Tichys Einblick
Frankreich

Ex-Justizministerin spricht von Merkels »hohem Preis«

Funkenschlagen im Pariser Kommunalwahlkampf. Die konservative Kandidatin für das Bürgermeisteramt, ehemals Justizministerin unter Nicolas Sarkozy, wurde im Fernsehen zum Attentat von Hanau befragt – und ließ nicht den geringsten Zweifel daran, wer aus der Außensicht die Verantwortung für eine solche Eskalation trägt: eine Politik ohne Voraussicht, Plan und Kommunikation.

Rachida Dati, konservative Bewerberin um das Amt des Pariser Bürgermeisters

imago images / IP3press

Die konservative Bewerberin um das Amt des Pariser Bürgermeisters, Rachida Dati, sagte am Samstag in einem Interview mit dem Fernsehsender France Info zum Gewaltverbrechen von Hanau befragt, die Arme einstweilen selbstsicher verschränkend: Zunächst müsse man natürlich an die Opfer und ihre Familien denken. Eine wahre Tragödie habe sich ereignet. Sehr rasch kommt sie aber auf einen anderen Aspekt zu sprechen – für den sie sich im Vorhinein entschuldigt, ihn anzusprechen zu müssen.

Das ist die Höflichkeit der Frondeure. Die ehemalige Justizministerin stellt dann ohne weitere Umschweife, mit großer Bestimmtheit fest, dass Angela Merkel heute den »hohen Preis« jener »massiven Öffnung der Grenzen« bezahle, die sie im Herbst 2015 anzettelte. In diesem Satz steht der Name der Regierungschefin für das ganze Land – so wie es im Ausland wohl oder übel der Brauch ist. Merkel habe die Folgen ihrer Entscheidung nicht gut bedacht und ermessen und auch nicht vorausschauend agiert. Die deutsche Bundeskanzlerin habe vielmehr insgesamt planlos gehandelt, »ohne Rahmen und Management«, und weder auf die öffentliche Meinung ihres Landes gehört, noch sie in irgendeiner Weise auf ihre Politik vorbereitet. Das meint Dati offenbar für die gesamte Migrationspolitik der Regierung Merkel.

Auf Twitter erntete die Konservative umgehend harsche Kritiken. Ein ehemaliger Spiegel-Korrespondent in Paris hält die Äußerungen für »ekelerregend«. Eine macronistische Kandidatin bei den Kommunalwahlen gibt sich zufrieden, dass Dati nun »ihr wahres Gesicht« gezeigt habe, indem sie eine Verbindung zwischen den hohen Zuwanderungsraten und der geschehenen Mordtat herstellte. Dabei ist Dati selbst die Tochter eines marokkanischen Maurers und einer Algerierin, hat sich aus ärmsten Verhältnissen zur Anwältin und Justizministerin unter Nicolas Sarkozy emporgearbeitet. Wenn also die stellvertretende Bürgermeisterin Dominique Versini – zugleich Flüchtlingsbeauftragte im Pariser Rathaus – davon spricht, dass Dati »gefährliche Verbindungen zwischen Flüchtlingen, Kriminalität und Terrorismus« herstelle, dann ist das eine ziemlich grobe Zusammenfassung ihres differenzierten historischen Urteils.

Tatsächlich übersehen die Kritiker den Überblick der Kandidatin, die nicht etwa behauptet hat, dass Merkel 2015 eine große Menge Neo-Nazis importiert hätte. Doch ist andererseits die Auseinandersetzung des geistig verwirrten Attentäters mit dem aktuellen politischen Geschehen nicht zweifelhaft, auch wenn seine Sicht der Dinge verschroben und von Menschenfeindlichkeit geprägt war. Große Umbrüche erzeugen immer wieder auch eine Energie der individuellen, wahnhaften Eskalation. So folgten der deutschen Einheit die Attentate auf Lafontaine und Schäuble. Vorsicht und Voraussicht sind daher keine Nebensachen der Politik.

Der Wahlkampf um das Pariser Rathaus

Die treffsicheren Bemerkungen Datis gehören natürlich auch in den Pariser Kommunalwahlkampf. Indirekt zielte Dati damit auch auf ihre sozialistische Konkurrentin, die Amtsinhaberin Anne Hidalgo. Die Sozialistin hatte 2015 öffentlich geäußert, dass sie sich von der deutschen Kanzlerin inspirieren lassen wolle und sich ebenfalls eine »massive Aufnahme« in ihrem Land wünsche. Dati hält dem entgegen, dass man die Probleme der Pariser weder mit der »laxen Ideologie« von Anne Hidalgo noch mit der »wunderbaren Welt« ihrer neuen liberalen Konkurrentin Agnès Buzyn bewältigen werde. Die Juristin beklagt einen Anstieg der Gewalt, der Einbrüche und Taschendiebstähle, auch die Verwahrlosung des öffentlichen Raums in Paris. Daneben ist es der Sozialistin Hidalgo in ihrer nun bald sechsjährigen Regierung gelungen, die Schulden der französischen Hauptstadt zu versechsfachen. Was aber das Schlimmste sein dürfte: Mit dieser Bilanz bringe Hidalgo die Pariser gegen Paris auf, verleide ihnen immer mehr ihre eigene Stadt.

Vor allem die Verkehrspolitik der sozialistischen Bürgermeisterin entzweit. Derzeit lässt Hidalgo die Autostraßen der Stadt aufbuddeln, um Fahrradbahnen zu bauen. Wie jetzt schon Teile des Seine-Ufers will Hidalgo auch große Teile der Innenstadt für Autofahrer sperren. Eines hat sie damit aber nicht erreicht: eine dauerhafte Senkung der Ozonwerte über der Stadt der Lichter. Es fragt sich, wie ökologisch ihre Politik der Einschränkungen wirklich ist. Dati setzt dem einen Focus auf die alltäglichen Probleme der Pariser entgegen und konzentriert sich in ihrer Kampagne auf die Wohnungssituation, die Qualität des öffentlichen Nahverkehrs, Sauberkeit und Ordnung in der Stadt. Dati möchte »der Wandel« für Paris sein, auch und vor allem was die Ermöglichung privater Investitionen angeht.

Macrons Kandidat Benjamin Griveaux – der inzwischen über Schlüpfrigkeiten zurücktreten musste – hatte gesagt, er wolle nicht, dass Paris eine Stadt für die Reichen, die Armen, für Touristen und »bobos« wird. Diese sogenannten »bobos« sind »bohémiens bourgeois«, also meist wohlhabende Bürgerliche, die es sich bohème-haft bequem machen und dabei ideologisch häufig links stehen. Doch die liberale Nachfolgekandidatin, die Ärztin und ehemalige Gesundheitsministerin Agnès Buzyn, hat nichts Grundstürzendes in ihrer Art. Man nimmt an, dass »La République en marche«, Macrons in der Mitte schillerndes Bürgerbündnis, rechts Stimmen an die konservativen »Republicains« (LR) verlieren wird.

»Ruhe, Sicherheit und Ordnung« für die französische Hauptstadt

Damit ist die ehemalige Justizministerin Dati (LR) zur aussichtsreichsten Herausfordererin der sozialistischen Amtsinhaberin aufgestiegen. Eine aktuelle Umfrage verortet sie mit 22% dicht hinter Hidalgo (24%), Buzyn folgt mit 19%. Die von Dati vorgestellten konkreten Maßnahmen nach einem etwaigen Sieg werden teils als »revolutionär« angesehen. So will sie mit 500 neuen Polizisten und einer verstärkten Kameraüberwachung gegen die Alltagskriminalität vorgehen. Den von Verbrechen betroffenen Bürgern will sie direkt beistehen, unter anderem durch einen schnellen Draht zu den zuständigen Polizeiwachen.

Die wichtigsten Forderungen der Pariser seien »Ruhe, Sicherheit und Sauberkeit«, schreibt Dati in einem Meinungsbeitrag. Merkwürdigerweise kamen der Liberalen Buzyn zur gleichen Zeit genau die identischen Schlüsselbegriffe in den Sinn. Dati nahm es gelassen und gestattete das Plagiat. Wie es scheint, herrschen »Sicherheit und Sauberkeit« aller Orten, nur nicht auf den Straßen von Paris. Es sind Worte aus einem Land, das sich schon etwas länger mit den Folgen von Unruhe und öffentlicher Verwahrlosung auseinandersetzt.

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