Tichys Einblick
Verwaltung ohne Ordnung

Bei Hart aber fair: Ist deutsche Bürokratie Monster oder Vorbild?

Klar: ein bisschen Loriot zum deutschen Beamtentum geht immer. Aber über diesen Punkt sind wir längst hinaus: Der Staat selbst ist ideologisch-bürokratisch korrumpiert.

Screenshot ARD

Der erkrankte Frank Plasberg wird seit vergangenem Montag von Susan Link vertreten. Mit der Moderatorin des Morgenmagazins macht jetzt also Frau Nummer vier die öffentlichen-rechtlichen Talkshows endgültig zu einer reinen Frauenrunde im Quartett mit Anne Will, Maybrit Illner und Sandra Maischberger. War hier wirklich kein adäquater Quoten-Herr zu finden? Aber schauen wir doch mal, wie sich die 43-Jährige an Frank Plasbergs angestammtem Platz so macht.

Thema der zweiten Sendung von Susan Link heißt Bürokratie. Die wird die WDR-Frau sicher selbst zur Genüge aus dem mit vielen Milliarden Euro Zwangsgebühren aufgeblasenen Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk kennen. Hier könnte sie aus dem Nähkästchen plaudern, aber Sie ahnen es schon …

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Ihre Gäste sind der ehemalige Ministerpräsident seines Landes, der Bayer Edmund Stoiber, der dauerjugendliche Ex-Jungunternehmer Frank Thelen, der auch Teil dieser unterhaltenden zwar, aber dann doch Mogelpackung „Höhle der Löwen“ ist, einem in die Kritik geratenen Start-Up-Event mit Fernsehbegleitung, Alicia Anker ist mit dabei, auch eine öffentlich-rechtliche Moderatorin (extra3) wie Susan Link, fast so, als wäre eine nicht genug, Stephan Grünwald steht bei Hart aber fair am Tresen, er ist Psychologe mit Institut, mit dabei auch Werner Jann, ein Seniorprofessor, der sich mit Verwaltung und Organisation auskennt, und zuletzt als Extragast Richard Raskin, ein Biologe und Umweltberater, der Unternehmen unter die Arme greift, um durch den Bürokratendschungel Deutschlands zu kommen.

Klingt nicht so spannend? Sie haben Recht. Diskutiert werden sollen beispielsweise Bonpflicht und Krötenschutz. Aber Bürokratie ist selbstverständlich nicht darauf beschränkt und wir sollten vorab mal ganz mutig eine Lanze brechen für diese oft geschmähte deutsche Bürokratie. Denn wer diese zu mächtig und aufgeblasen findet, der möge einmal dahin gehen, wo so eine Verwaltung öffentlicher und privater Vorhaben ganz fehlt. Merksatz: Bürokratie ist ihrer Idee nach der Feind der Anarchie. Allerdings kann eine aufgeblasene Bürokratie auch ganz schön anarchistisch wirken. Schauen wir mal, was die Gäste sich so zusammenreimen auf des Deutschen vermeintlich liebstes Steckenpferd: die Verwaltung. Insbesondere wohl die Verwaltung der Steuern, also der Gelder anderer.

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„Woher kommt die Sehnsucht der Deutschen nach Recht und Ordnung?“, eröffnet die Übergangsmoderatorin und spricht, als wäre das etwas irgendwie Ekliges, aber so kontaminiert kann es ja nicht sein, wenn auch diese Sehnsucht Jahr für Jahr Hunderttausende ins Land lockt. Doch, doch: Deutsche Bürokratie war über viele Jahrzehnte anderswo Vorbild. Auf dem Höhepunkt der merkelschen Massenzuwanderung allerdings wurden deutsches Recht und Ordnung nebst der zwingend damit verbundenen Bürokratie vom weltweit bewunderten Verwaltungsakt zur Lachnummer. Und diese Lachnummer wiederum zum Pullfaktor. Paradox?

Bon-Pflicht? Werner Jann nennt geschätzte zehn Milliarden Euro an Steuerhinterziehung und erinnert weiter daran, dass solche Bons in Italien und Österreich üblich wären, die schon hunderte Millionen Euro Mehreinnahmen an Steuern hätten, die sonst hinterzogen worden wären.

Frank Thelen schüttelt den Kopf über diese Zettelchen und die große Mutlosigkeit, so etwas zu digitalisieren: „Wir haben den Anspruch verloren in Deutschland, mal wieder Denkführer zu sein.“ Wirklich? Oder hat nicht gerade jenseits solcher idiotischer Debatten um kleine Papierzettelchen zum Espresso die Kanzlerin ihre Denkführerschaft über Deutschland, Europa und zuletzt über die ganze Welt angesagt, als sie beispielsweise Donald Trump einen auswischen wollte, indem sie von Trump so ungewollte Mexikaner als Pflegekräfte nach Deutschland lockte? Ja, mit so absurden Ideen will die Kanzlerin Denkführerin der Welt sein. Nein, das kann Thelen doch nicht gemeint haben.

„Wir können nicht sehenden Auges einfach akzeptieren, dass dem Staat Milliarden Steuereinnahmen verloren gehen.“, wird Angela Merkel mit einem Statement zur Bon-Pflicht aus dem Bundestag eingeblendet. Satire pur ist das, wenn so etwas die perspektivisch wohl größte Steuergeldvernichterin in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland sagt und Alicia Anker von der linkspopulistischen öffentlich-rechtlichen Satiresendung Extra3 diesen grotesken Witz nicht einmal versteht.

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Psychologe Grünewald beklagt sich über die Bürokratie, über ein durchreglementiertes Leben in Deutschland. Aber wenn es nur so wäre, wenn der Bürger tatsächlich das Gefühl hätte, da passen Verwaltungsleute genau auf, wofür die erarbeiteten Gelder verbrannt werden, aber das Gegenteil ist ja der Fall – die Verschwendungssucht des Staatsapparates bestätigt eigentlich nur eines: Den Glauben dieser Verwaltungsleute an irgendeine Apokalypse, anders kann dieser Und-nach-uns-die-Sinnflut-Gestus nicht zu erklären sein.

Oder kürzer und ohne Sinnflut: Der Beamtenapparat ist ein anderer geworden. Und wer, wie TE zuletzt im Arbeitsamt, einmal diesen neuen ideologisierten Wahnsinn anschaut, der weiß auch, wo der wahre Feind der einstmals weltweit bewunderten deutschen Ordnungssysteme zu Hause ist. Klar: ein bisschen Loriot zum Beamtentum geht immer, aber über diesen Punkt sind wir längst hinaus: Der Staat selbst ist ideologisch korrumpiert geworden.

Edmund Stoiber erinnert daran, wie Existenz gefährdend die „Molochbürokratie“ und „Überreglementierungen“ erst auf EU-Ebene seien. Hier wäre der europäische Vertrauensverlust doch zu Hause. Aber, so Stoiber weiter: „Bürokratie entsteht ja nicht durch die Bürokraten, entsteht nicht durch die Beamten. Sondern ein Gesetz braucht immer den Parlamentarier.“ Stoiber vermisst hier die Debatte um die Folgewirkung dieser Gesetze in den Parlamenten. „360 Milliarden Euro werden im Jahr in Europa verbraucht für die Bürokratie.“

Alicia Anker vom Satiremagazin extra3 erinnert an Friday for Future und dass diese Bons der Bonpflicht die Umwelt belasten würden. Seniorprofessor Werner Jann findet das mit dem Papiermüllaufkommen seien doch „Pipifaxprobleme“.

Und wie erklärt Alicia A. den Artenschutz? Wisse doch jeder, sagt sie: Die Windschutzscheiben wären sauberer, keine Insekten mehr, die daran kleben würden. Ach, wie schlimm ist das denn? Ist Frau Anker vielleicht Veganerin? Wo keine Kuh mehr benötigt wird, gibt’s auch keine Kuhfladen, also auch keine Insektenparadiese mehr. Die blähenden Metan-Kühe furzen das Klima heiß. Das Böse ist ein Muh mit schwarzen Flecken auf der weißen Fellweste.

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Ernsthafter: Edmund Stoiber erinnert daran, dass es sich nur eine hoch entwickelte Gesellschaft leisten könne, eine Autobahn entgegen der viel besseren Planung umzuleiten, weil der Lärm einem seltenen Anrainervogel möglicherweise aufs Hörorgan drücken könnte. Möglicherweise, weil fragen kann man den Vogel ja schlecht.

Nein, keine Satire, wirklich so passiert. Und – das darf man sagen – der 78-jährige Stoiber beeindruckt mit einem fulminanten Zahlengedächtnis, einem abrufbaren Erinnerungsvermögen durch die Jahrzehnte und einer verbalen Frische, welche die von Frank Thelen geforderte Denkführerschaft doch phasenweise durchblicken lässt. Aber ist damit der alte weiße Mann überhaupt angesprochen womöglich als Gegenpol zur bezopften kleinen Denkführerin aus Schweden?

Richard Raskin als Bürokratiebegleiter für Unternehmer in Sachen Kreuzkröte und Co beruhigt, dass Bauvorhaben nur dann in die Medien geraten, mit einem Hamster der im Wege ist, wenn da vorher kein Fachmann vernünftig geschaut und Umsiedlungspläne ausgearbeitet hätte. Er selbst hat schon Fotofallen aufgestellt, aber statt Hamster nur Ratten gefilmt.

Frank Thelen findet es pervers, das es schon Startups gibt, deren Mitarbeiter geschult sind, Unternehmen in den Dschungel der Bürokratie zu begleiten. Aber was ist dann mit dem Heer der deutschen Steuerberater? Auch überflüssig, wenn doch alles auf einen Bierdeckel passen würde? Bald also Bierdeckelpflicht zur Bon-Pflicht als spannende neue Gemengelage?

Schön: Jann erinnert daran, das eine „unbürokratische Entscheidung“ eben eine wäre, wo Sie der Sachbearbeiter erst zweifelnd anschaut und dann sagen könnte: Nö, ihr Gesicht gefällt mir nicht, sie bekommen hier nichts. „Wollen wir das?“ fragt der Professor rhetorisch. Stephan Grünewald glaubt, dass unsere Bürokratie eine Art Ersatzidentität sei. Die Sehnsucht Unruhe zu bannen gar. Das Leben als Schweizer Uhrwerk? Aber wo soll das in Deutschland heute noch sein? Der Psychologe als heimlicher Historiker?

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Stoiber erinnert die Runde mal eben daran, dass die Deutschen aus einem Unrechtsstaat kommen, aus einer Willkürverwaltung. Und deshalb so genau alles geregelt haben wollen. Gegen die Willkür! Im wahren Rechtsstaat gäbe es kein Ermessensspielraum. Bürokratie also gar als Freiheitsgedanke? Das ist eben so kühn, wie für den Moment bestechend logisch. Nein, Stoiber ist noch lange kein Erzählopa, hier empört sich offensichtlich einer aus Leidenschaft.

Werner Jann erinnert daran, dass die Bürokratie manchmal gar nicht so kompliziert sei, sondern dass es die Bürgerbeteiligung wäre, die mit dem guten Recht, für oder gegen etwas auf die Straße zu gehen, das System erst komplett in Frage stelle. Ein Recht, das es in China übrigens nicht gäbe, deshalb könne man da dann auch einen Flughafen in Rekordgeschwindigkeit bauen. Eine Geschwindigkeit, die Stoiber wiederum bei der Bürokratie vermisst, wenn Verfahren dort so endlos dauern, bis eine bürokratische Entscheidung fallen würde. Aber Frank Thelen kann das noch toppen: Er will zwar Demokratie, aber bitte auch ein bisschen China, jedenfalls insofern, dass der Staat mal rigoroser durchgreift – beispielsweise bei Protesten gegen Windräder.

Lustig wird es noch beim „Maßnahmengesetzvorbereitungsgesetz“, dass eigentlich Bürokratie massiv abbauen soll und doch wie das genaue Gegenteil klingt. Für Frank Thelen ganz klar: „Wir können kein Marketing.“ Aber Marketing bei der Gesetzgebung? Thelen führt hier wunderbar vor, dass der Versuch einer kleinen partiellen Denkführerschaft eben schon in kleiner Runde so seine Tücken haben kann.

Professor Werner Jann findet noch: „Wenn einem Politiker gar nichts mehr einfällt, dann fordert er Bürokratieabbau.“ Gut, das mag die Bürokratie sein, die den Bürger mit seinen alltäglichen Anliegen gegenüber dem Recht reglementiert. Viel interessanter ist doch, wie das mit jenen Vorhaben aussieht, wo der Staat Milliarden budgetiert, wo er sich quasi selbst eine innere Bürokratie schafft, eine Art Monopoly, dessen Regeln er selbst festlegt und deren Mitspieler er selbst bestimmt, beziehungsweise freundlich einlädt, daran teilzunehmen, wenn beispielsweise hunderte Millionen Euro in zweifelhafte Demokratieprojekte fließen oder Milliarden in eine Massenzuwanderung investiert werden und gleichzeitig (!) Milliarden in die Verhinderung eben dieser Massenzwanderung.

Das ist der tägliche Wahnsinn, der dem Bürger am Ende am meisten auf der Tasche liegt. Nicht der zur Ablenkung von einem solchen großen Wahnsinn – oder Größenwahnsinn – inszenierte kleine Papierzettel für die Brötchentüte des braven deutschen Michels.

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Dem oft so viel gescholtenen Edmund Stoiber, der heute der munterste von allen war, soll deshalb das Schlusswort gehören, wenn er daran erinnert, wie aufwendig es war, auch auf EU-Ebene durchzusetzen, das heutzutage für jedes neue Gesetz ein altes abgeschafft werden muss, um eine weitere Bürokratieeskalation zu verhindern. Die Führer der EU seien damals „strikt dagegen gewesen“, trotzdem habe sich die Idee durchgesetzt. Thelen klatscht dazu, scheint aber zu vergessen, dass er gerade erst Marketing angemahnt hatte, das aber hier gescheitert sein muss, wenn niemand davon weiß und gefühlt immer mehr Gesetze immer weniger regeln können  in Deutschland.

Liegt das womöglich daran, dass immer mehr Bürokratie von außerhalb des Landes im Land selbst gelten soll, wenn sogar schon ein Rülpser der UN in Deutschland ein Erdbeben auslösen kann, weil eine Denkführerin Merkel sich Gedanken darum macht, dieses herrlich bürokratische Land zu einem Mekka für Unbürokraten zu machen, die doch vor allem auch gelernte Undemokraten sind?

Abschließend soll hier ein herzlicher Genesungswunsch für den Moderator Frank Plasberg stehen. Laut Informationen seines Senders soll er längerfristig nicht selbst auf Sendung gehen können wegen eines „temporären Ausfalls des rechten Gleichgewichtsorgans als Folge eines lange zurückliegenden Knalltraumas“. Das klingt schlimm, klingt nach zu viel Stress, wenn die Ärzte, so ARD weiter, Ruhe vorordnet hätten. Hier soll kein Raum für Spekulationen sein, aber wie vernichtend Stress bisweilen sein kann, das weiß jeder, der seit vielen Jahren diese teils zermürbenden täglichen Debatten führt, die diese Republik so entzweit haben. Ein Segen für jeden Betroffenen, der die Möglichkeit zur Auszeit und zur vollständigen Genesung hat. Und diese wünschen wir Frank Plasberg: Auf viele weitere Sendungen, die wir gerne wieder kritisch begleiten. Versprochen.

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