Tichys Einblick
Mir fällt zu Corona nichts ein

Anmerkungen zu einer Welt im Ausnahmezustand

Das Volk sehnt sich nach autoritärer Führung. Gehorsam wird zur ersten Bürgerpflicht erklärt. Ich will nicht verhehlen, dass mir das Angst macht. Deutlich mehr Angst als das Virus. Mehr fällt mir dazu nicht ein.

Mir fällt zu Corona nichts ein. Ich bin mir bewusst, dass ich mit diesem Resultat längeren Nachdenkens und vielfacher Versuche, das Ereignis und die bewegende Kraft zu erfassen, beträchtlich hinter den Erwartungen zurückbleibe. Denn sie waren vielleicht höher gespannt als jemals gegenüber dem Zeitpolemiker, von dem ein populäres Missverständnis die Leistung verlangt, die als Stellungnahme bezeichnet wird, und der ja, so oft ein Übel nur einigermaßen seiner Anregbarkeit entgegenkam, auch das getan hat, was man die Stirn bieten nennt. Aber es gibt Übel, vor denen sie nicht bloß aufhört eine Metapher zu sein, sondern das Gehirn hinter ihr, das doch an solchen Handlungen seinen Anteil hat, sich keines Gedankens mehr fähig dachte …

1933 begann Karl Kraus mit diesen Worten ein Heft der Fackel, das er nicht mehr erscheinen ließ, und das erst nach dem Krieg und nach seinem Tod unter dem Titel „Die dritte Walpurgisnacht“ veröffentlicht wurde. Ich habe ein einziges Wort geändert; im Original lautet es Hitler.

I.

So ähnlich wie Kraus damals geht es mir heute. Die Wucht der Ereignisse macht stumm. Was ich, der Zeitpolemiker, bisher dachte, stand in starkem Widerspruch zum übermächtigen Meinungsstrom. Inzwischen weiß ich nicht mehr, ob ich überhaupt noch denken kann.

II.

Also drücke ich mich jetzt nur versuchsweise aus. Ungewissheit macht Angst. Was aber geschieht, ist dies: Man erklärt das Ahnen und Fürchten zu gesichertem Wissen und nennt es Wissenschaft.

III.

Bisher gaben sogenannte alternative Medien wie auch diese Seiten Gegenpositionen Raum. Das ist jetzt nicht mehr der Fall. Wir haben beklagt, dass in Sachen Klimawandel die Dominanz einer einzigen Auffassung die notwendige Debatte verhindert. Es passiert jetzt nichts anderes. Die Debatte über das Ungewisse findet nicht statt. Tausend Talkshows werden von den Schellnhubers der Virologie bestimmt. Dennoch gibt es sie, die hoch renommierten Gegenexperten, etwa Prof. Karin Mölling, Universität Zürich und Max-Planck-Institut Berlin, die die Gefährlichkeit des neuen Virus auf einer Skala von 1-10 mit 3-4 einordnet, vor Panikmache warnt und die Maßnahmen für „leichtfertig und unberechtigt“ hält. Ich kann mich ihr nicht einfach anschließen. Aber bedauern muss ich, dass diese und andere streitbare Experten von den Medien und der Politik ausgegrenzt und diffamiert werden.

IV.

In Krisen haben immer die Vereinfacher das Sagen. Dass wissenschaftlicher Fortschritt  allein von Trial and Error getrieben wird, wissen wir. Auch diese Erkenntnis ist derzeit weitgehend suspendiert. Eine vollkommen monochrome Panikkommunikation schürt die Panik noch, der sie entgegen zu wirken, vorgibt. Wie beim Klima ersetzt nun Moral die Logik der Verhältnismäßigkeit. Aber ich sage das mit schalem Geschmack im Mund. Denn ich bin weder immun gegen das Corona-Virus noch gegen das Virus der Angst.

V.

Weder die Folgen des Klimawandels noch die Folgen des Virus‘ lassen sich verhindern. Umso mehr käme es darauf an, sich jetzt mit der Bewältigung dieser Folgen zu beschäftigen, statt das materielle und kulturelle Fundament unseres Seins rigoros zum Einsturz zu bringen. Unserer Zivilisation könnte mehr verloren gehen als eine überschaubare Zahl von Menschenleben. Oder zählen alle unsere Werte nichts mehr, weil zu viele Menschen sterben? Was macht diese Todesziffer panikfähiger als die mindestens so hohe Todesziffer derjenigen, die an multiresistenten Keimen in den Krankenhäusern sterben? Diese Krise ist menschengemacht durch den verantwortungslosen Umgang mit Antibiotika. Ist das etwa verhältnismäßig? Doch über das, was wir für verhältnismäßig halten sollen, wird gar nicht erst gestritten, bestimmte Fragen gar nicht erst gestellt. Dort, wo sie gestellt wurden – etwa mit der Strategie der Herdenimmunisierung in Großbritannien und Holland – nimmt der Deckel der herrschenden Moral der Debatte schnell alle Luft.

VI.

Also fällt mir nichts ein. Mir fällt lediglich auf, dass niemand der Komplexität dieser Weltkrise gewachsen ist. Deshalb erscheint es mir auch sinnlos, hilflos reagierende Politiker zu kritisieren. Es ist ja nicht neu, dass die Kanzlerin furchtbar redet und unfähig ist, Krisen zu meistern. Der amtierende Kanzler heißt im Augenblick ohnehin Söder. Ja, plötzlich haben Politiker, denen ich nie über den Weg traute, Oberwasser. De facto hat die Demokratie Ausgangssperre. Die Argumente dafür werden uns täglich hundertfach eingebleut. Es gibt in Sachen Corona keine alternativen Medien mehr, nur unterschiedliche Grade von Scharfmacherei. Das Volk sehnt sich nach autoritärer Führung. Gehorsam wird zur ersten Bürgerpflicht erklärt. Ich will nicht verhehlen, dass mir das Angst macht. Deutlich mehr Angst als das Virus. Mehr fällt mir dazu nicht ein.

VII.

Keine Tragödie ohne Possenspiel: Anderswo werden Verhütungsmittel, Rauchwaren und Wein gehortet statt Klopapier. Das Verhältnis von Freiheit und Zwang: man sieht auch im Kleinen, wie es damit bestellt ist.

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