Der Machtkampf um die Parteiführung der CDU ist nach dem Hamburger Wahlsonntag schlagartig entbrannt. Die desaströsen 11,2 Prozent der hanseatischen Christdemokraten signalisieren auch dem größten Ignoranten, wie erfolgreich sich die CDU bundesweit den demoskopischen Tiefs der SPD nähert. Die einstige stolze Volkspartei ist programmatisch ausgezehrt, beliebig geworden bis zur Unkenntlichkeit. Weil die CDU-Kanzlerin mit ihrer Politik im letzten Jahrzehnt zwei Megathemen – die Euro- und die Migrationskrise – als „alternativlos“ beziehungsweise als „beherrschbar“ durchdrückte, eröffnete die ihr lange Jahre treu ergebene Partei der AfD die Spielräume bei konservativen Wählern, die ihr zu ihrer heutigen Stärke verholfen haben.
Dazu kam eine sozialpolitische Großzügigkeit, die dem sozialdemokratischen Hang zum Verteilen überhaupt nicht mehr nachsteht. In der Energiepolitik stieg die Union nach Fukushima geradezu panisch aus der Atomenergie aus, nachdem sie gemeinsam mit der FDP wenige Monate zuvor noch den rot-grünen und mit der Energiewirtschaft vereinbarten Ausstiegspfad verlassen und die Laufzeiten der Atomkraftwerke verlängert hatte. Die Wehrpflicht stampfte die Union genauso in die Tonne wie eine Reihe althergebrachter Grundsätze einer konservativen Familienpolitik. Fast alles geschah per Entscheidung von oben. Programmatische Debatten in der Partei oder gar Parteitagsbeschlüsse waren obsolet.
Dieses strategische Dilemma kennt Armin Laschet. Der Mann, der einst in den neunziger Jahren im Keller des Bonner „Sassella“ in der Pizza-Connection erste personelle Kontakte mit realpolitischen Grünen Abgeordneten suchte (auch Norbert Röttgen und Peter Altmaier zählten auf CDU-Seite zu diesem Kreis), wurde lange als leutselige rheinische Frohnatur unterschätzt. Gegen Norbert Röttgen verlor Laschet im Oktober 2010 sogar ein Mitgliedervotum zur Frage, wer von beiden NRW-Landesvorsitzender werden sollte. Röttgen setzte sich durch, wurde von einem CDU-Parteitag auch formell als Vorsitzender gewählt, vergeigte aber dann als CDU-Spitzenkandidat die vorzeitige Landtagswahl im Mai 2012 desaströs. Röttgen trat als Landesvorsitzender zurück, verlor später auch sein Ministeramt in der Bundesregierung, während Laschet im Juni 2012 zum neuen Landesvorsitzenden der CDU in Nordrhein-Westfalen gewählt wurde. Als Fraktionsvorsitzender und Oppositionsführer gelang Laschet dann im Mai 2017 die Ablösung der rot-grünen Landesregierung. Seit Juni 2017 regiert er mit einer schwarz-gelben Koalition das bevölkerungsreichste Land Nordrhein-Westfalen. Aus dem lange unterschätzten „Türken-Armin“, so apostrophierten ihn parteiinterne Kritiker wegen seiner liberalen und differenzierten Haltung zur Integrationspolitik der CDU, wurde ein Regierungschef, der seine Landesregierung ruhig und kompetent führt und zum geschätzten Landesvater reifte.
Was Laschet noch in seiner ersten Amtsperiode als Bundestagsabgeordneter in der Ära Helmut Kohl von diesem lernte, ist dessen Verständnis von Volkspartei. Eine Volkspartei braucht eine starke Mitte, aber auch einen linken und einen rechten Flügel. In der Balance liegt die Kraft einer solchen Partei. Dafür braucht es aber auch prominentes Personal, das angesichts des heterogenen Wählerspektrums einer Volkspartei auch die Ränder binden kann.
Obwohl Parteien immer für Überraschungen gut sind, sind Laschets Chancen auf den Parteivorsitz am 25. April mit seinem Spahn-Personalcoup deutlich gewachsen. Merz könnte ihm deshalb deutlicher unterliegen als beim letzten Mal Annegret Kramp-Karrenbauer. Röttgen und den No-Name-Kandidaten werden jedenfalls nicht einmal Außenseiterchancen eingeräumt. Ob Laschet die Union als Kanzlerkandidat bei der Bundestagswahl anführen könnte, wird auch von der CSU und ihrem Vorsitzenden Markus Söder abhängen. Aber ausgeschlossen ist es keineswegs. Mit dem Mann muss gerechnet werden.