Frank Plasberg ist rechtzeitig wieder gesund geworden. Jedenfalls mangelt es seit der Ministerpräsidentenwahl in Thüringen nicht an Aufregern, die man auf fünfundsiebzig Minuten Hart aber fair ausbreiten kann. Wenn bei quasi Themengleichheit der Sendetermin allerdings so eng beieinander liegt mit Anne Wills Aufschlag vom Vortag, wird’s erfahrungsgemäß schwer für Plasberg.
Drehte sich bei Anne Will noch alles um Thüringen, geht Plasberg die Scherben aufsammeln, nimmt er bei Hart aber fair noch den angekündigten Rückzug der Vorsitzenden der CDU mit ins Programm, von dem Anne Will noch nichts wissen konnte.
Leider muss der frisch Genesene (Plasberg musste sich zuletzt vertreten lassen) mal wieder mit der zweiten Garde der Diskutanten vorlieb nehmen. Aber nicht nur das: Sieht man die AfD im Auge des Thüringer Hurrikans, geht die blaue Partei bei Plasberg schon traditionsmäßig leer aus – wir erinnern uns: der Moderator selbst hatte den Ex-Parteivorsitzenden Alexander Gauland für immer seines Studios verwiesen. Heute bleibt er weiter dabei, wo Anne Will noch erfolglos Alice Weidels Grinsen über den Zwist der anderen mit bösem Blick aus dem Gesicht der AfD-Frau hexen wollte. Auch Meuthen oder andere bekommen bei Plasberg heute keinen Platz.
Fast-Außenminister Cem Özdemir von den Grünen ist ein weiterer lachender Dritter, wenn jetzt nach dem der SPD der rasende Niedergang der CDU verhandelt wird. Grund zum feixen hätte sicherlich auch die Ex-Piratin Marina Weisband, die derzeit die Grünen in netzpolitischen Fragen berät.
Wen haben wir noch dabei? Professor Rudolf Korte gibt den Wahlanalysten und Parteienversteher und Kristina Dunz von der Rheinischen Post darf dann so etwas wie der journalistische Sidekick für Frank Plasberg sein. Klar, schlechter machen als Melanie Amann gestern bei Anne Will geht gar nicht, wo die laute Politwalküre Spiegel sich sogar noch mit deutlichem Vorsprung gegen Will im Unterbrechen und Dazwischenreden profilierte.
„Haltlos, machtlos, ratlos: Was folgt aus dem Tabubruch von Thüringen?“
Thomas Oppermann nennt, was da in Thüringen passiert ist, den „Ausverkauf der parlamentarischen Demokratie.“ Und Bodo Ramelow hätte doch sowieso sozialdemokratische Politik gemacht. Ach, das klingt immer alles so schwiemelig nach heimeliger und heimlicher Bonner Republik, was der Oppermann dem Zuschauer noch mit auf den Weg in die Tagesthemen geben will. Norbert Röttgen erdet solche ihm sichtbar unangenehmen Nostalgiewallungen und erinnert an die massiven Stimmenverluste von Rot-rot-grün in Thüringen.
Kristina Dunz fällt dazu der Unvereinbarkeitspassus der Union gleichermaßen mit der AfD wie mit der Linkspartei ein, den sie bemängelt. Röttgen erinnert die rheinische Journalistin an die Nichtverarbeitung des SED-Erbes der Linkspartei, was ihm Grund genug für die weitere Ächtung gleich beider Parteien ist.
Plasberg hört Röttgen zu und tritt ihm dann sanft vors Schienbein, als er einen Kommentar des CDU-Vorstandmitglieds Elmar Brok einspielt, der sich angesichts des Handtuchwurfes von Annegret Kramp-Karrenbauer über die Werte-Union hermacht, die seiner Meinung nach nicht in die CDU gehören würde.
Die allerdings hat mittlerweile immerhin viertausend Mitglieder. Ist das schon genug Saft für so etwas wie eine AfD light? Also für noch einen weiteren Player rechts der Union, nur nicht ganz so rechts und dann vielleicht tatsächlich ein Auffangbecken für AfD-Ernüchterte?
Wenn Kristina Dunz noch irgendwie konstruktiv befindet, die Werte-Union würden doch gut den rechten Rand innerhalb der CDU markieren, weiß Norbert Röttgen offenbar schon mehr, wenn er zunächst feststellt, das wäre keine Organisation innerhalb der CDU, sondern „bedauerlicherweise“ eben eine, in der CDU-Mitglieder Mitglieder seien.
Röttgen möchte eine „glasklaren Trennungsstrich zur so genannten Werte-Union“. Vielleicht ist das taktisch sogar richtig schlau als Win-Win-Situation für beide Seiten, wenn die CDU endlich einen akzeptablen Puffer hat. Plasberg fragt noch einmal nach: „Entscheidet sich beim Umgang mit der Werteunion der Kurs der Union?“
Auch das könnte die falsche Frage sein, dann jedenfalls, wenn ein Ausschluss beiden nutzen könnte: Der Werte-Union, deren Name jetzt schon Marke ist und die endlich besagten Puffer zur AfD aufgestellt hätte, die man dann verbal noch konsequenter ausgrenzen kann, wenn die verunsicherten und teilweise schon geächteten AfD-Wähler endlich eine „saubere” Alternative in der Werte-Union fänden.
Özedmir will keine Werte-Union in der CDU: „Ihr braucht keine zweite AfD, die gibt es schon.“
Sicher: Kommunizieren sollte man solche schmutzigen Taktiken nicht. Aber Norbert Röttgen ist ein alter Hase, der weiß, wie es geht und Oppermann grinst dazu, klar, er hat’s gerade auch kapiert oder tut jedenfalls mal so, als ob, kann ja nicht schaden.
„Eigentlich hieß der Orkan ja Sabine, aber dann kam Annegret.“, so karnevalistisch hatte Frank Plasberg eröffnet und Oppermann fand am schnellsten wieder Worte: „Der Rücktritt war falsch, den Triumph hätte man der AfD nicht gönnen dürfen.“
„Ist das eine Gefahr für das ganze politische System, haben sie da auch Muffe?“ fragt Plasberg so kumpelig, wie es nur geht, den Kumpel Özdemir, der den lachenden Dritten in der AfD in Thüringen ausmacht und befindet, die AfD wolle dieses Land mit Hass kaputt machen. Özdemir fürchtet jetzt sogar Neuwahlen auf Bundesebene „die er diesem Höcke oder wie er heißt“ nun auf keinen Fall gönnen will. Für Neuwahlen gäbe es tausend andere Gründe, aber bitte nicht jetzt. Tausend, war da nicht was? Darf man tausend noch sagen? Egal.
Leider wird es dann auch ein bisschen unschön, wenn die Brandmauer auch von Cem Özdemir legitimiert wird gegen eine angebliche Relativierung des Nationalsozialismus Seitens der AfD, wo doch der eigentlich Grund – das weiß auch Özdemir – für diese Brandmauer eine ganz anderer ist: Die nämlich wird da fleißig gemauert, wo es um Kritik an der Migrationspolitik und neuerdings auch der Klimapolitik und der De-Industrialisierung der Merkelregierung geht.
Eine Mauer, die im Übrigen auch gegen die Bevölkerung aufgebaut wird, wenn sich der Bürger entscheiden soll, ob er nun diesseits oder jenseits dieses ausgrenzenden Bauwerkes leben will. Bei aller wichtigen und angebrachten Erinnerungskultur hat das alles mit historischen Fragen recht wenig zu tun, wenn es in der Tagespolitik um die Weichenstellungen für die Zukunft des Landes geht. Es dürfe nicht einmal ein Blinzeln geben gegenüber der AfD sagt Özdemir noch und blinzelt dabei.
Hätte, hätte Fahrradkette. Was hat Kramp-Karrenbauer falsch gemacht? Was für eine Frage eigentlich, wenn alles so mehltauig im übergroßen Schatten der Kanzlerin steht. Röttgen möchte den Abgang von Kramp-Karrenbauer jedenfalls noch vor der Sommerpause erledigt haben. Aber wer übernimmt, wenn sich jetzt die Nachfolgekandidaten warm machen? Die Weltstaatsfrau Merkel steht längst jenseits solcher parteitaktischer Bewegtheiten dort in den Niederungen, im politischen Grabenkampfurschlamm, dem sie einst unter Helmut Kohls Oberaufsicht entstiegen ist.
Der nächste krachende Tusch folgt, als Marina Weisband FDP-Chef Christian Lindner einen rassistische Schildbürger nennt, weil der mal beim Brötchenkauf wissen wollte, wer da neben ihm seine Brötchen kauft und ob der auch rechtmäßig hier sei.
Aber zurück zu Kramp-Karrenbauer. Wer folgt ihr nun? Laschet oder Merz? Folgt bei der Union nun auch so eine Castingrunde wie bei den Sozialdemokraten? Aber da steht Angela Merkel davor. Die SPD hatte keine solche übermächtige Dirigentin, die im Hinterzimmer alleine für sich castet.
Röttgen warnt: Eine Erneuerung einer Partei funktioniert nicht, indem man die Führungsfiguren wechselt. Diese Messiaserwartung würde nur immer weiter nach unten führen. „Wir müssen uns doch mal mit den Problemen beschäftigen, warum wir diese Situation haben.“, ereifert sich Röttgen.
Aber welches Jahr schreiben wir eigentlich? Ist noch 2015, schon 2016 oder gar 2017? Nein, die Altparteien haben fünf Jahre damit zugebracht, die wichtigsten Fragen zu Unfragen zu erklären und der AfD zu überlassen, aber auch diese Erkenntnis ist so alt, das man das Geräusch der Bartwickelmaschinen in allen Parteizentralen hören müsste. Und Röttgen macht es wie Oppermann und verwechselt FDP mit AfD. Siegmund Freud lässt beide schön grüßen.
„Aber wo sind die Ideen?“ richtet Kristina Dunz ihre Frage direkt und zu Recht an Röttgen. Der nickt zustimmend, aber was gibt es da eigentlich zu nicken, wo doch Antworten fällig wären?
Aber wie er die Brandmauer gegen die Wähler der AfD durchlässig halten will, bleibt er den Zuschauern schuldig – wahrscheinlich ist das das Hauptproblem der Stunde. Aber auch das ist wahrlich kein neues, sondern eng damit verbunden, das die Politik der Merkelregierung eben diese Probleme selbst produziert. Also muss der Hebel gar nicht bei der AfD angesetzt werden, da hat Thomas Oppermann aus Versehen Recht, obwohl er es ganz anders meint.
Die CDU muss endlich die verheerende Migrationspolitik ihrer Kanzlerin stoppen und auch mit der Wohlstand vernichtenden wie planlosen De-Industrialisierung des Landes Schluss machen. Dann wird es auch kein Probelm mehr mit der AfD geben. Weil es dann keine AfD mehr braucht. Oder wie sagte Gregor Gysi noch vor einigen Jahren in etwa, als es um die Frage ging, wie es mit dem Mitregieren der Linkspartei auf Bundesebene bestellt sei: Warum? Wenn die anderen unsere Themen und unsere Politik übernehmen, dann braucht es uns doch gar nicht mehr. Das gleiche gilt heute sicher auch für die AfD. Aber noch schenken die anderen ihr ein Monopol auf viele legitime Themen und sind weit davon entfernt, sich um diese zu kümmern.