Tichys Einblick
Auch bei der Münchner Sicherheitskonferenz

Syrien und Libyen: Um Deutschland wird es einsam

Die beiden Mittelmeerkonflikte offenbaren den regierungsamtlichen deutschen Realitätsverlust. Währenddessen droht in Syrien eine direkte Konfrontation zwischen Türken und Russen.

Heiko Maas auf der Münchner Sicherheitskonferenz

Abdulhamid Hosbas/Anadolu Agency via Getty Images

Während der Drei-Mann/Frau-Präsident (Gabriel-Merkel-Seehofer kungelten Steinmeier im Alleingang aus) der Bundesrepublik anlässlich der Münchner Sicherheitskonferenz die gegenwärtigen Großmächte China, Russland und die USA anklagte, die Welt in Unsicherheit zu stürzen, und dabei vergaß, konstruktive Lösungen zur Besserung anzubieten, setzte in Syrien die von den Russen gestützte Assad-Armee ihren Vormarsch fort. Auch verbale Solidaritätsadressen aus den Chefbüros der USA und der NATO für den Hazardeur Erdogan halfen nichts: Seine Verbündeten von den syrischen Islammilizen befinden sich im Rückwärtsgang.

Assad baut Positionen aus

In den vergangenen Tagen konnte Assad den Sicherheitskorridor der wichtigen Schnellstraße M5 als Verbindung zwischen Aleppo und Damaskus gegenüber den Rebellengebieten weiter ausbauen. Dabei war der Abschuss eines Assad-Hubschraubers, dessen Piloten nach Informationslage gelyncht worden sein sollen, zwar ein Rückschlag – den Vormarsch der Bodentruppen in die zuvor von russischen Jets niedergebombten Positionen und Dörfer der Provinz Idlib bremsen allerdings konnte auch das nicht.

Die russisch-syrische Front schiebt sich derzeit gezielt gegen die nahe der Grenze zur Türkei gelegene Stadt Samada, treibt so einen Keil zwischen die türkisch besetzten Gebiete um die Kurdenstadt Afrin und die Rebellenhochburg Idlib. Ist das Vorgehen der Syrer erfolgreich, wird der wichtigste Nachschubweg der in Syrien stationierten Truppen der Türkei abgeschnitten. Erdogans Invasoren haben deshalb zwei neue Stützpunkte errichtet, die offensichtlich dem ausschließlichen Ziel dienen, Samada militärisch abzusichern.

Maas dokumentiert Weltfremdheit

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Gleichzeitig verliert sich die Diplomatie in gegenseitigen Schuldzuweisungen und Drohungen. Heiko Maas dokumentierte einmal mehr seine Weltfremdheit, indem er am Sonnabend an die Russen appellierte, sie sollten ihren Einfluss auf Assad geltend machen und dessen Regierung veranlassen, die Angriffe auf Idlib zu beenden. Dabei ist offensichtlich, dass Assads Vorgehen eng mit Putin und dessen Militärs abgestimmt ist. Nach wie vor fliegen die in Hmeimim stationierten Kampfflieger die erste Welle, bevor Assads Artillerie nachlegt und dessen Bodeneinheiten die ehemaligen Rebellengebiete besetzt. Russland nimmt bei seinen Angriffen deutlich weniger Rücksicht auf die Zivilbevölkerung als die USA in ihrem Anti-Terrorkampf gegen die afghanischen Taliban. Bemerkenswert dabei: Gerät bei letzteren versehentlich eine private Picknick-Gesellschaft in das tödliche Feuer, geistert dieses umgehend groß durch die bundesdeutschen Medien. Die Tatsache, dass russische Angriffe allein seit Freitag nach Angaben der Nationalen Befreiungsfront Syriens mindestens fünf zivile Todesopfer gefordert haben sollen, wird weitgehend ausgeblendet. Stattdessen berichten einige Medien von „in die Hundertausende gehenden Flüchtlingsströmen“ (die Süddeutsche Zeitung spricht sogar von 700.000), die allerdings – unabhängig davon, dass Zivilfahrzeuge Richtung türkische Grenze unterwegs sind – aus den örtlichen Quellen nicht bestätigt werden. Hier wird offenbar türkische Propaganda ungeprüft übernommen, um so NATO und EU zum Handeln zugunsten Erdogans zu bewegen.
Kriegstreiber in Ankara

Konkrete Zahlen über die Truppenstärke der Türkei in Syrien sind bislang nicht verifizierbar. Tatsache allerdings ist, dass Erdogan seit Wochen massiv schweres Gerät und Bodentruppen in das Nachbarland verbringen lässt. Kriegstreiber in Ankara wie der mit Erdogan verbündete Vorsitzende der türkischen Nationalfaschisten, Devlet Bahceli, fordern offen den Vormarsch bis Damaskus. „Syrien soll brennen“, lässt er sich zitieren. Sollte Erdogan seinem Partner folgen, wäre der große Krieg unvermeidbar – den allerdings versucht Erdogan angesichts der Unvermeidbarkeit eines dann offenen Schlagabtausches mit Russland zu umgehen, indem er glaubt, aus einer Position der gefühlten Stärke heraus doch noch Verhandlungserfolge durchsetzen zu können. Die nunmehr bereits regelmäßige, direkte militärische Konfrontation mit Assad-Einheiten gehört dabei mittlerweile zu seinem ständigen Repertoire. Am Sonnabend versuchte es der türkische Außenminister einmal mehr mit Drohungen: „Wenn wir keine Übereinkunft mit Russland erreichen, werden wir entscheidende Schritte einleiten“, ließ Mevlüt Cavosoglu wissen, ohne näher zu erläutern, welche Schritte dieses sein werden.

Russland allerdings lässt den türkischen Präsidialdiktator zappeln. Es ist offensichtlich, dass Putin die Konfrontation mit der Türkei nicht scheut. Dann allerdings könnte sich der Konflikt möglicherweise nicht mehr auf die türkisch besetzten Gebiete Syriens begrenzen lassen. Armenische Quellen berichten, dass dort angesichts der zumindest gefühlten, ständigen Bedrohungen durch die Türkei Vorbereitungen für den Fall getroffen werden, dass die syrischen Kämpfe sich zum Konflikt zwischen Türken und Russen entwickeln sollten.

Vorsorglich und in bewusster Demütigung der Türken hat daher das Syrische Parlament Ende vergangener Woche die Massaker der Jungtürken an den Armeniern im Zuge des Ersten Weltkrieges, bei denen in die syrische Halbwüste getriebene Zivilisten dort bewusst dem Hungertod ausgesetzt worden waren, als Völkermord eingestuft. Kaum vorstellbar, dass dieser Parlamentsbeschluss nicht in enger Abstimmung mit Russland erfolgte und darauf abzielt, im Ernstfall im Nordosten der Türkei eine zweite Front eröffnen zu können.

Syrien und Libyen hängen zusammen

Zunehmend offensichtlich wird mittlerweile, dass die Intensivierung des syrischen Vorgehens gegen die islamischen Verbündeten der Türkei in Idlib in unmittelbarem Zusammenhang mit dem türkischen Libyen-Engagement steht. Russland scheint konkrete Beweggründe gehabt zu haben, Assads Vormarsch abzusichern: So hatte Erdogan Einheiten der syrischen Islammilizen nach Libyen bringen lassen, um dort den auf verlorenen Posten stehenden Saradj an der Macht zu halten. Die NZZ sprach hierbei von mindesten 2.500 Syrern, die nun in Idlib fehlen. Nicht nur die Gefahr, den Vormarsch des Generals Haftar zu verzögern und damit den Konflikt in Libyen unnötig in die Länge zu ziehen – auch die bilaterale Aufteilung des östlichen Mittelmeeres zwischen Erdogan und Saradj wird erheblich zur Missstimmung der Russen beigetragen haben.

Während in Syrien die Luft für Erdogan deutlich dünner wird – so haben jüngst Assad-Regime und die arabisch-kurdischen Vertreter der Syrian Democratic Forces (SDF) wissen lassen, dass sie die erste Runde ihrer Kooperationsgespräche erfolgreich abgeschlossen haben und nunmehr in Verhandlungen über ein Nachkriegs-Syriens eintreten werden, wobei regionale Autonomierechte im Vordergrund stehen sollen – ist Libyens Haftar selbst auf diplomatischem Parkett unterwegs und bereitet sich darauf vor, in absehbarer Zeit als einziger Repräsentant des afrikanischen Landes zu agieren.

So wurden nicht nur intensive Gespräche zwischen Haftar und Libyens westlichem Nachbarn Algerien über die künftigen Beziehungen bekannt – der General mit US-Pass traf sich auch mit Italiens Luigi di Maio in Benghazi. Dort vereinbarten die Gesprächspartner die Sicherung der Seegrenze zwischen den beiden Mittelmeerstaaten.

Diese Entwicklung dürfte insbesondere jenen Schlepper-NGO missfallen, deren Geschäftsmodell darauf beruht, die von libyschen Menschenhändlern (manche behaupten auch: der italienischen Mafia) auf seeuntüchtige Schlauchboote verbrachten, illegalen Migranten in die EU zu schaffen. Vor allem daran, diese Schlepperdienste zu unterbinden, ist Italiens Regierung interessiert, denn das Vorgehen der NGO treibt Italiens Wähler in die Arme des früheren Innenministers Matteo Salvini, dessen Lega auf dem besten Wege ist, stärkste politische Kraft auf dem Stiefel zu werden.

Um Deutschland wird es einsam

Ohnehin zeigt sich an Syrien und Libyen exemplarisch, wie wenig einig sich nicht nur die NATO-Staaten in der Beurteilung der Situation sind, wenn vor allem die Bundesrepublik in Furcht vor weiteren Flüchtlingsströmen sich dem Irrationalismus Erdogans unterwirft. Mehr noch wird die zunehmende Isolation der Bundesregierung im Libyenkonflikt deutlich. Während die Mittelmeerländer Frankreich, Italien, Griechenland und Zypern sich zunehmend offen zu Haftar bekennen, hält die Bundesrepublik fast schon verzweifelt an der Idee fest, Saradj als libyschen Premier und einzigen Gesprächspartner stützen zu müssen. Der regierungsamtliche Realitätsverlust bundesdeutscher Politik erschöpft sich offensichtlich nicht nur in den selbsterzeugten, innenpolitischen Turbulenzen rund um die verfassungsrechtlich und demokratisch nicht zu beanstandende Wahl eine FDP-Ministerpräsidenten für Thüringen.

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