Wir müssen auf neue Weise mit unseren Lesern ins Gespräch kommen, verlorenes Vertrauen zurückgewinnen. Diesen Schluss zog Georg Mascolo, Leiter des Rechercheverbunds von NDR, WDR und SZ, heute früh im MorgenMagazin der ARD aus den Ergebnissen der Studie zum Vertrauen in die Medien von TNS emnid, Bielefeld, im Auftrag des Bayerischen Rundfunks.
Herr Mascolo, das hört sich verdammt an wie die Statements von Spitzenpolikern nach verlorenen Wahlen: Wir müssen unsere Politik besser erklären. So wird das nichts mit dem Zurückgewinnen von Vertrauen. Politiker und Journalisten müssen nur ihre Kommunikation mit Wählern und Lesern ändern? Nicht die Qualität ihrer Produkte? Nur ein Marketing-Versagen? Keine Produkt-Defizite? Hat Herr Mascolo die Titelgrafik „Stimmungsbild“ nicht gesehen?
WIE Medien WAS darstellen, demonstriert der Mediendienst MEEDIA wohl eher ohne tiefere Absicht, sondern einfach so, „wie wir das immer machen“:
In der Studie kommt das Wort „Lügenpresse“ nicht vor, die Wendung „bewusste Lüge“ ein einziges mal, im Statement eines Befragten:
SPON verkürzt auf einen Teil:
Wer sich mit Meinungsumfragen im allgemeinen und Medienkritik im speziellen befasst hat, liest diese Studie mit Gewinn. In den Berichtsfassungen der Medien und des genannten Mediendienstes schrumpft die Studie auf Boulevard. Mich würde eine Studie interessieren, die herausfindet, wie viele und welche in der Branche Medien solche Studien studieren.
Wesentliches verpasst, wer die Abteilung Methodisches ignoriert und daher nicht erfährt, dass es sich um zwei separate Studien handelt, eine Deutschland-weite Repräsentativbefragung vom 11. März bis 2. April 2016 durch das Institut TNS emnid, Bielefeld und eine qualitative Untersuchung mit vier Fokusgruppen mit Nachrichtennutzern in München und Nürnberg am 8. und 14. März 2016 durch das Institut Klare Antworten, München. Ausgewertet hat die Ergebnisse der Bayerische Rundfunk selbst.
Die vier Fokusgruppen bildeten Personen mit traditioneller Mediennutzung und liberaler (Kürzel für Zitate: tl) oder rigider Werteorientierung (tr), Personen mit moderner Mediennutzung und liberaler (ml) oder rigider (mr) Orientierung.
Zusätzlich betrachtet in der Repräsentativ-Studie wurden bei der Auswertung Teilgruppen, „bei denen sich durchgängig (zum Teil deutliche) Unterschiede zum Bevölkerungsmittel feststellen lassen.“ Die Beschreibung dieser Gruppen ist schon selbst eine Bewertung:
„Migrationshintergrund“ und „Hörer von ARD-Infowellen“ sind vergleichsweise objektive Kriterien. „Zweifler“ aber, liebe Studienleute, ist verflucht subjektiv. „Personen, die bei vier Statements zur Lage Deutschlands eine klare Tendenz zu Unbehagen aufweisen“, schauen wir uns die Grafik Gruppenvergleich an:
Die „Hörer Infowellen“ könnte man auch „Wenig-Zweifler“ nennen, am deutlichsten bei ihrer Meinung zu Medien. Ohne auf die durchwegs interessanten Bilder und Texte der Studie weiter einzugehen, ein paar Auszüge (gekürzt):
- 70 Prozent informieren sich (fast) täglich im Fernsehen, 67 Prozent im Radio (jeweils Nettowert öffentlich-rechtliche und private Sender) … 91 Prozent derer, die sich täglich im Internet informieren, nutzen dazu täglich auch Fernsehen, Radio oder Tageszeitungen. Bei den Unter-30-Jährigen sind es 81 Prozent.
- Eine Mehrheit der Deutschen glaubt, dass die aktuelle Berichterstattung „der Medien“ einer Lenkung unterworfen ist. Als Handelnde im Hintergrund gelten insbesondere Politik (Regierung und Parteien) und Wirtschaft (Lobbyismus und Druck von Werbekunden). Die „Zweifler“, aber auch junge Leute unter 30 Jahren und Ostdeutsche sind davon besonders überzeugt. Der Umgang mit diesem Makel reicht von Gelassenheit bis hin zu lautstarker Kritik.
- Allerdings gehen 47% der Deutschen von Vorgaben für das öffentlich-rechtliche Fernsehen und vier von zehn Befragten für die Tageszeitungen und den öffentlich-rechtlichen Hörfunk aus.
- Die Medien gelten einer Mehrzahl der Deutschen als Teil oder zumindest als Stütze des Establishments.
- Neben den „Zweiflern“ urteilen die Altersgruppen unter 60 Jahren, aber auch Menschen mit Migrationshintergrund überdurchschnittlich stark in Richtung einer „Stützung“ der Mächtigen durch etablierte Medien.
- Eine ausgeprägte Kontrollfunktion der Medien erkennen die Hörer der ARD-Infowellen an – allerdings nur beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk und der Qualitätspresse.
- Die überwältigende Mehrheit der Deutschen hat ein grundsätzlich positives Bild von Journalisten. Dies steht teilweise im Gegensatz zu der Einschätzung „der Medien“ als Institution.
- Defizite werden an Stellen festgemacht, die auch an den Medien insgesamt kritisiert werden: Einseitigkeit, mangelnde Wahrnehmung der Funktionen als Kontrolleur des Establishments oder Anwalt des Publikums.
- Diese Mängel werden allerdings nicht primär den Journalisten zur Last gelegt, sondern deren Vorgesetzten und Arbeitgebern. Viele Bürger gehen davon aus, dass Journalisten nicht sagen dürfen, was sie wirklich denken.
- Das große – inhaltlich aber sehr diffuse – Misstrauen der „Zweifler“ gegenüber etablierten Medien ist vermutlich nur die Spitze des Eisbergs für ein grundsätzliches Dilemma, vor dem Medienanbieter stehen:
- Ein allgemeines Unbehagen gegenüber Politik, Wirtschaft und anderen gesellschaftlichen Eliten, das sich im Zuge der Krisen der vergangenen Jahre nun auch offensiv manifestiert.
- Dieses Unbehagen erfasst – da sie „als Teil des Systems“ wahrgenommen werden – auch die Medien. Der Eindruck, dass die Medien das Establishment stützen oder gar von ihm gelenkt werden, gibt diesem Dilemma weitere Nahrung.
- Vor diesem Hintergrund ist auch die hohe Zustimmung zu der Einschätzung, dass in den Medien häufig absichtlich die Unwahrheit gesagt wird, zu werten.
Zurück zur Grafik der Gruppen und zu Georg Mascolo pars pro toto. Schaue ich durch die heutige Berichterstattung zur Studie, bestätigt diese, was in den Tiefen der Studie schlummern wird, weil sie nicht auf die dünne Benutzer-Oberfläche der real existierenden Medienwelt passen.
Bei jeder Studie muss man beachten, dass Befragte oft antworten, was sie für sozial erwünscht halten oder die Frage insinuiert – Auftraggeber einer Studie selbst meist gut abschneiden. Lässt man beiseite, was in einer öffentlich-rechtlich finanzierten Medien-Studie stehen muss, ist der Befund bestürzend.
72 Prozent zweifeln an der Kompetenz der Parteien und Politiker, die wichtigsten Probleme zu lösen und 55 Prozent vertrauen den Medien nicht. Das ist bei Gott kein Kommunikationsproblem, das ist eine ausgemachte Großkrise. Doch der Kongress tanzt – und ihn setzen viel zu viele Medien ins Bild, weil viel zu viele Medienmacher und Journalisten auf dem Kongress mittanzen (wollen).
Schlussbemerkung: Jeder hat erwartet, dass über den Programm-Parteitag der AfD und seine Ergebnisse negativ berichtet wird. Aber ist auch jedem aufgefallen, dass die Tonlage wie die Menge der Berichterstattung verglichen mit der Anti-AfD-Kanonade der vergangenen Monate vergleichsweise gemäßigt ausfällt? In Österreich debattiert die SPÖ nicht mehr, OB, sondern WIE sie mit der FPÖ ins Geschäft kommt. Nachtigall, ick hör‘ dir ooch in Deutschland trapsen. Für Politiker, Beamte und Journalisten, die dann ihr Verhalten wechseln, gibt es einen historischen Begriff, der sich anbietet: Märzgefallene. So hießen die tatsächlich ums Leben gekommenen Revolutionäre von 1848 und die Umfaller, die 1933 scharenweise in die NSDAP eintraten – später „Mitläufer“ genannt.