Gut, der Focus macht es dramatisch, wenn er aus eine Recherche der Süddeutschen zitiert und titelt: „Erdogan-Regierung will türkische Schulen in Deutschland gründen.“ Die Geschichte dahinter ist allerdings alles andere als das, wenn es hier wohl lediglich um eine Art Quid-pro-Quo-Geschichte geht, wenn die türkische Regierung sich sagt: Was Deutschland in der Türkei macht, soll für uns in Deutschland nur recht und billig sein.
Tatsächlich geht es in Verhandlungen zwischen den Regierungen und den zuständigen deutschen Bundesländern um drei Schulen, wohl in Berlin, Köln und Frankfurt, quasi als Ausgleich für ihre deutschen Pendants in Ankara, Istanbul und Izmir. Verhandelt werden muss, weil die Türkei in Deutschland kein Schulträger sein darf. Die deutschen Pendants wählen die „Botschaftschule“ als Schulform (Information Internetseite der Deutschen Schule im türkischen Izmir).
Pikant wird es, wenn diese Verhandlungen erst deshalb in Gang kamen, weil die Türkei laut Angaben der Süddeutschen vorübergehend die Deutsche Schule in Izmir geschlossen hatte mit der Begründung des türkischen Erziehungsministeriums, die rechtliche Grundlage sei nicht gegeben. Man kann es Erpressung nennen oder einen direkten Hinweis auf Gleichbehandlung, jedenfalls hat sich die Bundesregierung relativ schnell zu Verhandlungen über eine gleiche Anzahl türkischer Schulen bereit erklärt und in Izmir sollen sich daraufhin die Schultore wieder geöffnet haben.
Das Auswärtige Amt teilte der Süddeutschen mit, das Abkommen ziele darauf ab, „die Rechtsgrundlage für die deutschen Auslandsschulen in Ankara, Istanbul und Izmir abzusichern.“ Der Einsatz eines Druckmittels wird also – ob nun zu Recht oder nicht – sogar offiziell bestätigt. Es liegt Deutschland demnach viel daran, diese Schulen weiter zu unterhalten, unabhängig von der politischen Situation in der Türkei – oder gerade deshalb?
Die entscheidende Frage ist allerdings, inwieweit sich Deutschland mit dieser Schule ein trojanisches Pferd ins Haus holt. Zunächst einmal muss theoretisch auch an diesen Schulen unterrichtet werden, was als Lerninhalt im jeweiligen Bundesland vorgegeben wird. Alleine die Lehrmethoden und das eingestellte Personal sind Sache der Schule. Hinzu kommt, dass diese Schulen auf staatliche finanzielle Unterstützung hoffen können, wenn ihr Einsatz die deutsche Schulpflicht erfüllt.
Die Kritik ist klar: Solche Modelle klingen nicht sehr integrationsfähig, wenn dort vornehmlich türkischstämmige bzw. türkische Kinder unterrichtet werden. Andererseits garantieren solche Schulen die Anbindung von Kindern von Türken, die hier nur vorübergehend tätig sind, an ihre türkische Kultur. Im Falle einer Rückkehr der Eltern in die Türkei wird es diesen Kindern deutlich leichter fallen, sich in ihre Herkunftsheimat zu reintegrieren, als solchen, die in deutschen Schulen auf deutsch unterrichtet wurden.
Hier stellt sich sogar die Frage, warum dieses Modell nicht schon bei den ersten Gastabeiterkindern angedacht und eingeführt wurde, wenn es doch selbstverständlich war, dass die religiösen Angelegenheiten in Deutschland von Anfang an unter der Oberaufsicht der türkischen Regierung lag, namentlich organisiert von Vereinen wie DITIB.
Jetzt war die deutsche Schulausbildung immer vorbildlich auf der Welt. Anzunehmen ist also, dass es türkischen Eltern ab Anfang der 1960er Jahre sogar sehr recht war – unabhängig vom Integrationsgedanken – dass ihre Kinder in den Genuss deutscher Schulausbildungen kamen. Viele der ungelernten Arbeitskräfte aus Anatolien werden sich an ihre eigene Schulzeit erinnert haben, so sie überhaupt eine besuchen konnten und sahen durchaus den Vorteil, den deutsche Schulen ihren Sprösslingen bieten konnte.
Hinzu kommt, was man nicht vergessen darf: Längst werden türkische oder türkischstämmige Kinder in Deutschland zu hunderttausenden in unter Oberaufsicht der Türkei stehenden so genannten Koranschulen religiös unterrichtet auf deutschem Boden. Die Welt schrieb im Oktober 2019 über Modellversuche eines Islamunterrichts unter deutscher Kontrolle: „Die Bilanz: Es herrscht Ernüchterung über die anhaltende Ditib-Nähe und Zweifel am Integrationswillen der Schüler.“ Weiter heißt es da: „Alle Modellversuche, die zwischen 2018 und 2020 auslaufen, dürfen aus rechtlichen Gründen nicht verlängert werden. Auch in Hessen steht der IRU (Red.: Islamischer Religionsunterricht) wegen der Abhängigkeit der Ditib von Ankara auf der Kippe.“
Und nun will die Bundesregierung die ersten drei Schulen unter türkischer Kontrolle genehmigen, um die drei deutschen Schulen in der Türkei nicht zu gefährden? Was ist so wichtig an diesen Schulen, dass die Bundesregierung es zulässt, dass diese Schulen zum Faustpfand der Regierung Erdogan werden?
Schauen wir uns einmal beispielhaft die deutsche Schule in Izmir an. Aktuell wird auf der Internetseite der Schule nach Lehrkräften für die Sekundarstufe 1, die Sekundarstufe 2 und die Grundschule gesucht. Die Schule plant also langfristig. Unter dem Schulabzeichen eines stilisierten Olivenbaumes findet sich das Leitbild der Schule. Interessant ist schon das Zustandekommen dieses Leitbildes, wenn es da in wundervollem Stuhlkreisdeutsch heißt: „Mit Hilfe einer Redaktionsgruppe mündete in drei Input-Phasen da Feedback aus allen schulischen Gremien (Kollegium, Eltern- und Schülerschaft Schulträger) schließlich in einem Vorschlagtext, der so von allen Gremien einstimmig angenommen wurde.“ Besser kann man wohl kaum abbilden, was den Unterschied macht.
Im Leitbild selbst wird die Erziehung zur Selbstständigkeit betont, zu respektvollen und verantwortungsbewussten Persönlichkeiten. Gerhard Schröders „fördern fordern“ hat hier Einzug gehalten und die Schule hat es sich zum Ziel gesetzt, ihre Schüler vielfältig „auf das Leben in einer globalisierten Welt“ vorzubereiten. Die Schule versteht sich selbst als „lernende Schule, die eine Evaluations- und Feedbackkultur pflegt.“
Die Schule zeigt auf der Internetseite Fotos ihrer Einrichtung, die auch als luxuriöse Clubanlage durchgehen könnte samt Palmen am gepflegtem englischem Rasen und großartigem Swimmingpool. „Ihrer rechtlichen Natur nach“, heißt es dort weiter, „ist die Deutsche Schule Izmir eine deutsche Botschaftsschule, die durch die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch den Bundesminister des Auswärtigen (…) offiziell anerkannt ist.“ Zuständig ist hier also Heiko Maas. TE telefoniert direkt mit der Schule in Izmir, der Direktor befindet sich allerdings zur Fortbildung im Ausland, seine Vertreterin gäbe gerade Unterricht und unsere Gesprächspartnerin sei „nicht befugt.“
Wenn sich Deutschland nun also Sorgen macht, dass die Türkei hierzulande türkische Schulen eröffnet, dann ist die Antwort darauf ganz einfach: Wenn Deutschland das nicht will, muss es eben riskieren, dass die deutschen Schulen in Izmir und anderswo in der Türkei geschlossen werden. Die Bundesregierung muss jetzt klar abwägen, ob so eine türkische Schule in Deutschland Risiken birgt. Wird das bejaht, dann darf man vor allem eines nicht: wieder in dieser neuerlichen Angelegenheit erpressen lassen. Dann muss man eben riskieren, dass Deutsche Schulen geschlossen werden.