Was für ein Schicksal! Eine Frau bezieht deutlich weniger Rente als die Grundsicherung von 840 Euro. Sie verdient sich aber noch etwas dazu – mit einem 450 Euro-Minijob. Sie gehört somit gleich zu zwei bedauernswerten Bevölkerungsgruppen, die eine Kümmerexistenz führen: den armen Alten und den prekär Beschäftigten.
Was für ein Schicksal? Dieselbe Frau hat einen Mann, den man getrost zur Gruppe der Besserverdienenden zählen darf. Statistisch bereichert die Dame uns also auf dreifache Weise: als unter Altersarmut leidende Rentnerin, als prekär Beschäftigte und vermeintlich luxuriös lebende „Nur“-Hausfrau.
Nein, dieses Beispiel illustriert nicht die typische deutsche Rentnerin. Aber es zeigt, dass all die Warnungen vor einer flächendeckenden Verarmung der Rentnerinnen und Rentner mehr mit politischer Panikmache zu tun haben als mit der Realität. Vor allem übersieht die politisch gewollte Fixierung auf die gesetzliche Rente als scheinbar einzige Einkommensquelle im Alter, dass nach diesem Maßstab schon heute in Rentnerhaushalten blanke Not der Regelfall sein müsste. Genau das ist aber nicht der Fall. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes lag das Nettoeinkommen von Rentnerhaushalten im Durchschnitt bei 2.117 Euro, das Durchschnittseinkommen aller Haushalte bei 2.914 Euro. Dabei sind aber sämtliche Einkommensarten berücksichtigt und nicht nur die Renten. (Daten der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe des Statistischen Bundesamtes von 2008; neuere liegen nicht vor.)
Irreführender Blick auf die Rente allein
Aktuell liegen 65 Prozent aller Renten unter 900 Euro im Monat, jeder zweite Rentenbezieher muss mit weniger als 750 Euro auskommen. Aber warum lassen sich dann nur knapp 3 Prozent aller Rentner die eigenen kargen Bezüge auf die Grundsicherung von 840 Euro anheben? Weil die gesetzliche Rente in den meisten Fällen nicht die einzige Einnahmequelle im Alter ist. Deshalb bieten die aktuellen Angaben über die Höhe von Renten kein umfassendes Bild von der Lage der Rentner. Aus demselben Grund sagen Prognosen über künftige Rentenhöhen nur wenig aus über den Lebensstandard der künftigen Rentner.
Das wird auch in Zukunft nicht wesentlich anders sein. 60 Prozent der Beitragszahler haben zusätzlich Ansprüche auf eine betriebliche Altersversorgung. Auch fast 90 Millionen Lebensversicherungen und 16,5 Millionen Riester-Verträge werden für Einkünfte sorgen, selbst wenn diese Formen der privaten Vorsorge angesichts der niedrigen Zinsen nicht mehr so viel abwerfen wie noch vor zehn oder zwanzig Jahren. Und was die Häuser und Eigentumswohnungen der heutigen Senioren angeht: Die werden in nicht so ferner Zukunft ihren Kindern gehören und diesen zu zusätzlichen Einnahmen im Rentenalter verhelfen oder ihnen mietfreies Wohnen erlauben.
Stabilität des Rentensystems gründlich angehen
Gibt es also keinen Grund, über die Stabilität des Rentensystems nachzudenken? Das wäre fahrlässig. Denn angesichts der Überalterung der Gesellschaft wird das Verhältnis zwischen Beitragszahlern und Rentenbeziehern immer ungünstiger: 1992, als die Regierung Kohl/Genscher den demografischen Faktor in die Rentenformel einfügte, kamen noch knapp drei Beitragszahler auf einen Rentner, heute müssen zwei Aktive einen Ruheständler finanzieren, 2050 wird das Verhältnis in Richtung 1 zu 1 tendieren. Wer angesichts solcher Zahlen das Rentenniveau wieder erhöhen will, muss entweder die Beitragszahler und Arbeitgeber stärker zur Kasse bitten, die Lebensarbeitszeit verlängern oder die Steuerzuschüsse an die Rentenkasse noch stärker erhöhen. Das alles würde die Arbeitskosten erhöhen, den Konsum dämpfen und zu Steuererhöhungen führen – ein rundum wirtschaftsfeindliches Rezept. Deutschland wäre so auf dem besten Weg zurück zum „kranken Mann“ Europas.
Vor mehr als zehn 15 Jahren hat die Regierung Schröder-Fischer das Rentenniveau auf mittlere Sicht gesenkt und parallel dazu mit der Riester- und Rürup-Rente staatliche Anreize zur Förderung der privaten Vorsorge geschaffen. Die Regierung Merkel/Müntefering hat das Renteneintrittsalter stufenweise auf 67 Jahre erhöht. Das waren keine Manöver, um die kleinen Leute zu quälen, wie das heute von Linkspartei, SPD-Linken und grünen Fundis gerne dargestellt wird. Kein Rentenreformer hätte diese keineswegs populären Maßnahmen ergriffen, wenn die Kassenlage und die demografische Entwicklung dies nicht erzwungen hätten.
Deshalb ist die aktuelle Rentendiskussion geradezu grotesk: Statt die private Vorsorge besser als bisher zu fördern und das Renteneintrittsalter flexibler zu gestalten, will Schwarz-Rot einen Schritt zurück in Richtung des Vollkasko-Rundum-Versorgungsstaats. Der kleinere Teil der Groko (CSU und SPD) versucht mit Blick auf die Bundestagswahl 2017 die Gesetze der Mathematik auszuhebeln, was übrigens noch keiner Regierung gelungen ist, und das Rentenniveau wieder anzuheben – den demografischen Fakten und der Kassenlage zum Trotz. Die CDU scheint zögerlich auf den Kurs der Rentenpopulisten einzuschwenken, um nicht noch mehr Wähler an die AfD zu verlieren. Und das Allergefährlichste: Bei all den Prognosen, mit denen die Renten-Erhöher derzeit in Berlin hantieren, reicht keine über 2030 hinaus. Dabei ist eines sicher: Die Rückabwicklung der Rentenreformen führt nicht ins Paradies, sondern ins Desaster.