Tichys Einblick
Arme und Reiche

Jedes Jahr fallen die Medien auf die Oxfam Fake News herein

Oxfam liefert alljährlich pünktlich zu Davos „Studien“, die belegen sollen, dass die Schere zwischen Arm und Reich auseinander geht. Doch methodisch sind sie eine Katastrophe. Und doch fallen die Medien jedes Jahr darauf herein. Oder wollen sie darauf „reinfallen“?

ANDY BUCHANAN/AFP via Getty Images

Alle Medien berichten über die aktuelle „Oxfam-Studie“. In den ARD-Tagesthemen heißt es: „Extremem Reichtum steht große Armut gegenüber – darauf macht Oxfam nicht zum ersten Mal aufmerksam. Doch laut der Studie der Entwicklungshilfeorganisation gab es im vergangenen Jahr eine weitere Konzentration der Vermögen an der Spitze. Einem Prozent der Menschheit gehören demnach 45 Prozent des globalen Vermögens. Die ärmere Hälfte der Weltbevölkerung besitzt gemeinsam nicht einmal ein Prozent des globalen Vermögens.“

Jedes Jahr die gleiche Botschaft: Die „Schere zwischen Arm und Reich“ geht immer, immer, immer weiter auseinander. Oxfam liefert Jahr für Jahr „Studien“, die das belegen sollen, die jedoch methodisch eine Katastrophe sind. Und doch fallen die Medien jedes Jahr darauf herein. Hier ein Auszug aus meinem Buch „Die Gesellschaft und ihre Reichen“, in dem ich die Berichterstattung der Medien über die Oxfam-Berichte analysiere:

Die Oxfam-Berichte

Meist parallel zum Treffen der Weltwirtschaftselite im Schweizer Davos im Januar veröffentlicht die Organisation Oxfam einen Bericht, der jedes Mal große Beachtung in allen Medien findet. Die Qualität des Berichtes steht indes in umgekehrtem Verhältnis zu der Aufmerksamkeit, den die Organisation damit erzielt. Die Berichterstattung ist geteilt. Sie reicht von unkritischer Wiedergabe der zentralen Argumente des Berichtes bis zu scharfer Kritik an den verwendeten Methoden. Doch selbst bei differenziert argumentierenden Artikeln wird in der Überschrift meist die zentrale These des Oxfam-Berichtes übernommen. Die FAZ machte im Januar 2017 den Wirtschaftsteil sogar mit der großen Überschrift auf: „Acht Männer reicher als die halbe Welt“, dazu stellte sie ein großes Foto von Bill Gates und Warren Buffett sowie eine Grafik mit den geschätzten Vermögenswerten der aufgelisteten acht reichsten Männer der Welt.

Der Artikel beginnt mit der Wiedergabe der zentralen Thesen des Oxfam-Berichtes, wonach die soziale Ungleichheit auf der Welt deutlich größer sei als bisher bekannt: „Die acht reichsten Männer der Welt besaßen im vergangenen Jahr zusammengenommen 426 Milliarden Dollar und damit mehr Vermögen als die ärmere Hälfte der Weltbevölkerung. Diese Hälfte besteht derzeit aus 3,6 Milliarden Menschen mit insgesamt 409 Milliarden Dollar Vermögen.“ In dem Artikel wird darauf hingewiesen, dass die Organisation Oxfam im vergangenen Jahr große Aufmerksamkeit mit einem Bericht erwirkte, in dem es hieß, das Vermögen der 62 reichsten Personen der Welt entspreche dem der ärmeren Hälfte der Weltbevölkerung.

Oxfam, so die FAZ weiter, habe aber für den Bericht des Jahres 2017 die Berechnungsmethode geändert. Hätte man im Jahr davor die gleiche Methode angewandt, dies räume Oxfam ein, dann hätten nicht 62, sondern neun Menschen mehr Vermögen besessen als die ärmere Hälfte der Welt. Der Beitrag kritisiert zudem, die Berechnung sei an sich fragwürdig, weil bei der „ärmeren Hälfte der Welt“ erstaunlich viele Menschen in der entwickelten Welt – etwa in den USA – mitgerechnet wurden, die Kredite für den Hauskauf oder die Finanzierung des Studiums aufgenommen hätten. Es sei „im besten Fall irreführend, wenn ein durchschnittlicher Universitätsabsolvent am Ende seines Studiums Schulden von rund 50.000 Pfund angehäuft hat und damit zu den ärmsten Menschen der Welt zählt, wenn man an sein Einkommenspotential in der Zukunft denkt“, zitiert die FAZ das Londoner Institute of Economic Affairs, das sich regelmäßig kritisch zu den Oxfam-Berichten äußert. Der Artikel selbst ist also durchaus differenziert, ebenso wie ein daneben stehender Kommentar. Und dennoch ist zu fragen, warum ein hochseriöses Blatt einem unseriösen Bericht den Platz für den Hauptaufmacher im Wirtschaftsteil einräumt und mit der Überschrift und der Grafik zunächst einmal dessen zentrale These übernimmt – auch wenn sie im Artikel selbst dann kritisiert wird.

„Unser Bericht will keine Wissenschaft sein und gibt das auch nicht vor.“

Dass es auch anders geht, zeigt die „Süddeutsche Zeitung“, die am gleichen Tag ebenfalls groß über die Oxfam-Studie berichtete, jedoch mit der treffenden Überschrift: „Nein, acht Menschen besitzen nicht so viel wie die Hälfte der Welt.“ Hier heißt es: „Im vergangenen Jahr hatte Oxfam noch verkündet, das Vermögen der 62 reichsten Personen entspreche dem der ärmeren Hälfte. Und jetzt nur noch acht Leute! Ist das nicht der Beweis, dass die Welt vor die Hunde geht? Nein. Denn die Zahl ‚acht’ ist ziemlich sicher falsch.“ In der Studie würden Äpfel mit Birnen verglichen. Ein deutscher Rentner, der gerade einen kleinen Kredit für den Kauf eines Autos aufgenommen habe, sei laut der Oxfam-Berechnung ärmer als ein Bauer in Burundi. Die Zeitung schreibt, Oxfam habe die Veröffentlichung mit dem Argument verteidigt: „Unser Bericht will keine Wissenschaft sein und gibt das auch nicht vor.“

Trotz der gravierenden Mängel der Studie werden deren Ergebnisse Jahr für Jahr in den Medien prominent kommuniziert, wobei viele Artikel unkritisch einfach die zentralen Thesen wiedergeben. Dies trifft besonders für Regionalmedien zu. Anlässlich der Veröffentlichung im Jahr 2016 übernahmen viele Medien eine Meldung von dpa, Deutschlands größter Nachrichtenagentur. „Kluft wird immer größer“ titelten die „Nürnberger Nachrichten“. Der Artikel beginnt: „Die Kluft zwischen Arm und Reich wächst überall auf der Welt.“ Weiter heißt es, die Schere gehe immer weiter auseinander – als Beleg dafür wird angeführt, dass im Bericht des Vorjahres noch 80 Menschen so viel besessen hätten wie die ärmere Hälfte der Menschheit und es jetzt nur noch 62 seien. „Wir leben in einer Welt, deren Regeln für die Superreichen gemacht werden“, zitiert das Blatt einen Oxfam-Sprecher. Auch die „Sächsische Zeitung“ titelte: „Den Reichen gehört die halbe Welt“, und die „Rheinische Post“ brachte die dpa-Meldung sogar auf der Titelseite mit der Überschrift: „Studie: 62 Reiche besitzen so viel wie die halbe Welt.“

Auch als sich herumgesprochen hatte, dass die Studie nicht auf seriösen Zahlen und Methoden basiert, führte dies nicht dazu, was eigentlich im journalistischen Alltag das Normale sein sollte, dass nämlich eine solche Studie (so wie die allermeisten, die eine Redaktion erreichen) in den Papierkorb wandert. „Die Zeit“ berichtete im Januar 2018 groß unter der Überschrift „Soziale Ungleichheit: Wer reich ist, macht Politik“. Zunächst werden die Zahlen der Studie dargestellt, wobei Vergleiche wie dieser für eine Dramatisierung sorgen: „Eine Näherin in Bangladesch verdiene in ihrem ganzen Leben so viel wie ein Vorstandsvorsitzender eines großen Modekonzerns in nur vier Tagen.“

In dem „Zeit“-Artikel wird zwar auch die Kritik an Datenquelle und Methode dargestellt, aber dann heißt es versöhnlich: „Mit den unvermeidbaren Unzulänglichkeiten ihrer Berechnungen geht die Organisation offen um.“ Und eine Sprecherin der Organisation wird mit der Aussage zitiert: „Es ist am Ende gar nicht entscheidend, ob nun acht, 42 oder 62 Menschen so viel besitzen wie 3,7 Milliarden […] Wichtig ist das grundsätzliche Missverhältnis.“ Nur: Von einer Studie erwartet man nicht nur eine allgemeine Empörung, dass es ein „grundsätzliches Missverhältnis“ zwischen Arm und Reich gebe, sondern darüberhinausgehende – neue – Informationen und Zahlen, die jedoch nicht geliefert werden oder falsch sind. Der „Zeit“-Artikel, der mit dem Satz beginnt „Weltweit wächst die Ungleichheit, warnt Oxfam“, endet mit dem Zitat einer Sprecherin der Organisation: „Die Konzentration an der Spitze steigt.“

Im „Stern“ hieß es nach Bekanntwerden der methodischen Fehler lapidar, zwar sei die Oxfam-Untersuchung „keine wissenschaftliche Studie, die moderne Berechnungsmethoden nutzt“, doch darauf komme es gar nicht an. Die Situation sei dramatisch, „denn egal ob es nun acht oder 62 Superreiche sind, die Tendenz stimmt. Die Gegensätze zwischen Arm und Reich nehmen zu und gefährden den sozialen Frieden.“ Auch dieser Artikel endet mit dem Zitat eines Vertreters von Oxfam: „Für Bildung und Gesundheit fehlt vielen Staaten das Geld, weil Reiche und internationale Konzerne sich um ihre Steuerbeiträge drücken.“

Ein Gedankenexperiment legt nahe, dass die Beachtung, die die unseriöse Studie in seriösen Medien findet, wohl damit zusammenhängt, dass vielen Medien die zentrale These und die Stoßrichtung gegen „die Superreichen“ passen: Man stelle sich vor, eine Organisation mit eher rechtem Hintergrund veröffentlichte eine Studie über Einwanderung, die sich offenbar fragwürdiger Methoden bediente und mit falschen Zahlen operierte: Eine solche „Studie“ würde zu Recht nicht einmal erwähnt, und wenn, dann nur als Beleg für rechte Demagogie. Googelt man die Stichworte „Acht Reiche besitzen so viel wie…“, dann zeigt sich nicht nur eine sehr hohe Zahl von Treffern, sondern auch, dass die Zahlen der „Studie“ meist unkritisch übernommen werden.

Übrigens: Selbst wenn die „Schere zwischen Arm und Reich“ auseinandergehen sollte – ist das wirklich das Problem? Dazu schreibe ich hier.

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