Karlheinz Endruschat hat vor einigen Tagen nicht nur in seiner Heimatstadt Essen einiges Aufsehen erregt, als er aus der SPD austrat. Sozialdemokratischer als Endruschat kann man eigentlich kaum sein. Er stammt aus einer Bergarbeiterfamilie, war Sozialarbeiter und jahrelang in der Essener Kommunalpolitik als Mitglied des Stadtrates aktiv. Warum will er nicht mehr in der SPD bleiben?
Zu Beginn unseres Telefongesprächs entschuldigt sich Endruschat. Er müsse erst noch ein Gespräch auf der anderen Leitung beenden.
Karlheinz Endruschat: Da war ein alter Genosse dran, ein ehemaliger Landtagsabgeordneter aus Essen-Altenessen. Er ist gerade noch geehrt worden für 50 Jahre Mitgliedschaft. Und jetzt tritt er aus.
TE: Warum?
Aus ähnlichen Gründen wie ich selbst. Ich habe schon vor zwei Jahren gewarnt. Damals habe ich von „Muslimisierung“ gesprochen. Das würde ich heute nicht mehr so formulieren, weil ich feststellen musste, dass sich alle an diesem Begriff abarbeiten, ohne dann noch auf die Sache eingehen zu müssen. Mir ging es darum, dass wir zunehmende Probleme mit Migration in bestimmten Stadtteilen haben. Und das hat sich seitdem bestätigt. Es fehlen inzwischen Kita-Plätze, es fehlen Lehrer. Die Lage an den Schulen ist sehr schwierig, weil ein sehr hoher Anteil der Kinder Migranten sind. Laut Pisa-Studie reicht ja schon ein Anteil von 20 Prozent dafür, dass die Leistungen schwächer werden, wenn man nicht dagegensteuert. Wir haben aber teilweise Klassen, in denen nur noch zwei oder drei deutsche Schüler sind. Auch aus den Reihen der Schüler kommt schon die Forderung, dass man da anders mischen muss.
Meine Kritik wurde zwar verbal spektakulär gekontert. Wir suchen keine Sündenböcke, wir suchen Lösungen, hieß es. Aber die Lösungen sind ausgeblieben. Da ist nichts passiert. Der Parteivorstand der Essener SPD hat einen Arbeitskreis eingerichtet. Aber der wurde im Grunde von Anfang an boykottiert. Ich glaube, der hatte eigentlich nur die Aufgabe, mich ruhig zu stellen. Das habe ich mir ein Jahr lang angeschaut und dann den Arbeitskreis für beendet erklärt.
Gab es einen ganz konkreten Anlass für Ihren Austritt?
Ich wurde konsequent geschnitten, zum Beispiel bei Parteivorstandssitzungen. Niemand war bereit, über Probleme zu diskutieren. Dann wurden in meinen Ortsverein sozusagen über Nacht 36 neue Mitglieder eingeschleust, damit die bei einer anstehenden Empfehlungsveranstaltung gegen mich stimmen. Das hat dann auch geklappt. Irgendwann ist eben der Punkt erreicht, wo man nicht mehr will.
Was waren das für neue Mitglieder?
Die kamen zum Beispiel aus dem Knappenverein und waren mit einigen Leuten im Ortsverein verbandelt. Diese Leute wurden – zunächst am Vorstand des Ortsvereins vorbei – in die Mitgliederliste aufgenommen. Als ich das feststellte, habe ich darauf bestanden, dass der Vorstand entscheiden muss, was der dann mit einer knappen Mehrheit getan hat. In unserer Partei gibt es nicht wie in anderen eine Schutzfrist, innerhalb der neue Mitglieder nicht mitstimmen dürfen.
Also eine Intrige gegen Sie?
Das war eine massive Intrige. Und da machten Leute mit, die ich für Freunde hielt. Zum Beispiel ein Ratsmitglied, dem ich vor Jahren geholfen habe, eine ähnliche Situation zu überstehen. Das war nicht nur eine politische, sondern auch eine menschliche Enttäuschung.
Thilo Sarrazin sprach im Interview mit uns davon, dass die SPD-Führung teilweise in den Händen fundamental orientierter Muslime sei, die eine kritische Diskussion des Islam in Deutschland grundsätzlich verhindern wollen. Konnten Sie so etwas auf regionaler Ebene in Essen und im Ruhrgebiet feststellen?
Das könnte für andere Städte vielleicht zutreffen, aber für Essen auf keinen Fall. Wir haben eher wenige Muslime in der SPD. Da hat die CDU einen größeren Anteil. Und die sitzen auch nicht in solchen Positionen, dass sie Einfluss nehmen könnten.
Drängen denn in letzter Zeit muslimische Zuwanderer in die SPD?
Nein, nur vereinzelt.
Welches Motiv sehen Sie hinter der Intrige gegen Sie und dem Unwillen, auf Probleme im Zusammenhang mit der Zuwanderung einzugehen?
Werden diese Probleme von den Bürgern bei Wahlkämpfen angesprochen?
In den betroffenen Stadtteilen ist das, was ich sage, eine Binsenweisheit. Das Problem ist eben, dass die Politik der SPD aus den wohlhabenden Stadtteilen heraus gemacht wird. Da leben auch diejenigen, die Posten und Funktionen in der Partei haben. Man könnte den Eindruck bekommen, dass die Partei sich für Stadtteile wie Altenessen gar nicht mehr besonders interessiert. Man hat wohl irgendwann entschieden, vielleicht auch nur informell, dass man diese Stadtteile mit den Problemen der Zuwanderung belasten will. Und das schlechte Gewissen entlastet man, indem man Dekorationen schafft, wie mal eine Grünanlage. Aber die eigentlichen Probleme dieser Stadtteile im Niedergang nimmt man nicht auf.
Was wird aus der SPD in solchen Städten wie Essen, die ja ihre historischen Hochburgen sind, werden? Wird sie von der AfD als Partei der kleinen Leute abgelöst?
Das ist die aktuelle Entwicklung, ja. Die AfD bekommt in den benachteiligten Vierteln einen Wähleranteil von 16 bis 24 Prozent, bei einem Gesamtanteil von 8 Prozent. Die werden noch stärker werden. Es sei denn, es gelingt, eine Alternative aus der Mitte der Gesellschaft aufzubauen. Ich hoffe, dass wir das zumindest kommunal schaffen.
Sie sind da schon aktiv?
Ja. Ich habe mit anderen früheren Sozialdemokraten und früheren FDP-lern ein sozialliberales Bündnis in Essen gegründet, in dem wir jede Zusammenarbeit mit Extremisten auf beiden Seiten ablehnen, und uns um die frustrierten sozialdemokratischen Wähler kümmern wollen, die Leistungsträger, Facharbeiter, Angestellte, Beamte. Jene Menschen, die sich in der SPD überflüssig vorkommen müssen.