Nachdem der Westdeutsche Rundfunk mit dem „Umweltsau“-Skandal reichlich Minuspunkte gesammelt hat, versucht er beim Zuschauer mit der als neue „Dilemma-Show“ „Nicht dein Ernst!“ vorgestellten Produktion in seichteren Gewässern zu landen. Es soll „pointierte Filme“ und „Sozialexperimente mit versteckter Kamera“ geben.
Eines muss man dem Sender lassen. Zumindest mit dem Titel, der genau so klingt, wie es sich Frau Schmidt und Frau Schulze im Treppenhaus verschwörerisch zuraunen würden, trifft man den Punkt. Die erste Sendung ist bemüht, in schummriger Beleuchtung und lässiger Kulisse ein Gegengewicht zu übereifrigen Polit-Talkshows, nämlich betont leutseilig und von jeglichem Bierernst befreit, zu setzen. Dafür garantiert schon der beliebte und versierte Spaßmacher Jürgen von der Lippe, der mit Kollegin Sabine Heinrich („Frau TV“) durch die 45 Minuten führt.
Wie um genau diese Distanz zum Polittalk unter Beweis zu stellen, lud man den Platzhirsch unter den deutschen Talkmastern, Frank Plasberg (Hart aber Fair) zum allerersten Stelldichein. Thema: „Partys und Einladungen“. Hier waren beileibe keine politischen Fehler zu machen, Omas zu beleidigen oder auf konservative Zehen zu treten. Der Zuschauer konnte sicher sein, mit der Problematik bestens aus eigener Anschauung bekannt zu sein, und mit dem stets launigen von der Lippe war ein erfahrener Experte fürs allzu Menschliche bei der Hand.
Aber hart und trotzdem fair vorweg gesagt: Das scheint auf den ersten Blick eine Show, die keiner wirklich braucht. Denn das nötige soziale Fingerspitzengefühl, sich weder als Einladender noch als Gast gründlich an einer Feier zu verheben, lernt man üblicherweise in den paar Jahren vorher, im richtigen Leben.
(So was wie Von der Lippe über Greta und der folgende Shitstorm passen natürlich nicht in die „Dilemma-Show“ „Nicht dein Ernst!“)
Das kann doch nicht ihr Ernst sein
Frank Plasberg wirkte in diesem Genre zunächst etwas deplatziert. Aber offenbar war dem Moderator nach all den Jahren anstrengender Fernsehdebatten bei diesem Ausflug in die leichte Unterhaltung recht wohl, denn er schien sichtlich entspannt und auskunftsfreudig. Trotzdem mag der Plausch zwischen den Dreien kaum fesseln. Liegt es an den Fragen, schicke es sich zum Beispiel, auf einer Party
- wegen eigener Vorlieben nach einem Butterbrot zu fragen ? (Ja, das müsse man sogar: so v. d. Lippe, er selbst habe z.B. eine Scampiallergie und müsse solche ja durchaus beliebten Zutaten meiden.)
- zwecks Finanzierung um Geldgeschenke zu bitten ? (Die Frage nimmt keiner der Drei ernsthaft auf)
- Personen, die einem unbekannt sind, die aber vorgäben, einen zu kennen, direkt zu fragen, wer sie denn wohl seien ? (Hier schließt sich eine Filmsequenz an, in der eine Schauspielerin fremde Menschen in der Ladenpassage als vermeintliche Bekannte anspricht, man erkennt aber, dass die Veralberten ehrlich perplex sind – Frank Plasberg meint, er ließe sich immer von seiner Frau durch eine Frage retten)
- geradeheraus zu sagen, wenn einem das Essen nicht geschmeckt habe ? (Sabine Heinrich,mit einer wohlwollenden Erwähnung ihrer Großmutter: „Oma habe die Qualität einer Feier immer davon abhängig gemacht, ob genug Essen da war.“)
- zu gehen, ohne sich vom Gastgeber zu verabschieden ? (man kommt überein, dass man heimlich und leise gehen solle)
- mit Motto nicht dem Motto nach gekleidet zu sein ? (V.d. Lippe würde das Motto kreativ & weit auslegen, bei „Motto Skifahren käme er als Schneewehe.“)
Und so wird die von der Redaktion vorbereitete Liste angeblicher Peinlichkeiten (die das aber für den Zuschauer, der oft gewandter ist, als es die Drehbuchschreiber vermuten, nicht wirklich sind) abgearbeitet, unterbrochen von den Kommentaren und Anekdoten Frank Plasbergs und Jürgen v.d. Lippes.
Ob Plasberg denn nun ein Party-Typ sei oder nicht, möchte Frau Heinrich wissen? Der erwidert, dass es ihm wichtig sei, „nie ohne ein bis zwei gute Gespräche gehabt zu haben, nach Hause zu gehen.“ Man erfährt außerdem, dass er schon mal mit Gattin zu schludrig angezogen zu einem gesetzten Essen erschienen sei, damit aber letztlich als Prominenter habe Maßstäbe setzen können und sich die anderen Gäste plötzlich „overdressed“ gefühlt hätten. Dass er als Polizeireporter bei der Abendzeitung in München gearbeitet und sich mal als Jugendlicher beim Stiefeltrinken total besoffen habe.
Und weiter geht die Lehrstunde
Das Gespräch für den modernen Höhlenmenschen: Was wir uns schon immer gefragt haben, aber nur zu feige waren, zu fragen.
Die Sendung gibt Antworten auf „Bravo“-Niveau:
Ein „Nettes Abendessen mit Freunden könne ganz schön nach hinten losgehen…“
„Zu früh kommen sei genauso unhöflich wie zu spät kommen.“
„Gute Miene zum bösen Zuspätkommenden machen.“
„Sich um den nervigen Einzelgast kümmern, damit die Anderen einen entspannten Abend haben.“
„Diäten und Unverträglichkeiten seien ein Alptraum für den Gastgeber.“
„Wichtigste Regel: Man solle die Gastfreundlichkeit nicht überstrapazieren.“
Dürfe man denn seinem Partner das Partymachen verbieten ?
Jürgen von der Lippe habe seiner Frau, die ein richtiges „Feierbiest“ sei, schon mal bissige Whatsapp-Nachrichten in die Nacht nachgeschickt, und die größten Abstürze und Saufgelage während seiner Bundeswehrzeit erlebt. Sabine Heinrich merkt an, dass, da diese von Beiden nicht erwähnt worden sei, deren Hochzeitsfeiern offensichtlich nicht die Schönsten gewesen sein können, was beide Männer nicht abstreiten. Sie selbst muss gestehen, einmal in Unna von ihrem Bruder aus der Toilette des Lokals „Beo“ gezogen worden zu sein.
Die Video-Einspieler-Redaktion darf unter dem Titel „Partys, auf denen es richtig kracht“ melden: -„Tessa hat 1.600 facebook User aus Versehen eingeladen“, „ein englischer Tourist hatte einen Filmriss“, und „Tupperparties, die aus dem Ruder liefen.“ Der Zuschauer lernt in einigen lustigen Videos zum Thema „Kindergeburtstag“, dass „Piniatas“ nun auch in Deutschland angesagt sind und man sich als Mann bei den Hieben der Kinder auf das gefüllte Papierpferd vorsehen muss. Dass man zwar Zauberer, aber bloss keine Hütchenspieler als Attraktion für die Kleinen einladen und möglichst kurze, strukturiere Kindergeburtstagsprogramme organisieren sollte.
Fernseh-Kümmerkasten für die Hausapotheke?
Für die besten Kalauer des Abends sorgte Frau Heinrich, die Frank Plasberg in goldfarbenem Anzug (auf der Mottoparty „as golden as you can“) mit Heiko Maas verwechselte, und Jürgen von der Lippe, der auf die abschließende Frage, was es denn für eine richtig gute Party bräuchte, nur lapidar mit „Alkohol“ antwortete.
An der heutzutage durchaus wichtigen „Verhandlung ungeschriebener Regeln des Alltags, einer Suche nach Lösungen für die kleinen und großen Zwickmühlen“ (WDR-Webseite) aber kann sich der WDR in den 45 Minuten nur verheben.