Das neue Coronavirus breitet sich weltweit aus und nimmt Formen einer Pandemie an. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat noch keinen globalen Ausbruch erklärt. Sie betont, dass dessen Ausbreitung außerhalb Chinas »minimal und langsam« zu sein scheint. Es sei jedoch unmöglich, den Verlauf vorherzusagen.
Mittlerweile bleiben nicht nur in Wuhan, dem Ort des Ausbruchs des neuen Coronavirus 2019-nCoV, die Leute zu Hause, sondern auch in anderen Städten kommt das öffentliche Leben zum Erliegen, herrschen Stillstand und leere Straßen. Doch die Versorgung mit Lebensmitteln scheint in der Elf-Millionenstadt Wuhan zu funktionieren. Aber es stürzen sich bereits mit Coronaviren Befallene verzweifelt von Brücken. Ein erster Todesfall außerhalb von China wird von den Philippinen gemeldet.
In Vietnam werden Universitäten und Schule geschlossen – und Chinesen gemieden.
Von hoher Nervosität und teilweise auch großer Hysterie der Bürger in Vietnam berichtet TE-Autor Klaus-Jürgen Gadamer aus Đà Nẵng. Er sieht Schlägereien um die letzten Gesichtsmasken, die verkauft werden. Menschen haben sich und ihre Kinder im Kinderwagen in Plastiktüten eingepackt als Schutz vor den Viren. In Hanoi sind die Universitäten geschlossen. Eltern können sich entscheiden, ob sie ihre Kinder in die Schulen schicken oder nicht. Die Schulen dürften jedoch leer bleiben. Familien schicken ihre Kinder auf das Land, desinfizieren ihre Häuser und canceln ihre Ferienpläne. Vietnam Airlines fliegt nicht mehr nach China.
Die Behörden von Khanh Hoa bestätigten, dass sich eine Hotelrezeptionistin mit dem Coronavirus bei zwei chinesischen Staatsbürgern infiziert hat, die derzeit in Saigon unter Quarantäne stehen. Die 25-jährige Patientin, deren Name nicht bekannt gegeben wurde, befinde sich im Tropenkrankenhaus der Zentralprovinz in Quarantäne und erhole sich allmählich, sagte der stellvertretende Vorsitzende der Provinz, Nguyen Dac Tai. Die Patientin arbeitete in einem Hotel in Nha Trang, einem beliebten vietnamesischen Reiseziel für chinesische Touristen und bediente zwei Chinesen, die später positiv auf das neue Coronavirus getestet wurden. Zwei Tage später bekam sie Fieber und Husten. Chinesen werden in Vietnam gemieden – zumindest in Đà Nẵng. Man möchte sich nicht ausmalen, was geschieht, wenn eine wirklich gefährliche Virusinfektion in einer Pandemie mündet.
Zwei Theorien dringen aus China durch: Die lokalen Behörden in Wuhan wussten bereits viel früher von der Viruskrankheit und wollten jedoch das kleine Neujahrsfest Mitte Dezember nicht untersagen. Oder sie meldeten die Anzeichen an die nächsten höheren Behörden weiter, die ihrerseits die Erkrankung jedoch unter der Decke halten wollten. Was davon richtig ist, lässt sich wohl kaum belegen, so oder so begünstigte es jedoch die Verbreitung des Coronavirus in diesem Anfangsstadium.
Erst als Staats- und Parteichef Xi Jinping öffentlich vor einer »beschleunigten Ausbreitung« und vor einer »schwierigen« Lage warnte, änderte sich die Handlungsweise Chinas radikal.
In Deutschland betont das Robert-Koch-Institut, dass ein Ansteckungsrisiko extrem gering sei. Währenddessen wies Chinas oberstes Gericht Polizeibeamte zurück, die eine medizinische Fachdiskussion als »Verbreitung von Gerüchten« untersagen wollten, während Facebook seiner Zensurpraxis folgen und Falschmeldungen über das Virus verhindern will. Währenddessen weiß man noch nicht viel über die Epidemiologie und die klinischen Merkmale der durch 2019-nCoV verursachten Lungenentzündung.
In Deutschland gelten bislang sieben Patienten mit dem Coronavirus infiziert und befinden sich in einer Klinik in München-Schwabing. Es handelt sich nach Berichten um Mitarbeiter eines deutschen Unternehmens, die aus Wuhan kamen. Auf der Insel La Gomera wurde ein Deutscher mit dem Virus in ein Krankenhaus eingeliefert. Sogar die Passagiere auf dem italienischen Kreuzfahrtschiff »Costa Smeralda« durften weiterfahren, das Ergebnis eines Tests bei einer Passagierin ergab keine Infizierung mit dem Coronavirus. 6.600 Passagiere durften das Schiff im Hafen in Civitavecchia nicht verlassen, nachdem eine Touristin aus der chinesischen Sonderverwaltungszone Macao über Fieber und Atemprobleme geklagt hatte.
Nach fünf Tagen Krisensitzung im Auswärtigen Amt flog am Freitag ein Luftwaffen-Airbus nach China, um rund 90 Deutsche aus der Region Wuhan zurückzufliegen. Es soll darunter nach Angaben des Außenministeriums niemanden geben, der Symptome des Virus zeigte. Einen Tag nach ihrer Rückkehr aus der chinesischen Stadt Wuhan nach Deutschland sind zwei positiv auf den Coronavirus getestet worden. 14 Tage lang sollen die Rückkehrer in Quarantäne bleiben, schrieb das Auswärtige Amt: »Sie müssen damit rechnen, dass Ihre Mobilität in der ersten Zeit in Deutschland deutlich eingeschränkt wird.«
Noch weiß man sehr wenig über den Erreger. Kein Wunder, denn die Inkubationszeit ist mit 14 Tagen recht lang. Bei Infizierten weiß man erst nach etwa acht Tagen, wie die Krankheit tatsächlich verläuft. Auf Hochtouren laufen weltweit die Forschungsarbeiten an der Aufklärung des Virus. Mittlerweile liegt auch die erste aussagekräftige Studie vor, in der eine Arbeitsgruppe epidemiologische und klinische Merkmale der 2019-nCoV-Pneumonie beschrieb.
Die Wissenschaftler untersuchten in einer retrospektiven, zentrumsübergreifenden Studie alle bestätigten Fälle von 2019-nCoV im Wuhan Jinyintan Hospital vom 1. Januar bis zum 20. Januar 2020. Die Fälle wurden durch Echtzeit-RT-PCR bestätigt und auf epidemiologische, demographische, klinische und radiologische Merkmale sowie auf Labordaten analysiert. Die Ergebnisse wurden bis zum 25. Januar 2020 weiterverfolgt. Wie aus der Veröffentlichung in Lancet hervorgeht, verstarben elf Prozent der Erkrankten.
Knapp die Hälfte der 99 Patienten mit 2019-nCoV-Pneumonie befand sich auf dem Fischmarkt in Wuhan, der zeitweilig als Ursprungsort bezeichnet wurde. Belegen lässt sich das nicht. Das Durchschnittsalter der Patienten lag bei 55 Jahren, darunter 67 Männer und 32 Frauen. Es handelte sich meist um Verkäufer oder Marktmanager, die sich länger auf dem Markt aufhielten und so Viren länger ausgesetzt waren. Zwei Patienten waren Kunden, die einkaufen wollten und nur eine kurzfristige Expositionsgeschichte aufwiesen.
Die Hälfte der Patienten wiesen chronische Krankheiten auf und hatten unter anderem Fieber, Husten, Atemnot, Muskelschmerzen. Die Röntgenaufnahmen der Lungen bei 75 Prozent eine beidseitige Pneumonie und andere Auffälligkeiten. Bei elf Patienten verschlechterte sich der Gesundheitszustand innerhalb kurzer Zeit, sie starben an multiplem Organversagen.
Die 2019-nCoV-Infektion, so stellen die Autoren der Studie fest, betrifft »eher ältere Männer mit Komorbiditäten und kann zu schweren und sogar tödlichen Atemwegserkrankungen wie dem akuten Atemnotsyndrom führen«. Doch im Allgemeinen entsprachen die Merkmale der verstorbenen Patienten dem MuLBSTA-Score, einem Frühwarnmodell zur Vorhersage der Mortalität bei viraler Pneumonie. Das Modell müsse allerdings noch präzisiert werden, sagen die Wissenschaftler, um bei künftigen Virenausbrüchen den Verlauf besser abschätzen zu können.
2019-nCoV begann unspektakulär wie der Beginn einer Grippewelle zu Beginn einer kalten Jahreszeit. Seit dem 8. Dezember 2019 wurden mehrere Fälle von Lungenentzündung unbekannter Ursache in Wuhan gemeldet. Die meisten Patienten arbeiteten oder lebten in der Nähe des lokalen Meeresfrüchte-Großmarktes von Huanan. Dort werden auch lebende Tiere verkauft. In den frühen Stadien dieser Lungenentzündung traten schwere akute Atemwegsinfektionen auf, wobei einige Patienten rasch ein akutes Atemnotsyndrom (ARDS), akutes Atemversagen und andere schwerwiegende Komplikationen entwickelten.
Am 7. Januar identifizierte das chinesische Zentrum für Krankheitskontrolle und Prävention (CDC) dann das neue Coronavirus aus einer Rachenabstrichprobe eines Patienten. Die WHO vergab den vorläufigen Namen 2019-nCoV. Coronaviren können bei verschiedenen Tieren und vor allem beim Menschen Infektionen der Atemwege verursachen, wie es dies bei dem schweren akuten respiratorischen Syndrom (SARS) und dem respiratorischen Syndrom des Nahen Ostens (MERS) getan hat.
Die meisten der untersuchten Patienten wiesen leichte Symptome auf und eine gute Prognose. Bisher haben einige wenige Patienten mit 2019-nCoV eine schwere Lungenentzündung, ein Lungenödem, ein ARDS oder ein Multiorganversagen entwickelt und sind gestorben.
Interessant für die Wissenschaftler war, dass ebenso wie bei den vorausgegangenen Erkrankungen MERS-CoV und SARS-CoV mehr Männer als Frauen infiziert wurden. Die geringere Anfälligkeit der Frauen für Virusinfektionen könnte auf den Schutz vor dem X-Chromosom und die Sexualhormone zurückzuführen sein, die eine wichtige Rolle bei der angeborenen und adaptiven Immunität spielen, vermuten die Autoren der Studie. »Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass 2019-nCoV aufgrund der schwächeren Immunfunktionen dieser Patienten mit größerer Wahrscheinlichkeit ältere erwachsene Männer mit chronischen Komorbiditäten infiziert.«
Dieses Ergebnis legt für die Autoren nahe, dass 2019-nCoV hauptsächlich auf Lymphozyten, insbesondere T-Lymphozyten, wirken könnte, ebenso wie SARS-CoV. Viruspartikel verbreiten sich durch die Atemschleimhaut und infizieren andere Zellen, induzieren einen Zytokinsturm im Körper, erzeugen eine Reihe von Immunreaktionen und verursachen Veränderungen in den peripheren weißen Blutkörperchen und Immunzellen wie den Lymphozyten.
Die Forscher benennen die Schwachstellen ihrer Studie. Sie konnten nur 99 Patienten mit bestätigtem 2019-nCoV untersuchen. Sie schlossen ausdrücklich Patienten aus, bei denen lediglich der Verdacht auf eine Infektion bestand.
Verschwörerische Stellenanzeige
Mit den Viren kommen Hysterie und Panik. Verschwörungstheorien verbreiten sich in Gesellschaften, in denen Glauben immer häufiger die Stelle von Wissen einnimmt, schneller als die Viren selbst. Biotechnologische Labors eignen sich trefflich für Horrorgeschichten, zumal noch dann, wenn sich in Sicherheitslabors Mitarbeiter mit Schutzkleidung schützen. Was dort mit den vielen Glasfläschchen, Pipetten, Wässerchen und Analyseapparaten tatsächlich geschieht, erschließt sich nur Eingeweihten.
Spekulationen schossen hoch, als die Stellenanzeige nach einem Virologen bekannt wurden – ausgerechnet für das Labor von Dr. Peng Zhou (周鹏). Der ist Forscher am Wuhan-Institut für Virologie und Leiter der Gruppe für Virusinfektion bei Fledermäusen und Immunisierung. Fledermäuse gelten bekanntlich als die Überbringer des absolut Bösen, nämlich solch hochpathogener Viren wie Ebola- und Marburgvirus sowie SARS-CoV. Das Erstaunliche: Ihnen selbst können diese gefährlichen Viren nichts anhaben. Sie haben offensichtlich sehr effektive Blockademöglichkeiten für Vireneinfallspfade entwickelt. Ziemlich folgerichtig zu fragen, warum das Säugetier Fledermaus immun ist, warum Coronaviren ihm nichts anhaben kann und welche Mechanismen wirken. Eine Antwort wäre hochspannend; vielleicht fänden sich Möglichkeiten zur Bekämpfung.
Dafür suchte das Wuhan-Institut einen weiteren Biologen. Einer Pressemitteilung des Wuhan Institutes für Virologie entnimmt man, warum: »Wir glauben, dass es ein Gleichgewicht zwischen Fledermäusen und den Krankheitserregern, die sie tragen, gibt«, sagt der leitende Autor Peng Zhou. »Diese Arbeit hat gezeigt, dass Fledermäuse, um das Gleichgewicht mit Viren aufrechtzuerhalten, sich so entwickelt haben, dass sie bestimmte Pfade dämpfen können«.
Bei Menschen und anderen Säugetieren kann eine immunologische Überreaktion auf eines dieser und andere pathogene Viren schwere Krankheiten auslösen. Beim Menschen beispielsweise ist ein aktivierter STING-Signalweg mit schweren Autoimmunerkrankungen verbunden. »In der Geschichte des Menschen haben wir Infektionskrankheiten eine nach der anderen verfolgt«, schreibt Zhou, »aber Fledermäuse scheinen ein ‚Super-Säugetier‘ für diese tödlichen Viren zu sein«.
»Die Anpassung an den Flug hat wahrscheinlich eine positive Selektion von mehreren Fledermaus-Immun- und DNA-Schadenreparaturgenen verursacht«, sagt Zhou.
Immerhin sind Fledermäuse langlebige fliegende Säugetiere mit einem großen Reservoir an Viren. Aus der Identifizierung eines geschwächten, aber nicht stillgelegten STING-Signalwegs könnten die Forscher neue Erkenntnisse darüber gewinnen, wie Fledermäuse ihre antivirale Abwehr präzise feintunen. Nach mehr als zehn Jahren harter Forschungsarbeit konnte Zhou, der übrigens zu Beginn seines Studiums der Biotechnologie selbst am SARS-Virus erkrankte, zeigen, dass ein bestimmter Pfad im Organismus der Fledermaus gehemmt wurde. Eine in Fachkreisen aufsehenerregende Arbeit. Doch Anlass für wilde Spekulationen im Netz gefolgt von wüsten Theorien über die Forschung von Biowaffen und viel Platz für Fakenews.
Das ruft die Frage hervor, wie mit viralen Fehlinformationen umzugehen ist, und bringt berüchtigte »Faktenchecker« auf den Plan. Absonderliches kommt von Facebook. Das soziale Netzwerk will künftig strenger gegen Falschmeldungen vorgehen und verhindern, dass Unwahrheiten über die Erkrankungen an Coronaviren verbreitet werden. Entsprechende Posts sollen gelöscht werden. Stattdessen will Facebook »relevante und aktuelle« Informationen anzeigen – in Kooperation mit der WHO. Facebook also als Lautsprecher der WHO, der sagt, wo es langgeht.
Denn einige Leute würden der Erzählung über die Zahl der Todesfälle und Infektionen nicht trauen. Das bekundet Maarten Schenk von Lead Stories, einer »Organisation zur Überprüfung von Fakten«, die mit Facebook zusammenarbeitet. Es gebe doch tatsächlich Leute, die »geheime militärische Quellen« zitieren, die mit ziemlicher Sicherheit nicht existieren, und die behaupten, dass Zehntausende von Menschen durch das Virus gestorben sind, was weit über die aktuellen Schätzungen aus offiziellen Quellen hinausgeht.
Ein Facebook-Sprecher sagte gegenüber CNN Business, dass es mit seinen Partnern zur Überprüfung der Fakten zusammenarbeite, um falsche Behauptungen über den Virus zu entlarven. Sobald Facebook Postings und Links, die Behauptungen enthalten, überprüft und für falsch befunden werden, sagte ein Facebook-Sprecher, reduziere die Plattform ihre Verbreitung »dramatisch«. Leser dieser Inhalte, die versuchen, sie zu teilen, würden darauf hingewiesen, dass sie falsch seien.
Auch Google will falsche Informationen in seinen Suchergebnissen verhindern. Ein Sprecher von Google wies gegenüber CNN Business auf die Änderungen der Richtlinien für Google und seine Videoplattform YouTube hin. Nach denen sollen Informationen aus »maßgeblichen Quellen« an die Spitze der Suchergebnisse rücken. Wie Facebook wolle das Unternehmen falsche Behauptungen nicht vollständig aus seinen Plattformen werfen.
Das birgt eigene Gefahren: Der Staat sagt im Zweifel, wo es lang geht, die Internet-Giganten verbreiten unkritisch. Nicht nur, dass die Suchmaschine Google damit die Axt an ihr Geschäftsmodell legt, wenn sie nur noch gewünschte Ergebnisse präsentiert. Eine Entwicklung zur Einschränkung der Informationsfreiheit tut sich auf, deren Folgen weiter reichen dürften als der aktuelle Virenausbruch.