Tichys Einblick
Preussische Disziplin am Herd

Vorsprung durch Technik – auch in der Küche

Dem deutschen Ingenieur ist nichts zu schwer – und so eroberte die Technisierung auch den einstigen familiären Lebensraum: Aus der Wohnküche wurde eine funktionale Nutzfläche. Auch bei den Speisen geht es den Deutschen mehr um Effizienz und Kosten als um Geschmack.

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Den größten Eindruck hinterlässt die Esskultur der Deutschen nicht durch Raffinesse, Vielfalt und kulinarische Kunstfertigkeit, sondern durch Forschergeist, Ingenieurstalent und Technik. Deutschland ist Weltmarktführer bei Küchengeräten und hat die Lebensmittelindustrie mit Erfindungen wie dem Raffinieren von Rübenzucker beflügelt. Billige, praktische, haltbare Lebensmittel sind das Feld, auf dem Deutsche sich hervorgetan haben.

Auch auf dem Feld der Ehre. Kein Geringerer als der für das Weimarer Militär verantwortliche Minister Johann Wolfgang Goethe kaufte die ersten Gulaschkanonen. Erfinder: der preußische Offizier und Schriftstellerkollege Friedrich von Kurowski-Eichen. Der auf zwei Rädern montierte und von zwei Pferden gezogene Ofen war groß genug für eine Kompanie hungriger Mäuler. Das Ofenrohr ließ sich umklappen, sah also aus wie ein Kanonenrohr. Der Kessel war besonders für das scharfe Anbraten von Fleisch geeignet, meist Gulasch aus den für König und Vaterland gefallenen Pferden. Gut isoliert garte das Gulasch weiter, während es rollte. Ein Vorteil gegenüber jenen Tagen, in denen sich Soldaten ihr Essen auf offenen Feuern selbst zubereiten und die Zutaten womöglich plündern mussten. Das Essgeschirr heißt bis heute „Kochgeschirr“ bei der Bundeswehr.

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Die eiserne Ration im Tornister kommt zum Einsatz, wo die Gulaschkanone fehlt. Darin lange Zeit unentbehrlich: in heißem Wasser auflösbare Erbswurst. Ohne sie hätte Fürst Bismarck das Deutsche Reich nicht herbeigesiegt. Als Preußens Armee 1870 gegen Frankreich zog, marschierte die Vorläuferin aller Tütensuppen mit, ein Mehl aus Erbsen, Rinderfett, dazu Speck in mikroskopischer Körnung, Zwiebeln, Salz und Pfeffer, praktisch verpackt in handlichen Rollen aus Papier. In einer staatlichen Fabrik produzierten 1.700 Arbeiter täglich sieben Tonnen Erbswurst, insgesamt bis zu 5.000 Tonnen. Der Berliner Koch Johann Heinrich Grüneberg hatte sie einige Jahre vor dem Frankreich-Feldzug entwickelt und das Patent für die stolze Summe von 35.000 Silbertalern des Deutschen Zollvereins (umgerechnet etwa 700.000 Euro) an Preußen verkauft. Die siegreichen Deutschen wollten danach auch im Frieden nicht mehr von der Erbswurst lassen.

Vorausgegangen waren erfolgreiche Experimente am Mann. Sechs Wochen lang waren Versuchspersonen ausschließlich mit Erbswurst und Kommissbrot ernährt worden und hatten die Diät überlebt. Georg Büchner hat in seinem Theaterstück „Woyzeck“ von solchen Versuchen berichtet. Der Soldat Franz wird für zwei Groschen täglich mit Erbsen traktiert. „Doctor: ,Hat Er schon seine Erbsen gegessen, Woyzeck? Es gibt eine Revolution in der Wissenschaft, ich sprenge sie in die Luft. Harnstoff 0,10 salzsaures Ammonium, Hyperoxydul – Woyzeck, muss er nicht wieder pissen? Geh Er einmal hinein und probier Er’s!‘“

Der Brühwürfel darf nicht vergessen werden. Der Chemiker Justus von Liebig ersann 1853 jenen Fleischextrakt, der als kräftigende Krankenkost für ärmere Leute gedacht war. In einem Kilo steckte die Essenz von 30 Kilo Muskelfleisch: gekocht, filtriert, entfettet und getrocknet. Und deshalb zu teuer für das industrielle Proletariat. Der Fleischextrakt stieg auf zum unentbehrlichen Hilfsmittel in der gutbürgerlichen Küche. Ein Riesengeschäft machte daraus jedoch erst Georg Christian Gilbert, der in Uruguay Liebigs Fleischextrakt in gewaltigen Mengen produzierte. Durchgesetzt hat sich bis heute leider der Brühwürfel aus pflanzlichen Geschmacksverstärkern.

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Liebig entwickelte auch das Backtriebmittel als Ersatz für leicht verderbliche Hefe, mit dem später ein Mann reich wurde, der es in kleine Tütchen füllte, jeweils portioniert für ein Pfund Mehl: August Oetker. Das Deutsche Reich strebte hochoffiziell nach Marktführerschaft auch auf dem Feld der Küchenmöbel. Seit 1926 beförderte die Rationalisierungsgemeinschaft für Hauswirtschaft des Reichskuratoriums für Wirtschaftlichkeit den Fortschritt. Aus diesem Jahr stammt die berühmte Frankfurter Küche, eine Ikone der industriellen Moderne. 1926 von der Wiener Architektin Margarete Schütte-Lihotzky entworfen, verwarf sie die damals noch üblichen geräumigen Wohnküchen. Die Frankfurter Küche sollte die Emanzipation der berufstätigen Frau nachhaltig befördern. Tatsächlich förderte sie eher das Gegenteil: Die Frankfurter Küche bot nur einer Person Platz, und das war die Hausfrau.

Die weitere Entwicklung endete nicht mit der Befreiung der Frau, sondern mit der des kochenden Mannes. Die Küche ist wieder ins Zentrum der Wohnkultur gerückt, und diesmal wird nicht geknausert. Es ist die Bühne des kochenden Herrn. Immer häufiger fällt die Kaufentscheidung zwischen Porsche und Küchen, zwischen altem und neuem Statussymbol. Luxusküche und Luxusauto sind beides Kokons, in denen sich der Besitzer einkapseln und verwirklichen kann. „Krisen sind gut für die Küche“, sagt der erfahrene Verkäufer im Münchner Poggenpohl-Showroom, wo es tatsächlich Küchen von Porsche-Design gibt. Es wird unterm Strich nicht mehr gekocht, eher mehr aufgewärmt und aufgebacken.

Die Frankfurter Küche sollte die Emanzipation
der berufstätigen Frau nachhaltig befördern

Ausgestattet aber ist die Renommierküche mit den besten Geräten aus deutscher Hidden-Champions-Produktion. Dialoggarer, die mit elektromagnetischen Wellen arbeiten, Rotationsvaporateure, kryogenische Gefriereinheiten, alle steuerbar per Mobilfunk – es fehlt an nichts in der Formel-1-Küche made in Germany. Auch nicht am Thermomix, dem global millionenfach verkauften Gruß aus der deutschen Küchenkultur. Wie ist der Erfolg zu erklären? Das Geheimnis hört auf den schönen deutschen Namen „Geling-Garantie“. Wo Sehnsüchte Versicherungsschutz genießen, wo sich Romantik auf Rationalität reimt, da wird eine Küchenmaschine produziert, die tief in die deutsche Seele blicken lässt. Sie ist auch eine Antwort auf German Angst. Dazu zählt nicht zuletzt die Angst davor, etwas könnte außer Kontrolle, gar zur Blamage geraten. Der wahre Koch weiß, dass Kochen ohne Improvisationstalent und Kreativität nicht möglich ist. Wer nichts falsch machen will, kann am Herd auch nicht viel richtig machen. Der Thermomix aber ist für Köche ohne kulinarische Leidenschaft entwickelt.

Der nächste Schritt kommt bestimmt. Anders als der Franzose überlässt der Deutsche selbst das Kochen alsbald künstlichen Intelligenzen und ihren Algorithmen. Er platziert veganes Grillgut auf dem schwenk- und höhenverstellbaren BBQ-Hydra 900 oder dem HaJa Tec EHR 1320 D zum Preis eines veritablen Elektromobils. Auch im Outdoorbereich neigt der deutsche Mann eben zu Perfektion aus heimischer Produktion.

Weiterlesen in:
Wolfgang Herles, Vorwiegend festkochend. Kultur & Seele der deutschen Küche. Penguin Verlag, 416 Seiten, mit zahlreichen vierfarbigen Fotos, 29,00 €


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