Wie haben wir gelacht und uns auf die Schenkel geklopft, wenn der deutsch-türkische Kabarettist Serdar Somuncu bei Nuhr oder in der „Anstalt“ im ZDF uns Deutsche mit seinen urkomischen Kalauern das Zwerchfell erschüttern wollte. Wie tapfer und schonungslos ging er gegen AFD, Jungnazis und alles Blonde hierzulande in die Vollen seiner satirischen Kunst. Doch wie überrascht ist man jetzt, wenn er im neuesten Spiegelheft erklärt: „Warum Deutschtürken sich lieber auf Erdogan verlassen als auf deutsche Politiker.“
Plötzlich zögert er durchzuziehen, wie es doch sonst sein Alleinstellungsmerkmal und eigentlicher Markenkern ist, wenn es um die Ehrverletzung seiner türkischen Klientel geht, die sich durch das Schmähgedicht Böhmermanns tief verletzt und beleidigt fühlt (Spiegel S.30). Nicht dass er direkt gegen Böhmermann polemisieren wollte, nein, das käme schlecht an bei seinen deutschen Kumpanen der Kabarettszene. Es geht gar nicht um Böhmermann, sagt er, sondern „offensichtlich geht es hier vor allem um die Ehre der in Deutschland lebenden Türken. Sie fühlen sich schon lange verfolgt von deutscher Erniedrigung und Überheblichkeit. Sie fühlen sich gedemütigt und verraten.“
Verfolgt? Ein hartes Wort, aber wir Blondies sind nicht nur im Spaß, sondern auch allen Ernstes hart im Nehmen. Es ist gar nicht einfach, uns zu beleidigen. Wir verstehen: Somuncu spricht hier nicht länger als Kabarettist, sondern als Anwalt der Erniedrigten und Beleidigten. Er kann nicht nur Witze reißen, sondern auch weinen und mitfühlen. Außerdem sollten wir doch bitte sehr auch die historischen Zusammenhänge der türkischen Identifikation mit Sultan Erdogan erst einmal verstehen, bevor wir es uns wieder allzu leicht machten und uns über die türkischen Mitbürger moralkritisch erhöben.
Er erklärt uns diese historischen Zusammenhänge kurz und bündig … „warum Erdogan so erfolgreich die Sehnsucht nach einem Wiedererstarken der großen Türkei nach osmanischem Vorbild bedient.“ Auch müssten wir den Stolz und die Leiden des Autokraten Erdogan erst einmal verstehen, bevor wir unsere deutschen Vorurteile wieder ins nationale Sauerkraut schießen ließen: „Innerlich ist Erdogan getrieben von einer Rachsucht, die sich in den Monaten seiner Gefängnishaft angestaut zu haben scheint und die er jetzt auf ähnliche Weise all denen zurückzahlt …“
Erstaunlich diese Empfindsamkeit des Kabarettisten für den Gewaltmenschen, der hier wie ein zweiter Nelson Mandela rauskommt, getragen von einer Empathie, die er mit keinem Ton für die türkischen Journalisten übrig hat, die in Erdogans Gefängnissen schmachten und misshandelt werden, weil sie die Regierung kritisierten. Er empfiehlt sich hier als Historiker, wo man von ihm als Satiriker doch nur erwarten konnte, dass er sich mit dem mit zweimal lebenslänglicher Haft bedrohten Can Dündar, dem Chefredakteur der großen Zeitung Cumhuriyet, klar und einfach solidarisiert. Er findet kein Wort zu Dündar und dessen Kollegen, zu dieser die ganze freie Welt empörenden Schweinerei.
Dündar schreibt in einem offen Brief an Frau Merkel, „der schmutzige Deal hat Millionen Flüchtlinge zu Geiseln eines autoritären Systems gemacht – und er reduziert Deutschland zu einem Land, das aus politischem Kalkül fundamentale westliche Werte aufgegeben hat.“ Darum geht es, nicht um Böhmermann und die beleidigten deutschtürkischen Phantomgefühle, die der Satiriker Somuncu uns mit seinen historischen Zusammenhängen ans Herz legen will. Er hat sich damit als Satiriker und Kabarettist gründlich disqualifiziert und wir werden nicht verwundert sein, wenn er uns demnächst bei Nuhr oder in der ZDF-Anstalt wieder mit seinen groben Kalauern traktiert, sondern uns sagen: Ach, das ist nur der Somuncu wieder. Er kämpft um unsere Sympathie, er hat Talent, gewiss, aber sonst leider nur Mainstreamübliches zu bieten.
Für einen Lehrauftrag an der Özdemir Akademie für die deutsch-türkische Versöhnungsarbeit hat er sich mit diesem Spiegelaufsatz aber immerhin dringend empfehlen können …
Wim Setzer ist Kabarettist, Kunstkritiker und Journalist.