Tichys Einblick
Der Parteienstaat entblößt sich

Thüringen – ein schwarzer Tag für die Parlamentarische Demokratie

Der Tag von Thüringen hat den finalen Beweis erbracht, dass das Modell der parlamentarischen Demokratie mit unabhängigen Bürgervertretern der Vergangenheit angehört. Es wurde ersetzt durch eine Parteienautokratie, deren Parlamentsvertreter nur noch willenlose Erfüllungsgehilfen ihrer linkgestrickten Eliten sein dürfen.

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Ein Erdbeben, ein Dammbruch, Verrat und … und … und…. Am 5. Februar des Jahres 2020 mussten deutsche Medienbetrachter den Eindruck bekommen, sie hätten soeben den Weltuntergang verpasst. Dabei ging es nur um einen völlig normalen, parlamentarischen Vorgang. Der allerdings für manche, die sich solcher Erschütterungen gefeit sahen, einem Weltuntergang nah kam. Das Establishment tobt, die demokratieüberwindende Linke geifert, Medien und Politikwissenschaftler, die noch einmal den Grundkurs zum Parlamentarismus besuchen sollten, ergehen sich in Weltuntergangsszenarien.

Was war geschehen?

Im kleinen Bundesland Thüringen stand die Wahl des Ministerpräsidenten an. Diese hoffte jener von den Kommunisten gestellte Bodo Ramelow für sich zu entscheiden, der bei den Landtagswahlen seine Mehrheit bei Wählern und Abgeordneten verloren hatte. Er setzte auf die Fortsetzung seiner dunkelrotrotgrünen Volksfrontregierung in der Minderheit bei willfähriger Unterstützung durch die CDU.

Derartige Wahlen sind in einer Parlamentarischen Demokratie ein gänzlich normaler Vorgang. Antreten kann, wer will. Laut Bundesrecht muss der Bewerber nicht einmal Mitglied des ihn wählenden Parlaments sein – nein, im Sinne der klassischen Gewaltenteilung sollte er dieses nicht einmal sein. Wäre er es dennoch, so hätte er nach erfolgreicher Wahl sein Parlamentsmandat sofort abzugeben. Denn als Ministerpräsident ist er Vertreter der Exekutive, welche durch das Parlament als Legislative zu kontrollieren ist. Und schließlich kann sich in einem funktionierenden Instanzensystem niemand selbst kontrollieren.

Also trat Ramelow an, obwohl eine Mehrheit der Wähler gegen ihn als damals amtierenden Ministerpräsidenten gestimmt hatte. Aber – siehe oben – das war selbstverständlich sein Recht. Es wäre dieses sogar gewesen, wenn die ihn stellende Partei aus dem Landtag verschwunden wäre.

In den ersten beiden Wahlgängen hatte er einen Konkurrenten. Einen parteilosen Bewerber, der ebenso wie Ramelow von seinem Recht Gebrauch machte – nur mit dem einen Unterschied, dass er im Falle seiner Wahl tatsächlich die Grundprämisse der Funktionstrennung erfüllt hätte.

Der erste Wahlgang

Im ersten Wahlgang muss ein Bewerber die absolute Mehrheit der Parlamentarier hinter sich vereinen. Bei den 90 anwesenden Abgeordneten sind dieses 46. Ramelow bekommt 43 Stimmen, der parteilose Christoph Kindervater 25. 22 Abgeordnete enthalten sich. Ramelow ist nicht gewählt.

Der zweite Wahlgang

Wie im ersten Wahlgang muss der Bewerber die absolute Mehrheit hinter sich vereinen, um als Ministerpräsident gewählt zu sein. Ramelow erhält sogar 44 Stimmen, Kindervater nur noch 22. Jetzt enthalten sich 24 Abgeordnete. Wieder ist kein Bewerber gewählt.

Der dritte Wahlgang

Im dritten Wahlgang reicht die einfache Mehrheit der Stimmen, um als Ministerpräsident ins Amt zu kommen. Nun kandidiert neben den beiden bekannten Bewerbern auch der FDP-Abgeordnete Thomas Kemmerich. Ramelow erhält erneut 44 Stimmen. Kemmerich wird von 45 Abgeordneten unterstützt. Kindervater geht leer aus, ein Abgeordneter enthält sich der Stimme. Damit ist Kemmerich zum Ministerpräsidenten gewählt – er wird vereidigt.

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Nichts an diesem Vorgang ist undemokratisch oder unparlamentarisch. Es ist ein Vorgang, wie er in einer parlamentarischen Demokratie vorgesehen ist. Der im Sinne der Verfassungen der Bundesrepublik wie der Thüringens nun zu gehende Weg wäre es, den gewählten Landeschef seine Regierungsarbeit aufnehmen zu lassen. Ihn seine Ministerriege und sein Regierungsziele benennen zu lassen.

Nichts an diesem Vorgang verstößt gegen irgendeine Verfassung. Ganz im Gegenteil. Artikel 48 der Landesverfassung definiert das Landesparlament als „das vom Volk gewählte oberste Organ der demokratischen Willensbildung“. Seine derzeit im Parlament vertretenen 90 Mitglieder wurden von diesem Volk in freier und geheimer Wahl hierzu gemacht. Keiner der gewählten Abgeordneten hätte sich etwa durch Putsch in dieses Amt gebracht oder andere Wege beschritten, die der demokratischen Willensbildung des Volkes widersprechen. Die Wahl Kemmerichs ist insofern von gewählten Volksvertretern mit der notwendigen Mehrheit entschieden worden. Nichts könnte demokratischer sein – und wenn sich Wähler durch diese Wahl von den von ihnen Gewählten hintergangen fühlen, haben sie die Möglichkeit, bei den nächsten Landtagswahlen eine andere Entscheidung zu treffen. Gleichwohl gilt: „Die Abgeordneten sind die Vertreter aller Bürger des Landes. Sie sind an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen verantwortlich.“ So will es Art. 53(1) der Thüringischen Verfassung. Und nur so ist Parlamentarismus in einer Demokratie zulässig. Wäre es anders, könnten wir die Abgeordnetenmandate abschaffen und jeweils nur noch einen Vertreter jeder gewählten Partei in die Parlamente schicken – versehen mit einen an den Wahlergebnissen orientierten Stimmenpaket, das er bei Abstimmungen in seinem Sinne einsetzen kann.

Doch die Demokratie will genau das nicht. Sie will keine Blöcke, die ohne Hirn ihrem Führer folgen und als getreue Empfänger von Befehl und Gehorsam ihre Verantwortung als imperatives Mandat ausüben.

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Insofern: Wer sich zur Parlamentarischen Demokratie bekennt, für den war die Abstimmung im Thüringischen Landtag eine absolute Sternstunde. Die Abgeordneten, zumindest soweit sie nicht der sozialistischen Einheitsfront angehörten, stimmten so ab, wie sie es für richtig hielten. Ohne sich an irgendwelche Wünsche von fernen Parteiführungen zu halten. Dabei gilt auch: Es kann der CDU-Abgeordnete nichts dafür, wenn Links- oder Rechtsozialisten ebenso wie er selbst abstimmen. Es kann, so seine Entscheidung nach dem eigenen Gewissen erfolgt, auch ein Sozialdemokrat nichts dafür, wenn ein Kommunist ebenso wie er abstimmt. In einer echten Demokratie ist es nun einmal so, dass der einzelne Abgeordnete keine Verantwortung trägt für die Entscheidung seines Parlamentsnachbarn. Die trägt er nur für sich selbst.

In Thüringen haben daher die Vertreter von Union und FDP in jeder Hinsicht urdemokratisch gehandelt. Und sie haben darüber hinaus sich sogar noch an ihre Wahlzusage gehalten – ein Vorgang, der immer häufiger nicht zu erkennen ist. Denn beide Parteien, zu diesem Zeitpunkt in der Opposition gegen die Linksfront Ramelows, hatten ihren Wählern zugesagt, die Linksregierung abzuwählen. Vorausgesetzt, es ergäbe sich dafür eine Möglichkeit.

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Genau das und nichts anderes haben sie getan. Sie haben getreu dem Auftrag gehandelt, den sie vom Wähler erhalten hatten. Einwenden mag man, dass sie dieses bereits in den ersten beiden Wahlgängen hätten tun können – indem sie ihre Stimme dem parteilosen Bewerber gäben. Aber auch hier gilt: Das persönliche Gewissen des Abgeordneten hat oberste Priorität. Eine bedeutende Anzahl jener, die im dritten Wahlgang für Kemmerich gestimmt hatten, hatte offenbar in den unbekannten Seiteneinsteiger kein rechtes Vertrauen. Auch das ist legitim und nicht zu beanstanden.

Insofern und sachlich betrachtet: Kein Grund zur Aufregung im kleinen Freistaat. Der Ministerpräsident ist in einem demokratischen Parlamentsverfahren von demokratisch gewählten Abgeordneten mit der notwendigen Mehrheit versehen worden. Nun ist er am Zuge, daraus etwas zu machen. So könnte er – und hat dieses bereits getan – einigen anderen Parteien anbieten, ihn in seiner Arbeit zu unterstützen. Dafür könnten sie von ihm mit Ministerposten versehen werden – oder auch nicht, wenn sie dieses nicht wollen. Er könnte auch ein Expertenkabinett von Parteilosen oder unabhängigen Fachleuten mit Parteibuch bilden. Alles das wäre demokratisch und dem parlamentarischen System gerecht und würde erst einmal sicherstellen, dass die Exekutive des Staates Thüringen eine legitime Führung hat.

Was Kemmerich ohne Weiteres nicht könnte, wäre es, am politischen System zu drehen. Wollte er dieses, so müsste er in das gewählte Parlament entsprechende Gesetzesvorlagen einbringen und für diese um entsprechende Mehrheiten werben. Gute Demokraten würden sich einem solchen Ansinnen nicht verschließen, sondern auf Grundlage ihrer eigenen Überzeugungen in die jeweiligen Verhandlungen eintreten, eventuell Veränderungen der Gesetzesvorlagen durchsetzen und am Abschluss des Verfahrens dem Regierungswillen entweder ihren Segen geben – oder dieses unterlassen.

Insofern: Auch hier liegt keinerlei Grund zur Panik vor. Sollte Kemmerich Vorlagen einbringen, die der politischen Linken nicht gefallen, werden deren Abgeordnete die Zustimmung verweigern. Entsprechend liefe es bei den Parlamentsrechten ab. Nichts davon wäre undemokratisch – nichts davon würde den Untergang des Abendlandes beschwören. Ganz im Gegenteil: Hier bestünde für die gewählten Abgeordneten endlich wieder die Chance, zu ihrer ursprünglichen Funktion als Bürgervertreter zurück zu finden. Nur ihrem Gewissen folgend genau das zu tun, was ihnen dieses gebietet. Im Sinne ihrer Wähler und in der Gewissheit, morgens noch unbelastet in den Spiegel schauen zu können.

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So müsste es sein, wenn unsere Politiker noch auf dem Boden des Grundgesetzes stünden. So könnte es sein, wenn sie endlich wieder begriffen, dass die Interessenvertretung der Bürger ihre Aufgabe ist – und nicht die Exekution partei-gegebenen Willens.

Doch so ist es nicht.

Die Landeschefin der Kommunisten machte ihre Missachtung der Parlamentarischen Demokratie dadurch deutlich, dass sie dem rechtmäßig gewählten Ministerpräsidenten den ursprünglich für ihren Genossen Ramelow gedachten Blumenstrauß vor die Füße warf. Man mag ihren Frust verstehen – und doch hat die Dame, die aus einem linientreuen DDR-Haushalt entstammt, in einem demokratisch gewählten Parlament nichts zu suchen. Denn was unterscheidet sie von jenen Schergen Hitlers, für die das Parlament auch nichts anderes war als eine lächerliche Schwatzbude, die bestenfalls als Fußabtreter taugte? Wer demokratische Entscheidungen nicht akzeptiert, ist kein Demokrat. Susanne Hennig-Wellsow ist keiner.

Der ½-Vorsitzende der kommunistischen Bundespartei ist auch keiner. In der Fortführung einer Partei stehend, die die Rechte ihrer Bürger mit Füßen getreten hat und an deren Händen das Blut zahlloser Opfer klebt, die im Namen des Sozialismus vernichtet wurden, meinte Bernd Riexinger: „Die Wahl des Thüringer Ministerpräsidenten hat gezeigt, dass CDU und FDP den Wählerauftrag nicht verstanden haben. Gemeinsam mit Stimmen der AfD haben sie die Wiederwahl Bodo Ramelows verhindert“.

Irrtum, Herr Riexinger, möchte man rufen. Sie haben ganz im Gegenteil ihren Wählerauftrag sehr genau verstanden. Sie haben einen Ministerpräsidenten verhindert, der bei der Wahl seine Mehrheit verloren hatte – und genau das hatten sie ihren Wählern versprochen.

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Mag man über diese offensichtliche Missachtung eines selbstverständlichen, demokratischen Prozesses bei gestandenen Kollektivisten noch hinwegsehen, so machte jedoch die offensichtliche Panik, die die thüringische Wahl bundesweit auslöste, deutlich, dass selbst in den Führungsebenen ehedem scheinbar bürgerlicher Parteien Demokraten nicht mehr zu finden sind. Der 5. Februar sollte sich als bislang schwärzester Tag für die deutsche Demokratie erweisen. Denn er brachte den finalen Beweis, dass die dereinst in das bundesdeutsche Grundgesetz geschriebene Parlamentarische Demokratie im Bewusstsein der Verantwortlichen abgeschafft ist. Nicht die Wahl eines Kemmerich auf demokratisch-parlamentarischem Wege definiert diesen schwärzesten Tag – es sind die Reaktionen auf diese Wahl.

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Wenn ein Markus Söder, Vorsitzender einer einst fest zur Parlamentarischen Demokratie stehenden Partei, sagt: „Das ist kein guter Tag für Thüringen, kein guter Tag für Deutschland, und erst recht kein guter Tag für die Demokratie in Deutschland“, dann ist schlicht nur festzustellen: Dieser Mann hat nicht begriffen, was Demokratie bedeutet. Sie bedeutet, dass eine Mehrheit der vom Volk gewählten Abgeordneten Entscheidungen trifft. Genau das und nichts anderes ist in Thüringen geschehen.

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Gleiches gilt, wenn ein Paul Ziemiak, Generalsekretär von Kramp-Karrenbauers Gnaden, verkündet: „Die FDP hat mit dem Feuer gespielt und hat heute Thüringen und unser ganzes Land politisch in Brand gesetzt. … Umso schlimmer ist es, dass offensichtlich auch Abgeordnete der CDU Thüringen billigend in Kauf genommen haben, dass durch ihre Stimmabgabe ein neuer Ministerpräsident auch mit den Stimmen von Nazis wie Herrn Höcke und anderen der AfD-Fraktion in Thüringen gewählt werden konnte.“

Nein, die FDP hat nicht mit dem Feuer gespielt. Und in Brand gesetzt hat sie bestenfalls Merkels Fantasie einer schwarz-dunkelrotgrünen Zukunft. Die FDP hat von ihrem selbstverständlichen Recht Gebrauch gemacht, bei der Wahl zu einem öffentlichen Amt einen eigenen Kandidaten zu präsentieren. Wer diesem bei der Wahl sein Vertrauen ausspricht, hat die FDP nicht zu interessieren. Demokratische Wahlgänge sind frei und geheim – auch wenn es jedem frei steht, darüber zu spekulieren, wer einem gerade vertraut.

Nicht weniger unsinnig ist die Behauptung zu den Abgeordneten seiner eigenen CDU. Zumindest dann, wenn Ziemiak noch auf dem Boden des Grundgesetzes steht und den Abgeordneten ihre Gewissensfreiheit zubilligt. Dass der gebürtige Pole in diesem Zusammenhang gleich noch zur Verharmlosung der NS-Zeit beiträgt, indem er den in freier und geheimer Wahl als Bürgervertreter gewählten Björn Höcke unreflektiert zum „Nazi“ erklärt – das muss Ziemiak vermutlich mit sich selbst ausmachen. Denn selbst dann, wenn Höcke national sein sollte – und offensichtlich tatsächlich in Kategorien von Nation und nationalem Selbstbewusstsein denkt – und wenn er als Vertreter kollektivistischer Vorstellungen ein Sozialist sein sollte – ein Nazi ist er deshalb immer noch nicht. Nicht, solange er nicht durch sein Handeln gezielt den von seinen etablierten Verunstaltern längst beschädigten Verfassungsstaat abzuschaffen gedenkt. Nicht, solange er sich demokratischen Wahlen stellt und deren Ergebnisse als normalen Prozess akzeptiert. Man muss Höcke nicht mögen und man mag gut und gern Aussagen von ihm finden, die ihn in das sortieren lassen, was man heute als „rechte Ecke“ bezeichnet. Vermutlich ist er das, was medial als „Rechter“ bezeichnet wird. Vermutlich ist er das sogar mit einer gewissen Radikalität. Aber selbst, wenn er dieses in extremer Weise wäre – solange er die Regeln des Verfassungsstaates für sich gelten lässt und nichts unternimmt, diese abzuschaffen, mag er zwar Rechtsextremist sein, doch ein „Nazi“ ist er damit noch lange nicht.

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Nicht minder irrational aus dem Häuschen gerieten jene ursprünglichen Sozialdemokraten, die sich lieber als demokratische Sozialisten feiern, dabei aber das demokratisch locker streichen können.

Der SPD-½-Vorsitzende Norbert Walter-Borjahns zwitschert: „Die Geschehnisse in #Thueringen sind ein unverzeihlicher Dammbruch, ausgelöst von CDU und FDP. Dass die ‚Liberalen‘ den Strohmann für den Griff der Rechtsextremisten zur Macht geben, ist ein Skandal erster Güte. Da kann sich niemand in den Berliner Parteizentralen wegschleichen!“

Mit diesem Tweet belegt nun auch der Zufallsvorsitzende der Partei im kontinuierlichen Niedergang, dass er nicht das Geringste von Parlamentarischer Demokratie versteht. Denn wer gewählte Abgeordnete, die nach ihrem Gewissen entscheiden und dabei ihre Wahlzusage gegenüber dem Bürger erfüllt haben, als „Strohmänner“ diffamiert – auch der bewegt sich bereits auf dem Niveau jener, für die die Parlamente überflüssige Schwatzbuden sind.

Ganz abgesehen davon zeugt dieses Gezwitscher einmal mehr von der intellektuellen Tiefe des ½-Vorsitzenden. Denn, wo ist hier ein „Griff der Rechtsextremisten zur Macht“ zu erkennen? Kemmerich ist Liberaler, steht im klassischen Verständnis irgendwo zwischen Konservativen und Linken. In seiner ersten Regierungserklärung hat er deutlich gemacht, dass er als scharfer Gegner gegen rechts- wie linksextreme Positionen agieren wird. Sollte also der ½-Vorsitzende der SPD tatsächlich von der Befürchtung gequält werden, mit Kemmerich dem Rechtsextremismus zur Macht zu verhelfen, dann sollte er seine verbliebenen SPD-Abgeordneten im Thüringischen Landtag schnellstens davon überzeugen, auf das Kemmerich’sche Liebeswerben einzugehen. Denn was könnte besser einen „Griff der Rechtsextremisten zur Macht“ verhindern als ein Ministerpräsident, der hinter sich die traditionellen Parteien der mittlerweile nach ganz links abdriftenden linken Mitte weiß?

Doch genau das wird die SPD nicht tun. Sie hat Schaum vor dem Mund, weil ihr das Ergebnis nicht passt. Wolfgang Tiefensee, früher einmal Bundesminister, geifert: „Die @SPDThueringen wird weder im Parlament noch in der Regierung einen MP von Gnaden der AfD unterstützen.“

Die SPD meldet sich aus dem demokratischen Geschehen ab – und das nur, weil sie davon ausgeht, dass ein Bewerber der FDP auch das Vertrauen von AfD-Abgeordneten genießt. Dabei müsste doch gelten: Was könnte die gefühlt verlorenen Schäflein von der AfD besser wieder zurück in den heimatlichen Stall führen als ein in jeder Hinsicht des politischen Extremismus unverdächtiger Ministerpräsident, der offenbar auch das Vertrauen der Verlorenen genießt? Unverständlich muss des Tiefensees Geifer umso mehr sein, hat er sich doch einst selbst mit nicht nur klammheimlicher, sondern offener Unterstützung politischer Extremisten zum Minister in seinem Heimatland wählen lassen – und sogar noch selbst dafür gesorgt, dass ein Vertreter dieser Extremistenpartei mit mehr als fragwürdiger Vergangenheit zum Ministerpräsidenten gewählt werden konnte.

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Zitieren wir noch spaßes- und der Vollständigkeit halber jene grüne ½-Vorsitzende, deren Stimme immer so klingt, als töne sie auf höchstem Erregungsniveau. Annalena Baerbock, selbstverständlich auch enttäuscht darüber, ihre klimahysterische Agenda in Thüringen nun nicht mehr aus Regierungsposition betreiben zu können, befand: „Das ist ein Dammbruch. #CDU und #FDP in #Thüringen haben bewusst einen Ministerpräsidenten mit den Stimmen der #AfD gewählt. Niemand kann sagen, er habe das nicht gewusst. Wir sind entsetzt von der Ruchlosigkeit und Verantwortungslosigkeit von CDU und FDP in Thüringen.“

Nun, das klingt nicht nur nach abgesprochenem Dauerdammbruch, sondern erst einmal nach klassischer Verschwörungstheorie. Denn ob hier tatsächlich eine „bewusste“ Vorgehensweise von Union und FDP vorliegt, ist bislang nichts anderes als eine im Raum stehende Behauptung. Wobei: Wenn es denn so sein sollte, dann war es ein machtpolitisches Meisterstück. Zweimal einen Parteilosen auflaufen lassen und damit die Linksfront in Sicherheit wiegen – und dann im entscheidenden Wahlgang einem eigenen Wunschkandidaten die notwenige Mehrheit verschaffen und den ungeliebten Amtsinhaber in die Wüste schicken! Sollte es irgendwo so etwas wie ein politisches West Point geben: Diese Meisterleistung müsste zum Kernelement politischer Taktik in den Lehrplan aufgenommen werden.

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Damit nun aber sind wir bei dem anderen Kern der Sache. Der eine war, dass weder an Ablauf noch an Ergebnis der Ministerpräsidentenwahl in Thüringen aus puristischer Betrachtung parlamentarisch-demokratischer Prozesse irgendetwas zu beanstanden ist. Der andere jedoch ist es, dass „Thüringen“ das etablierte Parteiensystem ins Mark getroffen hat. Denn dieses Parteiensystem hat sich mittlerweile von den Grundsätzen einer Parlamentarischen Demokratie derart weit entfernt, dass es ihm vor demokratischen Prozessen in einem Maße graut, welches dieses Parteiensystem durchaus dem Verdacht der Verfassungswidrigkeit aussetzen könnte.

Für die Parteien – oder, um es konkret zu benennen: deren kleinstelitären Vorstände nebst Anhang – ist die Unabhängigkeit des Abgeordneten längst abgeschafft und unerträglich. Schon die nur wenigen Zitate aus einer Flut ähnlich lautender belegen: Der Abgeordnete ist nicht der Vertreter des Bürgers und dessen Interessen, sondern ausschließlich der einer der Parteielite.

Die im Sinne des Parlamentarismus unsäglichen Beschuldigungen, die von ganz links bis mitte-links erhoben werden, sagen erst einmal nur eines: Der Bürgervertreter hat nicht den Bürger zu vertreten, sondern seine Parteiführung. Nimmt er hingegen sein verfassungsmäßig festgeschriebenes, demokratisches Recht wahr, so wird er entgegen der Wahrheit zum Undemokraten umgeschrieben, als Feind und Verräter verketzert. Nicht jene Abgeordneten, die nichts anderes getan haben, als ihre verbrieften Rechte wahrzunehmen, sind die Feinde der Demokratie – ihre wahren Feinde sind jene, die ihnen diese Rechte absprechen.

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Es mag nachvollziehbar sein, dass die Verlierer bei Dunkelrot, Rot und Grün ihren Frust austoben. Ihr Kalkül, die AfD derart zu stigmatisieren, dass eine rechnerisch mittlerweile fast überall mögliche Mehrheit nicht-linker Kräfte den kontinuierlichen Umbau des freiheitlichen Verfassungsstaates zu einer kollektivistischen Diktatur durch eine linksideologische Minderheit verhindern könnte, hat in Thüringen spürbar Schaden genommen. Das versetzt die Verlierer in Rage – und sie machen daraus nicht einmal mehr ein Hehl.

Die linksradikale Minderheit, die in der PdL traditionell verankert ist, die die Grünen gegründet hat und bis heute führt und die die SPD geschickt unterwanderte, sah sich Dank Merkel ihrem Ziel, die freiheitlich-bürgerliche Gesellschaft durch eine anfangs noch sanfte Form der Staatsautokratie zu ersetzen und dessen dauerhafte Führung zu übernehmen, noch nie so nahe wie in diesem zweiten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts. Die einzige Gefahr, die diesem Projekt noch drohen konnte, war ein Erwachen der bürgerlichen Kräfte, die in diesem Land immer die Mehrheit stellten und auch heute stellen.

Als mit der AfD eine Kraft aufkam, die sich ursprünglich aus dem konservativen Flügel der Union speiste, wurde diese Gefahr plötzlich sichtbar. Eine halbwegs starke nationalkonservative Partei hätte gemeinsam mit einer wertebasierten Union und einer nationalliberalen FDP das linke Projekt zum Scheitern bringen können. Deshalb arbeiten nun schon seit Jahren die Vertreter des linken Projekts im Geleitzug mit den von ihnen geschickt platzierten Unterstützern in sogenannten NGO, Medien, Rechtsprechung und Verwaltung daran, die AfD durch kontinuierliche Wahrnehmungsverschiebung unter das rechtsextremistische Stigma als potentiellen Partner der bürgerlichen Mitte-Parteien zu verunmöglichen. Ein interessanter Vorgang übrigens, den sich linksextreme Vordenker hier ausgetüftelt haben: Je mehr in Politik und Medien die einstmals urbürgerliche AfD nach rechts geschrien und geschrieben wird, desto attraktiver wird sie für tatsächlich rechtsextreme Wirrköpfe. Und je mehr sie dieses wird, desto lauter kann die Linke schreien. Es ist ein sich selbst perpetuierender Prozess, mit dem die politische Linke dafür sorgen will, dass ihre Machtausübung ungefährdet bleibt.

Insofern haben Walter-B. und Baerbock in ihrer Hysterie tatsächlich den Nagel auf den Kopf getroffen: Thüringen könnte der Dammbruch sein, dessen Fluten das linksradikale Projekt hinwegfegen. Dazu muss – wie es Kemmerich nicht tun wird – man sich keine AfD-Vertreter ins Kabinett holen. Man muss bei seinen Gesetzesvorlagen nicht einmal auf die Zustimmung der AfD schielen. Man muss nur eine Politik machen, die sich an den Bürgerinteressen orientiert – und diese den angeblich noch gemäßigten Parteien zur Unterstützung vorlegen. Lehnen diese aus Prinzip ab, so wird es über kurz oder lang am Wähler sein, darüber zu entscheiden, ob die Politik der Minderheitsregierung mehrheitsfähig gemacht werden soll – oder ob die andere Seite ihren Systemumbau fortsetzen darf.
Auch das wäre schlicht nur eines: Demokratisch.

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Doch mit Demokratie haben es die in Panik geratenen Vertreter des Systemumbaus nicht. Kaum ist Kemmerich gewählt, wird bereits nach Neuwahl gerufen. Dafür aber gibt es nicht den geringsten sachlichen Grund.

Das Land Thüringen hat einen verabschiedeten Haushalt – erst der nächste könnte ein Kabinett Kemmerich in Bedrängnis bringen. Und das auch nur dann, wenn dieser so gestrickt sein sollte, dass er keine Mehrheit im Parlament findet. Wodurch sich Kemmerichs tatsächliche Regierungs-Situation bestenfalls marginal von der eines alternativ gewählten Ramelow unterscheidet.

Frühestens in einem Jahr dann wäre es an Kemmerich, sich dem Wählervotum zu stellen. Vielleicht aber auch erst deutlich später. Und wer weiß: Vielleicht würden ihm die Wähler dann ebenso mit Mehrheit das Vertrauen aussprechen, wie es jüngst die Landtagsabgeordneten taten.

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Dass eine solche Entwicklung den linken Systemveränderern alles andere als gelegen käme, ist nachvollziehbar. Wenn allerdings ein Ziemiak im Chor mit seiner Chefin in seiner Panik bereits jetzt nach Neuwahlen ruft, dann hätte er einen besseren Beweis seiner politischen Unfähigkeit nicht erbringen können. Denn wie soll in einer künstlich derart gehypten Situation wie gegenwärtig ein sachgerechter Wahlkampf geführt werden?

Vor allem auch: Womit soll die CDU in Thüringen dann überhaupt noch auf Stimmenfang gehen? Das Wahlversprechen, die linke Regierung zu verhindern, eingelöst und dennoch von der eigenen Führung in die Hölle verdammt?

Wo soll angesichts der Ausfälle eines Söder, Ziemiak und anderer denn jener bisherige CDU-Wähler, der darauf hoffte, den linken Systemumbau mit seiner Stimmabgabe irgendwie beenden zu können, denn nun sein Kreuz machen, wenn die führenden Vertreter der Union sich vorbehaltlos dem Geleitzug der Systemumbauer anschließen und damit das Bürgertum an die extreme Linke verraten?

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Der Tag von Thüringen ist tatsächlich ein schwarzer Tag für die Parlamentarische Demokratie. Aber nicht, weil demokratisch gewählte Abgeordnete dort von ihrem verbrieften Recht Gebrauch gemacht haben, sondern weil er den Beweis erbracht hat, dass der linksextreme Systemumbau mittlerweile bis weit in die Gene der Union eingesickert ist. Der Tag von Thüringen hat den finalen Beweis erbracht, dass das Modell der parlamentarischen Demokratie mit unabhängigen Bürgervertretern in der Bundesrepublik der Vergangenheit angehört. Es wurde ersetzt durch eine Parteienautokratie, deren Parlamentsvertreter nur noch willenlose Erfüllungsgehilfen ihrer linkgestrickten Eliten sein dürfen.

Das ist es, was den Tag von Thüringen zu einem tiefschwarzen macht. Nicht die Tatsache, dass im Thüringischen Landesparlament sich einige Abgeordnete die Freiheit genommen haben, einen Kandidaten zu unterstützen, den sie für den besseren für ihr Land hielten. Und denen es dabei – ganz demokratisch und nur ihrem Gewissen unterworfen – gänzlich egal war, ob dieser Kandidat auch von jenen Stimmen erhält, die als behauptete Rechtsextremisten und Nazis unter linkskollektiven Bann zu stellen sind.

Tiefschwarz ist dieser Tag, weil an ihm alles zu Grabe getragen wurde, was an Idealen und Grundsätzen einer parlamentarischen Demokratie als unersetzlich galt. Schade drum.

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