Täglich werden wir mit Begriffen konfrontiert, die im Ergebnis einer als alternativlos gepriesenen Energiewende verwendet werden oder durch sie erst entstanden sind. Wir greifen auch Bezeichnungen auf, die in der allgemeinen Vergrünung in den Alltagsgebrauch überzugehen drohen – in nichtalphabetischer Reihenfolge.
K wie
Kraftwerksstilllegungsanzeigenliste, die
Die Bundesnetzagentur führt nicht nur eine Kraftwerksliste, sondern auch eine Kraftwerksstilllegungsanzeigenliste. Ordnung muss sein, damit der Überblick nicht verloren geht. Langsam ausgesprochen ergibt sich eine schöne Wortmelodie, die nur von wenigen anderen noch getoppt wird, so dem
Elektrizitätswirtschaftsorganisationsgesetz, dem
Finanzmarkststabilisierungsfortentwicklungsgesetz oder der
Grundstücksverkehrsgenehmigungszuständigkeitsübertragungsverordnung.
Verstorben ist bereits das
Rindfleischetikettierungsüberwachungsaufgabenübertragungsgesetz (RflEttÜAÜG) aus Mecklenburg-Vorpommern. Nach einem gewissen Leseaufwand und kurzem Nachdenken weiß man meist sehr genau, was einen erwartet. Ausnahmen gibt es natürlich auch. So gehen aus dem Titel des
Maßnahmengesetzvorbereitungsgesetzes – MgvG
nicht augenscheinlich Sinn und Zweck hervor. Es soll den Weg ebnen, dass der Bundestag selbst Verkehrsinfrastrukturprojekte genehmigen kann – vorbei am steinigen Pfad niederer Behörden. All diese Begriffskreationen sind staatsoffiziell und sprachpolizeilich geprüft. Die Gefahr der Wahl zum „Unwort des Jahres“ besteht nicht.
Der Inhalt der Kraftwerksstilllegungsanzeigenliste (KWSAL) ist simpel aus der Überschrift zu folgern. Es finden sich die von den Betreibern von Kraftwerken angezeigten Stilllegungen.
16.677 Megawatt an konventioneller Kraftwerksleistung sind mit Stand 17. Januar 2020 zur Stilllegung angezeigt, mit Kraftwerksnummer, Betreiber, Nennleistung und dem Stilllegungsanzeigentyp (geplant vorläufig / geplant endgültig oder endgültig stillgelegt). 3.999 Megawatt sind als systemrelevant registriert, dürfen also nicht stillgelegt werden, gegen den Wunsch der Eigentümer. Etwa die Hälfte dieser Anlagen steht in Süddeutschland, gemeint sind damit die Territorien südlich der Mainlinie.
Aus Kostengründen werden diese Anlagen nicht mehr betrieben, sie haben schlechte Wirkungsgrade, arbeiten nicht mehr rentabel und sind im Hinblick auf die Stilllegung nicht mehr für längeren Betrieb technisch gewartet. Sie funktionieren aber noch und sind, die Restriktion sagt es aus, für das System notwendig. Jedenfalls manchmal, wenn in den nächsten Jahren die deutschen Kernkraftwerke stillgelegt werden, die verfügbare Leistung der Kohlekraftwerke zurückgeht und in Zeiten, in denen die launischen Erneuerbaren nicht arbeiten möchten.
Diese künstlich beatmeten Altanlagen können ihre Kosten nicht mehr am Markt verdienen. Selbst die Kraftwerke neueren Baujahrs wie in Irsching blieben bisher durch zu hohe Gaspreise kalt.
Finanziert wird diese Kraftwerksreserve über die Netzentgelte, die dann, mit der Mehrwertsteuer „veredelt“, auf den Stromrechnungen von Bürgern und Firmen landen. Dennoch ist das Geld für den Bereitschaftszustand laut Betreiber nicht ausreichend, die Kosten zu decken. Bisher kann die Bundesnetzagentur diesen Zustand erzwingen. Ob sich dies mit dem grundgesetzlich verankerten Eigentumsrecht vereinbaren lässt, ist offen. Kein Unternehmer kann im Grunde gezwungen werden, eine defizitäre Anlage weiter zu betreiben oder in Bereitschaft zu halten.
Vollgas statt Atom
Zusätzlich gibt es „besondere netztechnische Betriebsmittel“, auch als „Netzstabilitätsanlagen“ bezeichnet oder neuerdings sogar inoffiziell als Notkraftwerke, was eine durchaus treffende Bezeichnung ist. Sie seien nur für den absoluten Notfall gedacht. Da die Windstromleitungen von der Küste nach Süddeutschland bis zum Aus der Kernkraftwerke noch nicht fertig sein werden, brauche man für alle Fälle solche Anlagen. Sie sollen nur wenige Stunden im Jahr laufen, wie viele das in Summe sein werden, kann freilich noch niemand sagen. Technologisch sind es offene Gasturbinenanlagen oder Ölkraftwerke mit schlechtem Wirkungsgrad, somit hohen Emissionen und hohen Betriebskosten. Für die Standorte Marbach und Irsching hat der zuständige Netzbetreiber Tennet die Zuschläge bereits erteilt.
Nicht zuletzt geht der Bau der Anlagen mit je 300 Megawatt elektrischer Leistung auf politischen Druck aus Bayern zurück. Dort möchte man keine Kernkraft mehr, keinen Kohlestrom, keine neuen Stromautobahnen, aber zugleich eine sichere Stromversorgung. Die Redispatchkosten im Netz werden von der Bundesnetzagentur für das Jahr 2020 auf 1,7 Milliarden Euro prognostiziert. Die Kapazität der vertraglich zu bindenden Reservekraftwerke steigt für den Winter 2022/2023 auf 10.650 Megawatt (Welt v. 3.5.19). Zur Erinnerung: Bis dahin schalten wir noch etwa 8.000 Megawatt emissionsarme Kernkraft ab.
An den Kosten dürfen sich in Deutschland – sagen wir es im zeitgeistoptimistischen Framing – alle beteiligen. Unverdrossen wird die Vermutung als Gewissheit verkündet, dass die Anbindung an Norddeutschland und dessen Windkraftanlagen die Versorgung im Süden sicherstellen könnte. Genau dies wird nicht der Fall sein. Schwankende Strommengen aus den Küstenländern können künftig weniger durch rheinländische oder Lausitzer Kohlekraftwerke ausgeregelt werden, politisch veranlassten Stilllegungen geschuldet.
Die Apologeten der Energiewende sehen eigentlich das Erdgas als Übergangsenergie auf dem Weg in die dekarbonisierte Welt. Das wollen die Grünen, voraussichtliche Regierungspartei ab 2021, dann ab 2030 auch nicht mehr. Welche Kraftwerke künftig für die Einbettung des volatilen Windstroms die nötigen Netzdienstleistungen liefern werden, ist offen.
Ab 2021 gehen über 5.000 Windkraftanlagen aus der EEG-Förderung, für sie entfällt nach 20-jähriger „Markteinführung“ die feste Vergütung pro Kilowattstunde. Eine noch nicht zu beziffernde Anzahl von ihnen wird ihre Fixkosten über den Preis an der Strombörse nicht mehr einspielen können. Eine „Windkraftanlagenstilllegungsliste“ wird es nicht geben, weil die dauerhaften Außerbetriebnahmen der volatilen Gesellen kurzfristigen Entscheidungen entspringen können und auch nicht genehmigungspflichtig sind.
Im Grunde gibt es auch in anderen Bereichen solche Stilllegungsanzeigenlisten, die dann zum Beispiel in Vorwahlzeiten Kandidatenlisten heißen. Dann liegt es in der Hand der Wähler, Kandidaten stillzulegen. Eine Liste für aktive Politiker und –innen wäre wünschenswert, sie hieße dann „Politikerstilllegungsanzeigenliste“ (PSAL).