Tichys Einblick
Drah' di um! Kommissar Kusenberg nimmt sich einen 30 Jahre alten Fall zur Brust

Out of the Dark: Amadeus, der Spiegel und Deutsch als Fremdsprache

Die Legende lautet: „Rock me Amadeus“ von Falco machte erstmals ein deutschsprachiges Lied zur Nr. 1 der amerikanischen Charts! Die Legende ist falsch - aber sie lebt.

Österreicher haben ein schlimmes Schicksal: Sobald sich einer erdreistet, international erfolgreich zu sein, wird er von uns Deutschen allzu gern einverleibt und als gefühlter Landsmann präsentiert. Auch bei Falco war das so, dem feschen Wiener Rapperknaben, dem vor fast genau 30 Jahren ein so großes Husarenstück gelang, dass er kurzzeitig im gesamten deutschen Sprachraum eine stolzgeschwellte Gemeinschaftsbrust anschwellen ließ: Mit seinem „Rock me Amadeus“ war erstmals ein deutschsprachiges Lied zur Nr. 1 der amerikanischen Charts geworden! Die Lobeshymnen auf „unseren“ Hansi Hölz liefen im Frühjahr 1986 als medialer Dauerkanon und sind bis heute nicht gänzlich verklungen. Allerdings gibt es an der immer wieder verbreiteten Darstellung dieser Erfolgsstory seit je her ein klitzekleines Problem: sie ist falsch! Auch wenn ein wahrer Kern drin sein mag, sogar den Begriff „Halbwahrheit“ hielte ich hier für zu hoch gegriffen …

Meine folgende „Enthüllungsgeschichte“ fußt auf persönlicher Forschungsarbeit ohne Auftrag. Vor 30 Jahren war ich das, was man heute einen „Nerd“ nennen könnte: Ich war ein Statistikfreak und der Popmusik verfallen, ich hing unentwegt am Radiogerät, drehte die abgelegensten Kurzwellensender rein, blätterte regelmäßig im Kaufhaus musikrelevante Zeitschriften durch (natürlich ohne sie zu kaufen) und sicherte meine internationalen Chart-Informationen akribisch mit einem Sparkassen-Kuli auf kariertem Papier. Anders ging’s nicht. Und wir hatten ja sonst nix. „Rock me Amadeus“, bei uns 1985 veröffentlicht, dürfte jedem noch in den Ohren klingen, oder? Ein Klassiker im mehrfachen Wortsinn! Falco beherzigte ab hier sein oft gewähltes textliches Stilmittel, die Strophen in deutscher Sprache zu singen, lediglich den Refrain hingegen (zumindest den Songtitel) auf Englisch, seine Diskographie lässt das auf den ersten Blick als Konstante erkennen. Im Verbund mit dem niederländischen Schreiberduo Bolland & Bolland entstanden auf diese Weise zahlreiche Hits, von denen „Amadeus“ auf dem hiesigen Markt derart einschlug, dass Falco & Co. damit auch den Sprung in die USA wagten. Im April 1986 war es so weit: Falco, ein DEUTSCHsprachigER, stand auf dem Gipfel der „Billboard Hot 100“, DIE Hitliste der Vereinigten Staaten. Ja, das war und ist ein bewunderungswürdiger Volltreffer, doch einem deutschsprachigen Lied, wie es stets kolportiert wird, war dieser Erfolg mitnichten beschieden! Was die Chronisten gern übersehen, ist die Tatsache, dass eigens für das Abenteuer Amerika eine dem US-Markt angepasste Version von „Rock me Amadeus“ erstellt wurde, der sog. Salieri-Mix. Diese Version unterscheidet sich erheblich von der uns bekannten: sie hat einen anderen Klang, sie enthält einen von einem amerikanischen Muttersprachler aufgesagten Text-Part und degradiert Falcos ursprünglichen, dominanten Sprech-Gesang zu einem bruchstückhaften, sporadischen Randereignis. (Dass ausgerechnet Salieri als euphemistischer Namensgeber für solch ein Machwerk herhalten musste, tut mir leid für ihn.) Diese und nur diese Version war es, die in den USA bekannt wurde.

Wie „deutsch“ Falcos amerikanisches One-Hit-Wonder war, zeigt der Songtext des Salieri-Mix‘ – die härtesten Redundanzen hab‘ ich schon weggelassen:

(Sängerin)

Ooh, Rock me Amadeus! Ooh, Rock me Amadeus!

(Falco, verhackstückt)

Pa-pa-pa-pa-punker, rock me! Punker, punker, rock me, rock me! Pa-pa-pa-pa-punker, rock me! Punker, punker, rock me, rock me!
Su-su-su-su-superstar, superstar, rock me, rock me! Su-su-su-su-superstar, superstar
Po-po-po-po-po-po-po-po-po-po-po-po-po-po-po-po-po-po-po-po-populär!

(Sprecher)

1756, Salzburg, January 27, Wolfgang Amadeus Mozart is born. 1761, at the age of five Amadeus begins composing.
1773, he writes his first piano concert.
1782, Wolfgang Amadeus Mozart marries Constance Weber. 1784, Wolfgang Amadeus Mozart becomes a free mason.
1791, Mozart composes „The Magic Flute“.
On December 5th of the same year, Mozart dies.
1985, Austrian rock singer Falco records:
Rock Me Amadeus! Amadeus, Amadeus, …

(Falco, Refrain)

Amadeus Amadeus, Amadeus, Amadeus Amadeus, Amadeus, Amadeus Amadeus, oh oh oh Amadeus.

(Sängerin)

Ooh, Rock me Amadeus! Ooh, Rock me Amadeus!

(Falco, verhackstückt)

Wun-wun-wun-wun-wunderbar, wunderbar Wun-wun-wun-wun-wunderbar, wunderbar…
Su, su, su, sugar sweet, sugar sweet. Su, su, su, sugar sweet, sugar sweet.
I-I-I-Idol, Idol.

(Sängerin)

Baby, baby, do it to me, rock me. Ya, ya, yeah!

(Falco, Refrain)

Amadeus Amadeus, come on, rock me, come on, rock me Amadeus! Oh oh oh, Amadeus!

Na, welche Sprache ist das? Ich finde (auch mit äußerstem Wohlwollen): Ein „wunderbar“ macht noch keinen Goethe …

Seit 30 Jahren geht der nie verschwundene Nerd in mir mit diesem Wissen schwanger und versucht, die Menschheit über ihren schlimmen Irrtum aufzuklären:

„Es gab niemals einen deutschsprachigen Nr.1-Hit in den USA!“

Vergebliche Liebesmüh, denn entweder, es hat die Leute nicht gejuckt, oder sie haben mir nicht geglaubt und mich als Charterfolgleugner hingestellt. Drum habe ich nun nicht schlecht gestaunt und fast geweint vor Glück, als ich gesehen habe, dass Spiegel Online anlässlich des AmadeUS-Jubiläums sich dieses Themas angenommen hat und den Lauf der Dinge korrekt darstellt. ENDLICH wird das Kind beim Namen genannt! Warum habe ich dennoch diesen Artikel hier geschrieben? Weil der Spiegel die Geschichte zwar schön und richtig erzählt, aber die einzige Konsequenz dann doch vermissen lässt und stattdessen sogar mit der üblichen Unwahrheit aufwartet:

„Das gelang nur Falco: Ende März 1986 schoss ›Rock me Amadeus‹ an die Spitze der US-Charts – als erster und bis heute einziger deutschsprachiger Song.“

Faszinierend: die Legende ist widerlegt, die Legende lebt! Es dürfte etliche mehr und minder bedeutsame Beispiele für populäre Unwahrheiten vergleichbarer Art geben, die wir aber nie auch nur anzuzweifeln gedachten und manchmal (so wie hier) sogar dann nicht in Frage stellen, wenn neue Fakten das Erzählte eindeutig zumindest ins Wanken bringen. Vielleicht brauchen alle Gemeinschaften schlicht einen „Mann, der Liberty Vallance erschoss“, um fröhlich zu sein, ist schon ok. Nehmen wir die Existenz populärer Unwahrheiten also einfach hin, ihr Erkennen als solche sollte uns aber stets daran erinnern, wie ungemein wichtig es ist, eine gewisse Grundskepsis zu wahren, BEVOR wacklige Geschichten zu denkmalgeschützten Bauwerken werden können. Trotzdem: Danke an Spiegel-Autor Niklas Sailer, vielleicht war er ja genau so ein 80er-Nerd wie ich.

 

Mehr zu Ludger unter www.ludger-k.de

Die mobile Version verlassen