Das Coronavirus ist ein Schaustück für exponentielles Wachstum. Über Tage hinweg kann eine Nation das Virus unter Kontrolle haben, Fälle isolieren, Dörfer unter Quarantäne setzen. Doch dann entgeht eine Handvoll Infizierter den Behörden, sind ansteckend, aber scheinbar ohne Symptome oder reisen neu ein: Und die Fallzahlen explodieren. So geschieht es momentan in Spanien. Der erste Coronafall wurde dort nur einen Tag nach Italien gemeldet. Lange schien es allerdings, als würde Spanien die Situation besser unter Kontrolle haben; dass dies nicht der Fall ist, beweisen Ausgangssperren und rasante Anstiege der Erkrankungszahlen.
Manch einem kommt diese Graphik wahrscheinlich bekannt vor. Sie beschreibt die Corona-Erkrankungs-Fallzahlen in Italien, Spanien, Frankreich und Deutschland als relativen Wert. Es fällt auf, dass der Anstieg exponentiell verläuft – die Zahl der Neuerkrankungen steigt also schneller, je mehr Zeit verstrichen ist.
Auf die relativen Zahlen kommt es an
Aufschlussreich ist es, sich die Fallzahlen auf einer Graphik mit Logarithmischer Y-Achse anzuschauen.
Der Vorteil einer logarithmischen Darstellung ist, dass sie es erlaubt, relative Veränderungen darzustellen statt absoluter. Spanien hat in etwa nur halb soviel Einwohner wie Deutschland; in logarithmischer Darstellung lässt sich ablesen, wo sich das Virus schneller verbreitet. Die in der ersten Graphik dargestellten quasi-exponentiellen Kurven werden zu geraden Linien vereinfacht, was wiederum Veränderungen in den Zahlen der Neuinfektionen leichter erkennbar macht. So fällt auf, dass die italienische Linie (grün) und die französische Linie (blau) relativ gleichmäßig sind. Das bedeutet, dass die Rate der Neuerkrankungen in Relation zur Zahl der schon Erkrankten in Italien und Frankreich relativ konstant ist. Es werden jeden Tag mehr neue Menschen als erkrankt gemeldet als am Tag zuvor, aber die Wachstumsrate der Erkrankten ist gleichbleibend – die Erkrankungen beschleunigen sich nicht. Zwar gibt es Abweichungen an einzelnen Tagen – so steigt die italienische Kurve vom 29.03. bis zum 01.03. steiler als in den Tagen davor oder danach. Bei einzelnen Tagen kann es dabei aber auch um eine zufällige Häufung handeln, bedingt durch den Wochentag (der 1. März war ein Sonntag) oder sonst einen Faktor, der gerade an diesem Tag dafür gesorgt hat, dass besonders viele Corona-Tests ausgewertet wurden – und es dadurch zu besonders vielen neuen Fall-Meldungen kommt.
Italien hat vor gut einer Woche seine Sperrzonen von Norditalien auf ganz Italien ausgeweitet. Laut Robert-Koch-Institut dauert es vier bis siebenheinhalb Tage, bis jemand, der Symptome zeigt, einen anderen ansteckt und dieser ebenfalls Symptome zeigt. Wenn sich also die italienische Linie in den nächsten Tagen abflachen sollte, so wäre dies ein Hinweis darauf, dass die italienischen Maßnahmen wie Sperrzonen und Ladenschließungen effektive Maßnahmen zum Eindämmen der Infektionsausbreitung sind.
Spanien: schlimmer als Italien?
Anders ist die rote Linie, welche Spanien darstellt. Zum einen ist sie bedeutend steiler als die anderen Linien: Die Zahl der Neuerkrankungen steigt also schneller als in Italien. Dass die Linie eine gewisse Stufenform aufweist, könnte an Arbeitszyklen der spanischen Gesundheitsbehörden liegen – wenn zum Beispiel regionale Gesundheitsämter immer morgens und abends neue Fälle an die Zentralregierung melden, aber Sonntags nur morgens, so kommt es immer am Montag zu Häufungen von neuen Fällen. Eine andere Erklärung wäre es, dass es, aus welchem Grund auch immer, an einem bestimmten Tag zu besonders vielen Neuerkrankungen kommt – wenn zum Beispiel am Sonntag alle zusammen in der Kirche sitzen, dann würde man siebeneinhalb Tage später, also Montag oder Dienstag eine Häufung von neuen Fällen sehen. Ähnliches gilt für volle Pendlerzüge, Karneval oder volle Kneipen an Freitagen. Wenn solche Häufungen in den kommenden Wochen ausbleiben, dann zeigen die Ausgangssperren Wirkung.
Setzt man alle vier Linien auf den gleichen Tag zurück, so als hätten alle vier Länder am gleichen Tag die Kontrolle über Neuerkrankungen verloren, dann offenbart sich, dass Spanien sogar noch schlechter dasteht als angenommen.
Die spanische Linie liegt weit über der italienischen am Anfang der dortigen Erkrankungs-Expansion, was bedeutet, dass sich das Virus dort schneller ausbreiten wird, als es Anfang März in Italien der Fall war – was in der Folge bedeutet, dass Krankenhäuser noch überlasteter, ärztliche Triage noch strenger und (bevölkerungs-relative) Todeszahlen noch höher sein werden. Was auch Sorgen macht, ist dass auch Deutschland sich den relativen Neuerkrankungszahlen Italiens annähert und sie zu überholen droht.
Noch sind die Fallzahlen in Deutschland und Spanien bedeutend geringer als in Italien, doch das Ansteigen der logarithmischen Linien ist ein beunruhigendes Signal für die zukünftige Fallentwicklung.
Ein Blick auf die Deutschlandkarte
Interessant ist auch ein Blick auf die Verteilung der Corona-Erkrankten in Deutschland.
Dabei wird auffallen, dass gerade die Stadt-Staaten Berlin, Hamburg und Bremen relativ viele Coronafälle pro hunderttausend Einwohner haben. Dies ist allerdings zumindest zum Teil damit zu erklären, dass Krankheiten sich in Städten besonders schnell ausbreiten und dass die Stadtstaaten kein dünn besiedeltes, aber relativ gesundes Umland haben, welches den Durchschnitt herunter ziehen könnte. Wie schnell sich das Coronavirus in einer Gemeinde ausbreiten kann, zeigt der Kreis Heinsberg, in dem es im Zuge von Karnevalsfeierlichkeiten zu vielen Infektionen kam. Dort sind 663 Menschen an Covid-19 erkrankt – bei einer Einwohnerzahl von circa 252.500 Menschen. Insgesamt hat Nordrhein-Westfalen 2.493 Fälle, Heinsberg macht also einen beträchtlichen Teil der Gesamtzahl der Erkrankten aus. Dass gerade NRW von Corona so stark betroffen ist, liegt wohl zum einen an der hohen Einwohnerdichte, aber auch daran, dass der Karneval dort ungehindert stattfinden konnte.
Insgesamt ist Hamburg das Bundesland mit der höchsten relativen Fallzahl: 14,1 Erkrankte pro hunderttausend. Deutschland als Ganzes hat 8,4 Fälle pro hunderttausend; bis jetzt noch weit weniger als Italien mit 46,5.