Abend eine Party zum Abschluss eines erfolgreichen Geschäfts feiert. Sie kündigt ihr Erscheinen an.
Sei kein Beifahrer in Deinem eigenen Leben
Nun beginnt die Transformation von Tess McGill. Sie schneidet ihre explodierte Haarspray-Mähne ab und ersetzt sie durch einen chicen Bob. Der grelle Lidschatten weicht einem (für diese Aera) moderaten MakeUp. Immun gegen die drastischen Aufpeppvorschläge ihrer besten Freundin, wählt Tess ein relativ schlichtes schwarzes Kleid für die Party. Beim Blick auf das Preisschild bleibt ihr allerdings die Luft weg.
Auf dem Event angekommen, hält sie Ausschau nach Jack Trainer, von dem sie nicht weiss, wie er aussieht. Unwillkürlich stellt man sich die Frage: Hey, warum hat sie ihn denn vorher nicht gegoogelt? Bevor man wieder darauf kommt: Oh, stimmt. Das sind ja die Achtziger! Jack Trainer hat sie in der Menge der Gäste bereits erspäht. Was folgt, ist eines der besten und wahrhaftigsten Komplimente, die man Frauen in der Finanzbranche überhaupt nur machen kann:
„Sie sind die erste Frau, die ich auf so einer Veranstaltung sehe, die sich auch kleidet wie eine Frau. Und nicht wie eine Frau, die denkt: was würde ein Mann anziehen, wenn er eine Frau wäre.“
Sie sitzt da, an dieser Bar mit dem Investment Broker, von dem sie nicht weiss, dass sie für den nächsten Tag einen Termin mit genau ihm vereinbart hatte und sagt ihm, leicht enthemmt durch die fatale Kombination aus Tequila und Valium, dadurch auch entspannt und völlig selbstbewusst: „Ich habe ein Gespür für’s Geschäft und einen Körper für die Sünde. Ist daran irgendwas verkehrt?“ Und er entgegnet fasziniert: „Nei… Nein.“ Man stelle sich so einen Dialog im Deutschland von heute vor, die Dame dabei im offenherzigen Dirndl. Der Ausgang dieser Geschichte ist bekannt.
Nach einigen weiteren Verwicklungen, entwicklen beide die Investmentidee von Tess gemeinsam weiter, und Jack begibt sich auf die Reise und die ersten Akquisitionsgespräche. Ohne im Vorfeld einen Termin beim Big Boss des Konzerns zu vereinbaren, um den es geht, schleicht sich Tess auf der Hochzeitsfeier dessen Tochter ein und gibt sich als Freundin des Bräutigams aus. Jack, überrumpelt von der Tatsache, dass Tess sich dort hineingetrickst hat, beruhigt seine Nerven bei einem Drink, akzeptiert dann aber schnell, dass Ort und Zeitpunkt günstig sind – und läßt sich auf ihre Art zu spielen ein. Während er eine unansehnliche Brautjungfer mit entwaffnendem Charme abklatscht, kann Tess einen Tanz mit dem Tycoon aufs Parkett legen. Sie nutzt ihre zwei Minuten, ist perfekt über seinen Hintergrund informiert und bringt ihr Projekt vor. Zack! Es läuft, und wie.
Allerspätestens an dieser Stelle ist man gefangen von der Person Tess McGill. Diesem einfachen Mädchen der Arbeiterklasse. Sie hat sämtliche Hürden überwunden und ist direkt und ohne weitere Umwege auf’s Ziel los. Mit viel Mut. Leidenschaft. Überzeugung. Engagement. Sie wächst über sich selbst hinaus und katapultiert sich in eine andere Liga.
Tess beschreibt diesen Weg später: „Man kann die Regeln zurecht biegen, wenn man an der Spitze ist. Aber jemand wie ich kann nicht dahin kommen, ohne die Regeln zurecht zu biegen.“
An einem Punkt entscheidet sich Tess dafür, die Geschicke selbst in die Hand zu nehmen. Man spürt ihre Unsicherheit. Sich innerhalb von Kreisen zu bewegen, mit denen sie vorher nur für einen kurzen Moment am Tag den Fahrstuhl geteilt hat.
An irgendeinem Moment im Leben kommt man dahin, zu genau diesem Punkt, an dem die Strecke sich gabelt. Aufgeben und geschlagen geben?
Die Wahl der Waffen ist frei. Der Weg unbeschritten. Die Fußspuren sind frisch wie an einem klaren Neuschneemorgen.
Der American Way of Life ist gefühlt öfter ein Produkt der Hollywood-Industrie als ein real existierendes Phänomen. Dennoch kann man sich der Stärke der Botschaft dieses Films schwer entziehen.
Natürlich kommt es zu einem nervenaufreibenden Showdown. Die heimgekehrte Chefin kommt dahinter, was die kleine Sekretärin hinter ihrem Rücken getrieben hat. Irgendwie kommt Jack Trainer dabei nicht die Gewichtung zuteil, die bei vielen Filmen die Ursache eines Machtkampfs zwischen zwei Frauen bildet: Ein Kerl.
Man fragt sich heute, was eine feurige Selfmade-Person wie Tess McGill wohl zu so etwas abstrusem wie der Frauenquote sagen würde. Zu Vereinigungen wie Pro-Quote, die jede Woche einen neuen Beschwerdebrief an Veranstalter, Verleger, Herausgeber und Chefredakteure schreiben. Frauen, die sich auf eine gemachte Position setzen wollen und denen dabei das Mittel der Beschwerde oder das Durchdrücken per Gesetz gerade recht ist. Dabei ist das Arbeiten unter Frauen gar nicht so nett und freundlich, wie diese Frauengruppen es doch so gerne für sich in Anspruch nehmen wollen. Das Arbeitsleben unter Frauen ist ebenso hart, wenn nicht sogar härter – und ebenso unfair wie es auch unter Männern zugehen kann. Männer graben eine Frau an, blitzen ab, man kommt nicht weiter. Da ist das Visier wenigstens offen. Unter Frauen ist es sehr oft geschlossen. Die Abneigung hinter aufgesetzter Freundlichkeit verschleiert. Da kommt man nicht weiter. Aber kommt oft erst sehr viel später darauf, warum nicht.
Nach aufschlussreichen Jahren im Berufsleben, kann man eines mit Sicherheit festhalten: Ob Mann oder Frau – das ist völlig egal: Arsch ist Arsch.
Tess McGill macht es besser. Sie hat zwar nicht vor, sich den Rest ihres Lebens den Hintern abzuarbeiten und nirgendwo hinzukommen, weil sie Regeln befolgt hat, die sie nicht aufgestellt hat. Aber anstatt sich irgendwo reinzubeschweren, greift sie zum Hörer und kündigt ihr Erscheinen an.