Manchmal wäre es besser, man hielte einfach den Mund. Aber nach dem Massenmord in Hanau wird kein Mund gehalten. Es wird geschrien: Vor Schmerz, vor Zorn, vor Hass, vor Dummheit. Nirgends ein Gedanke, der über die vorhandenen stereotypen Erklärungen hinaus reichte.
I.
Wer das Falsche sagt, ist rechts. Wer rechts ist, sagt das Falsche. Wer aber nichts sagt, liegt erst recht falsch. Heißt es doch, wir dürften jetzt nicht schweigen. Von der Hysteriespirale wird alles mitgerissen.
II.
Jeder Satz, der nun fällt, kann falsch verstanden werden. Entscheidend ist nur, wer was hinein lesen will. Beispiel: Der Täter ist geistesgestört. Schon die Feststellung dieser allgemein akzeptierten Tatsache kann zu Lasten des Sprechenden interpretiert werden. Er hat sich dem Vorwurf zu stellen, mit seinem Satz die Ungeheuerlichkeit eines Massenmords zu relativieren, einen aufgehetzten Rassisten als Einzelgänger zu verharmlosen.
III.
So muss dieser wie jeder andere Satz erst gerechtfertigt werden. Es gilt, ihm eine Gebrauchsanweisung anzufügen, eine Unbedenklichkeitserklärung bereit zu halten. Das tue ich hiermit und stelle fest: Auch der Irre bezieht seine Motive nicht einfach bloß aus seinem eigenen kranken Gehirn. Er benötigt Treibstoff für seinen individuellen Wahn und findet ihn oft genug in kollektiven, religiösen und ideologischen Wahnideen. Der Verrückte von Hanau bediente sich rassistischer Narrative.
IV.
Damit bin ich jedoch noch lange nicht aus dem Schneider. So füge ich – nicht aus taktischen Gründen, sondern aus voller Überzeugung, wie ich ausdrücklich betonen will, – hinzu: Es ist eine infame Vereinfachung, wenn etwa der AfD-Vorsitzende Jörg Meuthen schreibt: „Das ist weder rechter noch linker Terror, das ist die wahnhafte Tat eines gefährlichen Irren.“ Denn es gibt nicht den geringsten Grund, die ideologische Ausrichtung der Tat zu leugnen oder auch nur zu relativieren. Solange die AfD in den eigenen Reihen rechtsextremes Gedankengut zulässt, können auch die „Anständigen“ in ihren Reihen also auch nicht aus der Verantwortung entlassen werden. Als Ausdruck einer unguten Entwicklung unserer Gesellschaft sollte man die AfD niemals verharmlosen.
V.
Vorsicht! Schon wieder und noch immer bringe ich mich in Teufels Küche. Man könnte mir jetzt unterstellen, ich würde die Auffassung vertreten, der irre Terrorist habe in Wahrheit der AfD und überhaupt allen Rechten geschadet. Ich solle doch endlich kapieren, dass diese schlimmen Systemkritiker und Antidemokraten quasi der „parlamentarische Arm des Terrors“ seien und eigentlich verboten gehörten. Ein Satz wie: Auch ohne AfD gäbe es rechten Terror – wäre also hochgefährlich. Obwohl nichts an ihm falsch wäre. Ich bitte deshalb diesen Satz, probehalber notiert, wieder zu streichen. Ebenso wenig ist die Umkehrung des Satzes akzeptabel: Auch ohne Terror gäbe es die AfD. Ich bitte darum, diesen Satz ebenfalls zu streichen. Er entspricht nicht dem der Lage angemessenen Gedankengut.
VI.
Ganz vorsichtig gefragt: Könnte es sein, dass der krankhafte Hass der Rassisten und der Hass auf eine vermeintlich rassistische Gesellschaft eines gemeinsam haben: den Hass? Ich glaube, jetzt habe ich mich endgültig zu weit ins Vergiftete hinaus gewagt. Krank ist selbstverständlich nur der rechte Hass.
VII.
Muss ich dem noch etwas hinzufügen? Ja, es wäre besser für mich. Ich erkläre vollkommen ironiefrei aus gegebenen Anlass ausdrücklich: die Bundeskanzlerin trägt keinerlei Mitschuld an dieser bösen Tat. Diese ist auch nicht der böse Fluch ihrer Taten. Die politischen Fehler der drei Regierungen Merkel wie auch die von mir zigfach beklagten Beschädigungen der politischen Kultur rechtfertigen niemals Gewalt.
VIII.
Doch eigentlich ist es gleichgültig, was ich hier zu meiner Entlastung erkläre, weil ich es hier erkläre. Sie wissen schon, Tichys Einblick geht gar nicht. Es ist eine Echokammer der Rechten, gehört mindestens vom Verfassungsschutz beobachtet. Macht der das nicht schon?
IX.
Einiges von dem, was ich in Kommentaren auf meine Kolumne Woche für Woche lesen muss, ist Unsinn. An manche Leute komme ich nicht heran, sie suchen tatsächlich ausschließlich Bestätigung ihrer Ansichten. Doch trotz aller Zweifel hänge ich der vielleicht illusionären Vorstellung an, dass der demokratische Diskurs alle einbeziehen müsse, wenn sich in den Köpfen etwas bewegen solle. Ich halte Meinungsblasen für schädlich und piekse honorarfrei in die eine oder andere hinein, höre aber immer mal wieder, das sei sinnlos.
X.
Mit diesen Anmerkungen bin ich, je nach Perspektive des Lesers, entweder rechts, also praktisch ein rassistischer Hetzer, oder ein vom linken Mainstream eingeschüchterter Opportunist.