Eins lässt sich mittlerweile, gestützt durch Daten und Fakten, feststellen: Boris Johnson wirkt. Anfang Dezember letzten Jahres hatte er, noch mitten im Wahlkampf, die Finanzierung der BBC in Frage gestellt und damit – zumal im deutschen Blätterwald – für Aufsehen gesorgt. Nun tragen seine Worte erste Früchte. Der langjährige Generaldirektor der BBC, Tony Hall, hat seinen Rücktritt angekündigt, und das trotz allerhand nostalgischer Gefühle, die er für den Senderverbund aufbringt. In einem offenen Brief schreibt der scheidende Direktor: »Ich liebe die BBC. Wenn ich meinem Herzen folgte, würde ich wirklich niemals gehen wollen.« Ja, aber irgendwann muss ein jeder gehen, und wenn es noch so schwerfällt.
Tony Hall war über 25 Jahre sozusagen verheiratet mit der BBC, moderierte alle wichtigen politischen Sendungen und sorgte später für die Ausweitung des Kanal- wie des Online-Angebots. Generaldirektor bei dem öffentlichen Senderverbund wollte er schon 1999 werden, was er schließlich 2012 schaffte. Seit 2010 sitzt er zudem als parteiloser Crossbencher im House of Lords. Durch seinen Rücktritt soll angeblich die Position der BBC gegenüber der Regierung gestärkt werden. Dabei scheint der Vorgang durch den Vorsitzenden des BBC Board, David Clementi, leicht forciert worden zu sein.
In den kommenden Jahren stehen dem öffentlich-rechtlichen Senderverbund zwei Prüfungen bevor: Zuerst wird der Vertrag zwischen BBC und dem Königreich 2022 im Rahmen des »mid-term review« überprüft. 2027 müsste die Abmachung dann ganz neu ausgehandelt werden. Für Boris Johnson bieten sich damit zwei Chancen (wenn er so lange im Amt bleibt): Er kann den Vertrag zunächst stutzen und dann auflösen. Die BBC, die laut Hall noch immer den »Goldstandard für Unparteilichkeit und Wahrheit« in einer Welt der gefälschten Nachrichten repräsentieren will, könnte ihr Geschäftsmodell unter Marktbedingungen fortführen. Schon jetzt erwirtschaftet die Rundfunkanstalt immerhin ein Viertel ihres Gewinns durch den Weiterverkauf von Programmen. Die restlichen 75% müssen die Gebührenzahler beisteuern.
Johnson spricht die Briten direkt an
Vielleicht wird ein weniger sentimentaler Zugang zur BBC dem Nachfolger helfen, die notwendigen Schritte hin zu einer Privatisierung zu gehen. Ohne einen weitgehenden Rückschnitt wird es jedenfalls kaum ausgehen. Die Rundfunkgebühren im Inselreich liegen derzeit bei 154,50 Pfund, was umgerechnet etwa 180 Euro entspricht. Sie liegen damit noch etwas günstiger als die Gebühren in Deutschland (mit 210 Euro im Jahr), Österreich (durchschnittlich um die 280 Euro im Jahr) oder der Schweiz (satte 365 Franken, was derzeit ungefähr 340 Euro entspricht).
Laut der NZZ ist Boris Johnson »der erste Premierminister, der sich weitgehend über die traditionellen Medien hinwegsetzen kann«. Darin gleicht er anderen »Populisten«, die die klassischen Kanäle meiden können, weil ihre Stimme selbst beim Volk resoniert. Auch Johnson ist – ähnlich wie Donald Trump, doch mit etwas anderem Stil – ein reger Twitterer in eigener Sache. Nicht zuletzt beruhte sein überwältigender Wahlerfolg im vergangenen Dezember auf der Begabung, die Briten direkt anzusprechen, ihre Anliegen aufzunehmen und in eine funktionierende Politik umzusetzen.
Warum an dem Stein festhalten, der einen hinabzieht?
Als erste mögliche Maßnahme, die am Status der BBC nagt, hat Johnson angekündigt, die Nichtbezahlung der Rundfunkgebühren zu entkriminalisieren. Außerdem hielt der Premier seine Minister an, vorerst nicht bei dem einflussreichen Morgenmagazin »Today« in Radio 4 aufzutreten. Die Sendung, die werktäglich und samstags ein jeweils mehrstündiges Programm präsentiert, gilt – vergleichbar mit den Morgenmagazinen im deutschen Radio und Fernsehen – als tonangebende Sendung, die die politische Stimmung des jeweiligen Tages sozusagen »feintunen« kann. Dominic Cummings hat insistiert, dass er die »Today«-Sendung weder während der Referendumskampagne gehört habe, noch in seiner Funktion als Chefberater Johnsons hören wolle.
Die British Broadcasting Company, die einst als privater Radiosender gegründet worden war, geht – ebenso wie die öffentlich finanzierten Rundfunksysteme anderer Länder – stürmischen Zeiten entgegen, die nicht etwa nur von »populistischen« Politikern und ihren aufgebrachten Wählern herrühren, sondern auch von anderen ›Gefahren‹ wie Netflix, Amazon und Apple TV. So hat der wortgewandte Hinterbänkler Andrew Bridgen die Rundfunkchefs davor gewarnt, die Zeichen der Zeit in Sachen Online-Streaming zu verpassen. Man solle sich nicht an der Rundfunkgebühr »wie an einem Rettungsring« festhalten, wenn sie tatsächlich der Stein ist, der einen hinabzieht und diejenigen Chancen verstellt, die der globale Medienmarkt bereithält.
Ein anderer konservativer Abgeordneter, Julian Knight, rief die BBC auf, sich ihren einzigartigen Charakter auch im Übergang zu einem »neuen Modell« zu bewahren, das laut dem MP offenbar ein privatwirtschaftliches sein soll und die Rundfunkanstalt zugleich in stärkerem Maße für Talente von außerhalb zugänglich machen würde. Dass man auf diese Motivierungsversuche auch innerhalb der BBC-Mauern positiv reagiert, ist kaum zu erwarten. Aber wer weiß … Fürs erste rüstet man sich durch den neuen Direktor für den Abwehrkampf gegen die Johnsonianer. Auch der angebliche Favorit im Rennen um den Posten weist in diese Richtung. Es ist ein Ex-Labour-Politiker, der schon seit 2016 für das Radioprogramm des Senders zuständig ist, während auch die anderen Kandidaten Fleisch vom Fleische der BBC sein dürften.