In diesen Tagen entscheidet sich viel für Thüringen, mehr aber noch für die FDP im Freistaat. Wer in Thüringen gehofft hat, mit der FDP eine Partei zu wählen, die entweder hilft, Dunkelrotrotgrün abzulösen oder, wenn es im Ergebnis nicht reicht, eine konsequente Oppositionsrolle im Landtag einnimmt, dürfte sich getäuscht sehen. Außer vorab markige Worte zu Protokoll zu geben, um hinterher doch mit Dunkelrotrotgrün zu kuscheln, ist derzeit von der FDP nichts wahrzunehmen.
Politik ist jedoch mehr als Semantik, Wortmarketing und Kungelei. Zwar will man mit Dunkelrotrotgrün nicht zusammenarbeiten, hält die Linke, wie die AfD gleichermaßen, für die Repräsentanten der Ränder der Gesellschaft. Dennoch nimmt man an einem Treffen mit dem Ministerpräsidenten teil, dessen Partei nach FDP-Meinung einen von zwei Rändern der Gesellschaft vertritt. Allerdings mutet die Vorstellung der Partei, die es mit Ach und Krach und ein wenig Glück über die 5%-Hürde geschafft hat, über die Ränder und über die Mitte im Freistaat reichlich seltsam an, denn die Ränder sind mit 54 % der Stimmen für Linke und AfD mithin wesentlich breiter als die schmale FDP-Mitte. Übrigens, während man mit einem Repräsentanten eines Randes spricht, vermeidet man – zumindest öffentlich – Gespräche mit dem Repräsentanten des anderen Randes. Im Denken der Thüringer FDP scheint inzwischen eine Unterscheidung zwischen dem guten und dem bösen Rand zu existieren.
Das Gespräch mit dem Ministerpräsidenten Bodo Ramelow, an dem der Thüringer FDP-Vorsitzenden Thomas L. Kemmerich teilgenommen hat, scheint zu handfesten Ergebnissen zu führen.
In dieser Situation kommt als Zünglein an der Waage nun die FDP ins Spiel und erweist im vorauseilenden Gehorsam den Linken einen Dienst. Im Justizausschuss drängte die CDU vernünftigerweise vor der Wahl auf eine juristische Klärung des Sachverhalts, denn die Abgeordneten benötigen natürlich Rechtssicherheit über die Folge ihres Votums. Wenn die Rechtsauffassung gilt, dass für die Wahl zum Ministerpräsidenten im dritten Wahlgang eine einzige Ja-Stimme ausreicht, wenn keine weiteren Kandidaten sich zur Wahl stellten, bedeutet das, dass Bodo Ramelow als Ministerpräsident nur zu verhindern wäre, wenn CDU, FDP oder AfD einen Kandidaten nominieren würden, der von allen drei Parteien unterstützt würde. Die FDP will übrigens am Montag Abend darüber entscheiden, ob man mit einem Kandidaten ins Rennen geht.
Die notwendige Klärung wurde jedoch ausgerechnet von der FDP verhindert. Der Antrag der CDU, den die AfD unterstützte, fiel im Justizausschuss durch, weil die Vertreterin der FDP, Franziska Baum, sich – wohl wissend um die Folgen – der Abstimmung enthielt. Baums Begründung ist reines Parteichinesisch und dokumentiert, was Thüringens Bürger von der FDP zu erwarten haben – Opposition jedenfalls nicht. „Die FDP als Rechtsstaatspartei hat volles Vertrauen in die demokratischen Entscheidungsprozesse“, so Baum nach der Abstimmung. „Wir glauben nicht, dass uns eine politische Debatte über diese Frage im Augenblick in den Positionen näher zusammenbringt.“
Im Kern geht es um etwas anderes. Der Lesart der Landesverfassung, dass im dritten Wahlgang eine Ja-Stimme für die Wahl genügen würde, erlaubt der FDP, entweder mit Nein zu stimmen oder sich der Stimme zu enthalten, ohne Ramelows Wiederwahl zu gefährden, sie stellt im Grunde eine indirekte Wahl Ramelows dar. Und dass aus einem einzigen Grunde, weil man die Oppositionsrolle nicht annehmen möchte, weil die AfD die stärkste Oppositionspartei ist. Die politischen Pittoresken, die wir gegenwärtig in Thüringen anschauen dürfen, werden nur aus einem einzigen Grund aufgeführt, weil CDU und FDP zwischen Linke und AfD eingeklemmt sind und eher Blockparteien werden würden, als in welcher Form auch immer, mit der AfD zusammenzuarbeiten. Die logische Alternative wäre gewesen, dass die CDU eine Regierung mit der FDP unter Duldung der AfD gebildet hätte. Aber weil nicht sein kann, was nicht sein darf, führt man immer absurdere Tänzchen auf und macht sich lächerlich, was gewiss nicht der Demokratie dient.
Ein wenig Verständnis für die schwierige Situation der FDP lässt sich bei nüchterner Analyse allerdings doch noch aufbringen, denn das eigentliche Problem stellt die CDU dar.
Wirft man einen Blick auf die Äußerung des CDU-Oberbürgermeisters von Altenburg, dann schwant einem, dass der eigentlich unsichere Kantonist die CDU ist. So hat André Neumann am 30. Januar getwittert: „Der 5.02.2020 wird ein hist. Tag für die CDU Thür. Wir können beweisen, dass wir mit Niederlagen umgehen können, wir neue Wege gehen und für uns das Land zählt. Das wir uns klar von Rechts abgrenzen und die Demokratie unser höchster Wert ist. Unterstützen wir R2G! Für Thüringen!“ Für die internationale Solidarität, für die Befreiung der Werktätigen möchte man den Text des Altenburger CDU-Politikers fortsetzen, den auch die SED nicht besser hätte formulieren können.
„Historisch“ kann man freilich auch den Rückfall in die eigene Geschichte als Blockpartei nennen, ganz davon abgesehen, dass man mit krassen Übertreibungen und Überhöhungen im Wortgebrauch vorsichtig umgehen sollte, denn bereits Victor Klemperer zeigte u.a. an der Verwendung des Wortes „historisch“ im LTI, welch totalitäre Diktion in der semantischen Überhöhung liegt. Es mag dem Altenburger Oberbürgermeister möglicherweise nicht bewusst sein – um so schlimmer -, aber wer sich gegen rechts abgrenzen will, begibt sich nach links, eine linke CDU wäre allerdings wieder eine Blockpartei, die der Führung der SED oder ihrer Nachfolgerpartei, der Linken, folgt. Er begibt sich in die babylonische Gefangenschaft von Dunkelrotrotgrün.
Parteien, insbesondere die CDU, begehen den Denkfehler, dass sie meinen, wenn sie nach Links gehen, folgen ihnen die Wähler. In Wahrheit entsteht lediglich eine Repräsentationslücke, die früher oder später ausgefüllt wird. Ist sie ausgefüllt, ist der Partei, die sie geschaffen hat, der Rückweg versperrt, wird sie a la longue im politischen Nirvana enden.
Findet die FDP nicht zu einer eindeutigen Oppositionsrolle, denn einen CDU-Ministerpräsidenten wird, wie man am Beispiel Neumanns sieht, die CDU selbst verhindern, dann wird sie nur einen Sommer lang im Parlament tanzen.
Thüringen zeigt, in welch schwierige Situation Politik gerät, wenn sie sich von Inhalten und Positionen den Medien zuliebe löst, dann werden Politiker nämlich zu Getriebenen.