Tichys Einblick
Selbstermächtigung durch PEPP

Corona ist ein gefundenes Fressen für die EZB

Die Europäische Zentralbank will die Corona-Krise nutzen, um sich als Wohltäter aufzuspielen. Das Ausmaß der Selbstermächtigung wird erst bei genauer Betrachtung der jetzt von Christine Lagarde angekündigten Maßnahmen ersichtlich.

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Seit dem Amtsantritt von Christine Lagarde, der auch in Frankreich nicht unumstrittenen ehemaligen Finanzministerin, wird in der EZB einer Revision der geldpolitischen Konzepte das Wort geredet. Anlass dafür besteht schon deshalb, weil – unabhängig vom überfälligen Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum umstrittenen Anleihenkaufprogramm von 2015 (APP) – die bisherige Geldpolitik ihr Ziel „Geldstabilität“ – also Inflation  bei ungefähr aber unter  2 % der Verbraucherpreise – seit Jahren verfehlt hat. 

Eine versierte Kommunikatorin wie Madame Lagarde, die meint, mit entsprechend subtilen Botschaften alles, aber wirklich auch alles richten zu können, hat nun die Chance gekommen, den störrischen Deutschen den Widerstand auszutreiben und den Europäern deutlich zu machen, dass nur die EZB die gegenwärtige Krise zu bewältigen vermag. 

Die Chance, ganz neue Formen der Geldpolitik auszuprobieren, war noch nie so gut. Denn hierfür bietet nun die Corona-Epidemie eine historische Option. Hatte sich die EZB-Chefin nach der letzten EZB-Ratssitzung am 12.3.2020 zwar fachlich unsicher aber in forschem Englisch um Erklärung einer limitierten Ausweitung der bisheriger Instrumente bemüht  – TLTRO (Ein Sonderprogramm zur Zinssubventionierung von Banken, die überdurchschnittlich viele Kredite vergeben), 120 Mrd Euro zusätzliche Anleihenkäufe (,die sich zu den bisherigen Netto-Käufen von monatlich 20 Mrd Euro addieren. Der Anleihenbestand im Eurosystem wächst also weiter dynamisch) und mehr LTROs zu günstigen Konditionen (langfristige Finanzierungen, die den Banken grenzenlos zur Verfügung gestellt werden). Nur Sechs Tage später läutete sie nun um Mitternacht eine neue Epoche der Zentralbankpolitik ein.

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Neben einen neuen Anleihekaufprogramm mit dem Namen Pandemic Emergency Purchase Programm (PEPP) will sie vor allem ihre Handlungsfähigkeit unter Beweis stellen und den Erhalt des Euro-Blocks sichern. Angesichts der Uneinigkeit unter den EWU-Ländern über den von ESM-Chef Regling geforderten (satzungswidrigen) Einsatz des ESM war mit einer zu langen und kontroversen Debatte zu rechnen. Dieses kontroverse Vakuum – also der hinhaltende Widerstand der Niederlande und Deutschlands  gegen den ESM-Einsatz zu satzungswidrigen Zwecken und ohne jegliche Konditionalität (also das Sanierungsprogramm, das mit Stabilitätshilfen gem. Art. 136 AEUV einhergehen muss, wie es bei allen Krediten an Griechenland, Portugal, Spanien, Zypern und Irland bislang der Fall. Italien lehnt jegliche Konditionalität bei der Vergabe von ESM-Krediten ab) – wäre aber angesichts der Erwartungen in Italien, Frankreich und Spanien für Madame Lagarde gefährlich geworden. Schließlich ist sie als Platzhalterin der Südländerinteressen gewählt worden.    

Das Ausmaß der Selbstermächtigung der EZB wird indessen erst ersichtlich, wenn man sich die Konditionen des PEPP näher betrachtet: Erstmalig werden Kurzläufer in Gestalt von commercial papers mit aufgenommen. Damit betritt die EZB den Geldmarkt, obschon sie angeblich nur Anleihen kauft. Auch griechische Anleihen profitieren – trotz unzureichender Bonität – vom PEPP. Die Anforderungen an Kollaterale sollen erneut gelockert werden (qualitative easing). Dies bedeutet, dass Banken sogar bisher als unzureichende Sicherheit angesehene Wertpapiere der EZB als zulässige Pfänder für Zentralbankkredit einreichen können. Ferner soll der Kapitalschlüssel beim Aufkauf „flexibel“ gehandhabt werden: Nun müssen demnächst die Bundesbank und die niederländische Notenbank italienische Anleihen erwerben. Damit kommt die EZB den Euro-Bonds ökonomisch sehr nahe. Zu allem Überfluss will die EZB selbst bestimmen, ob sie das Programm erweitert und verlängert.  

Doch trotz dieses dauerhaften Selbstermächtigungsregimes ist absehbar, dass die massive Verfälschung des Wettbewerbs auf den Kapitalmärkten den freien Fall südlichen Volkswirtschaften des Euro-Blocks letztendlich nicht wird stoppen können.

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Wenn der Pizzabäcker um die Ecke keine Kundschaft mehr hat, wenn das Café den Espresso nicht mehr verkaufen kann und der Imbiss am Bahnhof auf Kunden verzichten muss, dann haben gerade die kleinen Selbstständigen nur noch Kosten und keine Erträge mehr. So ist der Weg in die Insolvenz vorgezeichnet und – volkswirtschaftlich ausgesprochen – dürfte eine Rezession von apokalyptischen Ausmaßen unabwendbar sein. Damit kämen Vorschläge auf die Plattform der Geldpolitik, die bisher besonders im linken Spektrum der demokratischen Partei in den USA diskutiert wurden. Unter dem Stichwort „New Monetary Policy (NMP)“ wird dort einer direkten Kreditierung der Verbraucher und der Unternehmen das Wort geredet. Nicht die Banken sollen Zentralbankgeld von der Notenbank gegen entsprechende Pfänder erlangen, sondern unter Umgehung der bisherigen Distributoren sollen den Haushalten und eventuell den Unternehmen direkte Guthaben an Zentralbankgeld auch ohne adäquate Pfänder zur Verfügung gestellt werden. 

Bislang sind diese Vorschläge um sogenanntes „Helikoptergeld“ noch nicht ernsthaft von der EZB vorgeschlagen worden. Nunmehr könnten sie angesichts der sich abzeichnenden Liquiditätsknappheit bei Unternehmen und Haushalten auf sehr positive Resonanz treffen. Die EZB wird diese Chance nicht verstreichen lassen, ohne ihr Instrumentarium noch einmal auszubauen. Der Europäische Gerichtshof ist dabei kein ernstzunehmender Kontrolleur, sondern bestenfalls ein gefälliger Mitspieler. Bundeswirtschaftsminister Altmaier versteckte seine Zustimmung zur EZB, indem er das PEPP als „weitreichend“ bezeichnete. Ob das Bundesverfassungsgericht derartige Exzesse mitmachen wird, ist eine offene Frage. Leider ist die Verkündung seines Urteils über das Anleihenkaufprogramm von 2015 (APP) auf den 5.5.2020 verschoben worden. Jedenfalls scheint der Marsch in die souveräne EZB-Diktatur vorgezeichnet zu sein. 


Prof. Dr.iur. Markus C. Kerber ist Professor für Finanzwissenschaft und  Wirtschaftspolitik an der TU Berlin und Gründer von www.europolis-online.org.

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