Tichys Einblick
BVG oh weh

Berliner Humor muss sein, dass man trotzdem lacht

Demnächst werden sich Ursula von der Leyen strahlend beim Segeltörn auf der frisch renovierten Gorch Fock, Angela Merkel mit weiteren Selfies aus Erstaufnahmeeinrichtungen und Klaus Wowereit mit Schnappschüssen am BER-Checkin für Billigflüge in die Karibik zurückmelden.

Die neue Werbekampagne (Jung von Matt) der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) glaubt, aus einer Ansammlung von Unsitten, Fehlleistungen und systematischem Versagen eine Tugend machen zu können und schießt sich dabei lustvoll und sündhaft teuer (auf Kosten der Kunden) ins Knie.

Viele werden bei Betrachtung der auf youtube geschalteten Werbefilme gedacht haben: Jetzt sind sie bei der BVG (größen-)wahnsinnig geworden. Und bei nochmaligem Hinsehen einsehen, dass die sich das von dem hohen Ross aus ja leider auch erlauben können. Das haben die Verkehrsbetriebe vorausgesehen und einer Kund(in) gleich das Wort aus dem Munde genommen: „Seid ihr eigentlich komplett bescheuert?“ Antwort: „Ja, vielleicht.“

Ein Kabarettist kommentierte das irreführend als „Flüchtlingskrise“ bezeichnete kollektive Staatsversagen 2015 mit dem Hinweis: „Wenn ich auf der Bühne einen Fehler mache, dann mache ich sofort noch einen, dann denken die Zuschauer, es gehöre zum Konzept.“ Die Berliner Verkehrsgesellschaft hat sich hiervon offenbar inspirieren lassen.

Unter der Frechheit, mit der die Firma glaubt, sich dabei über ihre Kundschaft lustig machen zu können, wollen sich die Balken der U-Bahnhöfe biegen. Der Personenkreis, den man zwar unter dem Begriff „Nutzer“ nicht aber der „Kundschaft“ subsummieren würde, wird sich beim Genuss der Videos jedenfalls auf die Schenkel klopfen – denn sie sind über Empfindlichkeiten schon längst hinweg. Finden das Leben im urbanen Verfall sexy. Wer auf den verschlungenen Dschungelpfaden Berlins umherirrt, ist bereits auf Du und Du mit den drei Plagegeistern Schmutz, Verwahrlosung und Unzuverlässigkeit. Lieschen Müller wird noch eine Weile brauchen, bis sie auf Tuchfühlung geht. Bis dahin ist sie gut beraten, sich mit dem Stehplatz zu begnügen, wenn lautes Schnarchen oder das Aroma von Körpern, die schon lange kein Badezimmer mehr gesehen haben, sie vor dem Betreten eines zum Schlafwagen umfunktionierten Abteils warnen.

Ist der Ruf erst ruiniert, lebt sich’s gänzlich ungeniert

Schon die schamlose Koketterie mit den fragwürdigen Hinzugewinnen der Hauptstadt im Bereich beliebiger und schrankenloser Multikulturalität wird vielen Hauptstädtern das Lächeln gefrieren lassen. Zitat: „Berlin erfindet sich jeden Tag neu. Ein Trend folgt dem nächsten. Und nichts bleibt lange, wie es war.“ Der BVG ist es egal (Video von Kazim Aboga).

Wer kann ernsthaft behaupten, dass an dieser so tapfer musikalisch vorgetragenen Maxime irgendein Positivum festzumachen wäre? Aber eine feste und unerschütterliche Konstante sei ausgerechnet sie, die seit Jahrzehnten „Halt“ gebe (Haha): die BVG! Und damit das auch so bleiben möge, bewerbe man sich nun allen Ernstes bei der UNESCO um die Anerkennung als „Weltkulturerbe“. Natürlich ein PR-Gag, eine Finte, den der beflissene online-Unterstützer spätestens beim zweiten Klick durchschauen wird: Es gibt nur die Auswahl zwischen „Ja“ und „Ja!“.

Man gehört dazu, ob man will oder nicht
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Die Verkehrsbetriebe finden sich in bester Gesellschaft. Eine weitere ehedem maßgebliche Grösse der Berliner Szene, Dr. Motte, international bekannt durch die Organisation eines sehr lauten, sehr nackigen Strassenumzugs, möchte die UNESCO ebenfalls becircen.

Die Aufnahme in das bundesweite Verzeichnis der UNESCO ebnet, das ist Dr. Motte nicht entgangen, den Weg für staatliche Subventionen und gemeinnützige Förderungen. Der 59 Jahre alte DJ habe, so die FAZ, „die Gelegenheit genutzt, um die Verdrängung der elektronischen Tanzmusik durch strenge Behördenauflagen, Lärmschutzauflagen und steigende Mieten zu beklagen“.

Wo man glaubt, eine Rave-Party als „ein Meisterwerk der menschlichen Schöpferkraft“ bzw. „einzigartiges Zeugnis einer kulturellen Tradition“ (aus den UNESCO-Kriterien) verkaufen zu können, da wird man demnächst lernen, auch andere zweifelhafte Rekorde als volle Erfolge zu verkaufen. Warum machen die Verkehrsbetriebe ihren U-Bahnhof Kottbusser Tor (als Brennpunkt berühmt unter dem Namen Kotti) nicht zum „Bahnhof des Jahres“? Oder man lässt Wahlen durchführen, wo der schönste Dealer, das tiefste Schlagloch und der höchste Müllberg zu finden sind? Die BVG macht vor, wie es geht. Z.B. sucht sie mit dem Plakat-Spruch „Berliner Großfamilie sucht Verstärkung für die Straße“ nach neuen Mitarbeitern. Ehrlich, wer könnte da widerstehen?

Das Niveau soweit senken, das einfach alles und jeder volle Punktzahl erreicht

Ein Witz, wie er Berlinischer nicht sein kann: Denjenigen, denen halbwegs saubere, pünktliche und von friedlichen Zeitgenossen genutzte öffentliche Verkehrsmittel noch etwas bedeuten, wird in Hochglanz signalisiert, dass man sich einen feuchten Kehricht um ihre Befindlichkeiten schert und im Übrigen auch gar nicht scheren muss, denn man ist ja die einzige Alternative. In der schelmischen Gewissheit, dass man bei einem guten Teil derer, die man von oben herab behandelt, noch Punkte für die Chuzpe einfährt, mit der man sich selbst grundlos zu überhöhen versteht. Das ist Pionierarbeit, die andere dankbar aufgreifen werden: Demnächst werden sich Ursula von der Leyen strahlend beim Segeltörn auf der frisch renovierten Gorch Fock, Angela Merkel mit weiteren Selfies aus Erstaufnahmeeinrichtungen und Klaus Wowereit mit Schnappschüssen am BER-Checkin für Billigflüge in die Karibik zurückmelden.

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