Tichys Einblick
Wer hat was Besseres?

Das Christentum ist bedroht – warum das auch für Atheisten relevant ist

Gottesdienst in Basel angegriffen – von Linken, die Islam verteidigen. »Männer aus dem arabischen Raum« greifen in Aue das Pfarramt an – 51-jähriger niedergestochen. Stellen wir uns vor, es wären Moscheen angegriffen worden! Ist uns das Christentum egal?

Wenn Menschen das Christentum attackieren, dann ist das auch dann ein maximal wichtiges Thema, wenn man selbst nicht daran glaubt, dass Jungfrauen schwanger werden können. Man muss nicht daran glauben, dass man nach dem Tod in einer anderen Dimension wieder zum Leben erwacht, um zu ahnen, was verloren ginge, wenn das Christentum sterben sollte.

Wer eine Religion angreifen und ihre Gläubigen verletzen will, der greift sie an ihrem höchsten Feiertag an. Das höchste Fest des Christentums ist Ostern, doch das wissen manchmal selbst Christen nicht, geschweige denn die Gegner des Christentums, sondern halten Weihnachten dafür – und unwichtig ist ja auch die Geburt Christi sicher nicht. Christen und christliche Gotteshäuser sind weltweit unter Attacke – wenn es sie in den jeweiligen Ländern überhaupt (offiziell) gibt. Bislang waren Attacken auf Christen und Kirchen eher in fernen und besonders toleranten Ländern »normal« (für fern siehe etwa. bbc.com, 1.12.2019: »Burkina Faso: Attack on church kills at least 14«, für tolerant siehe etwa catholicherald.co.uk, 5.2.2019: »Eucharist desecrated, statues smashed in series of French church attacks«). – Allein an Heiligabend allerdings erlebt der deutschsprachige Raum mindestens zwei Angriffe im Kontext von Gottesdiensten.

Im schweizerischen Basel griffen Linksextreme einen Gottesdienst an, und zwar zur Verteidigung des Islam. Der deutsche Staatsfunk nennt die Angreifer beschönigend »Aktivisten«, doch er berichtet immerhin von der Strafanzeige gegen die Angreifer, wonach sie »Gottesdienstbesucher, darunter viele Kinder, in Angst und Schrecken versetzt« haben (deutschlandfunk.de, 25.12.2019). Die linken Angreifer gaben als Motivation an, dass die Pfarrerin bei einem politischen Blog mitgewirkt habe, den sie ablehnen. Der Versuch, politische Ziele durch das Verbreiten von Angst zu erreichen, nennt man Terror (manche sagen: außer man sympathisiert ein wenig mit den Tätern …). Die Angelegenheit wird vergessen werden, denn die Angreifer sind Linke und geben sich als Verteidiger des Islam. Nehmen wir für eine Sekunde an, eine Gruppe von Islamkritikern hätte die Gebete in einer Moschee gestört und die Betenden »in Angst und Schrecken versetzt«. Der Aufschrei würde Monate dauern, der »Kampf gegen Rechts« würde europaweit verdreifacht, so aber …

Aus Aue in Sachsen berichtet der Staatsfunk (wenn auch wohl nur »regional«, nämlich mdr.de, 25.12.2019) von einer »Messerstecherei am Heiligen Abend im Pfarrhaus in Aue«. »Messerstecherei« klingt, als ob zwei Gruppen aufeinander losgegangen wären, doch diese implizite Unwahrheit ist eine der »stillen Lügen«, die wir heute schon ganz automatisch zu dechiffrieren gelernt haben. Bei einer Weihnachtsfeier wurden Geschenke verteilt, worauf sich ein Streit entfachte. Ein eingeladener Syrer war, soweit ich das verstehe, mit der Menge der Geschenke unzufrieden, welche die Kuffar ihm angedeihen ließen, und als sie ihn ob seiner Unhöflichkeit der Räume verwiesen, »tauchten mehrere Männer aus dem arabischen Raum im Pfarramt auf«. Ergebnis: Ein 51-Jähriger Mitarbeiter der Kirchgemeinde wurde niedergestochen und in der Nacht notoperiert. Man stelle sich vor, acht Deutsche wären mit »spitzen Gegenständen« bewaffnet in einer Moschee vorbeigekommen, etwa weil sie mit den Geschenken unzufrieden waren, die ihnen dort gegeben wurden – der Staatsfunk würde sechs Monate über nichts anderes berichten und aus Solidarität würde das Kanzleramt seinen Hauptsitz dorthin verlegen. So aber …

Dies sind »nur« zwei Angriffe auf Christen im deutschsprachigen Raum. Für »die Guten« mag der schwerverletzte Kirchenmitarbeiter »nur« ein weiterer Span sein, der halt fällt, wo am finalen Szenario des Globalismus gehobelt wird – doch genau das ist das Problem. Sind zwei Angriffe zu Heiligabend eine Verfolgung? Noch nicht, nein. (Die Verfolgung anderswo ist längst greifbar und damit eine weltweit relevante Bedrohung, und anders als deutsche Politiker begreift ein Boris Johnson das, siehe etwa tichyseinblick.de, 25.12.2019.) Wir wünschen dem verletzten Mitarbeiter schnelle und vollständige Genesung, und zugleich sehe ich ein Problem, das diesen »Vorfall« größer als »nur« eine weitere »Messerstecherei« macht.

In jenen Zeitungen, welche die öffentliche Debatte bestimmen und die gesellschaftlichen Themen setzen (wollen), entdecken wir seit einigen Jahren nun einen fremdelnden Blick auf Weihnachten. In seinem Text »Politik unterm Tannenbaum – einhaken, nachfragen, verhaken« (tichyseinblick.de, 25.12.2019) dokumentiert Matthias Nikolaidis einen merkwürdigen Blick linker Meinungsmacher auf Weihnachten. Nicht einmal das Weihnachtsfest ist diesen Leuten ein Anlass, von ihrem dauerpolitisierten Blick auf die Welt abzulassen – im Gegenteil. Diese Leute sehen Weihnachten nicht als Anlass, zumindest in ihrem Familienkreis etwas Frieden zu finden. Diese Leute sehen in Weihnachten nicht die Gelegenheit, die christlichen Wurzeln westlicher Kultur neu zu entdecken, geschweige denn die Bibel zur Hand zu nehmen. Weihnachten ist für diese Leute und ihre Leser ein Kampf um die Deutungshoheit unterm Weihnachtsbaum. Wie macht man den belesenen Großvater, der die Islamisierung fürchtet, vor der Familie als »Rassisten« lächerlich? Wie verhindert man, dass der wissenschaftlich gesinnte Onkel, der kritische Fragen zur Klimareligion hat, einfach so »schwadroniert«? Die Leute, die in den Redaktionen (und vermutlichen einigen NGO-Büros) herumschleichen, sehen in Weihnachten zuerst und zuletzt das, was sie in allem anderen sehen: Für linke Meinungsmacher ist Weihnachten einfach nur ein weiterer Anlass, Andersdenkende fertigzumachen und die einzig wahre Einheitsmeinung durchzusetzen. Einst feierte man »Weihnachten unterm Hakenkreuz« (tagesspiegel.de, 15.12.2014), in Zeiten der linken Nennt-es-nicht-Gleichschaltung wird Weihnachten zur weiteren Gelegenheit reduziert, die Familie unters linke Meinungsdiktat zu zwingen – gleiche Spezies, neue Labels, immer noch Gehirnwäsche, immer noch falsch. (Ein Leser schrieb mir heute: »Was mich besonders stört, sind die “Andachten” im DLF. Es ist keine christliche Botschaft, es ist reine kommunistische Propaganda, wie die, die ich in den 50-er und 60-er Jahren erlebt habe. Die bösen Erinnerungen kommen wieder hoch. Einfach widerlich.«)

Warum wehren sich die Christen nicht? Einige Gläubige sind zu müde, oder zu »lauwarm«, um dafür zu kämpfen. Einige Gläubige haben gar nicht wirklich bemerkt, wie die von der Politik profitierenden Wohlfahrtskonzerne mit angeschlossenen Dogmatik-Abteilungen sie von Jüngern Jesu zu den Haltungssoldaten von Regierung und Konzernen umgepolt haben. Einige Gläubige sind bereits etwas ängstlich und einige fühlen sich heimatlos. Viele bleiben den Kirchen fern, und sie beten nicht mehr in den Kathedralen, sondern zu Hause, in ihrem Zimmerlein, ja, in den »Innenhöfen«. Einige aber – und da schließe ich mich nicht aus – glauben nicht mehr wirklich an ein Leben nach dem Tode, sprechende Esel (4. Mose 22:28) oder dass es eine angemessene Strafe für freche Kinder ist, vom Bären gefressen zu werden (2. Könige 2:24), und also ist unser Glaube eher theoretisch und mit Zusätzen wie »im Prinzip« zu beschreiben, und doch ahnen wir, dass etwas sehr Wichtiges verloren ginge, wenn wir das Christentum aufgeben würden – wer aber wird nur aufgrund einer fernen Ahnung für eine Sache kämpfen?

Kein Sich-Abfinden!

Ich selbst bin mit dem Christentum aufgewachsen. Ich habe brav Bibelgeschichten gelernt, ich habe sogar einige Semester Theologie studiert, nach dem Latinum auch das Hebraicum und Graecum abgelegt und einst die Bibel im Original gelesen. Nein, ich glaube nicht mehr, dass meine »Seele« weiterlebt (oder »auferstehen« kann), wenn mein Körper fort ist (ja, ich weiß dass die Auffassung darüber auch innerhalb der Christenheit unterschiedlich ist) – ich halte das Bewusstsein für eine Funktion des Gehirns, wofür auch sonst? Ich glaube nicht einmal, dass es ein Strafgericht im Himmel braucht, um die Menschen zur Moral zu erziehen (sondern dass es dem Menschen angeboren ist, das zu bewahren, was ihm wichtig ist, siehe »Relevante Strukturen«).

Das Christentum steht für ein Werteset, für einen Satz von Strukturen, deren Relevanz sich bewährt hat. Das Christentum, besonders seit Reformation und Gegenreformation, ist für den einzelnen Menschen ein Quell von Selbstbewusstsein wie kaum eine andere Religion (außer, offensichtlich, dem Judentum). Asiatische Religionen beinhalten oft ein Sich-Abfinden mit dem Vorhandenen, man denke etwa an die Kasten des Hinduismus oder das Loslassen des Buddhismus. Der Islam enthält schon im Namen die Idee der Unterwerfung, sowohl die Selbstunterwerfung als auch die Unterwerfung anderer (es ist schon erstaunlich, wie ähnlich sich Linksgrüne und der politische Islam in manchen Aspekten sind). Im Christentum ist der Mensch »zum Abbild Gottes« geschaffen. Es hat seinen Grund, warum historisch wirtschaftlich erfolgreiche Regionen so oft calvinistisch oder zumindest allgemein protestantisch geprägt sind: Der Mensch steht vor seinem Schöpfer, selbstverantwortlich, aber auch grundsätzlich positiv aufgenommen, und er hat von diesem die Macht über sein Schicksal in die Hand bekommen – um wie viel motivierender und damit auch wirtschaftlich, humanistisch und intellektuell motivierender ist das doch als etwa sich damit abzufinden, in welche soziale Schicht man hineingeboren wurde!

In manchen anderen Religionen erfährt man den Willen Gottes nur durch Ausleger und eine kleine Elite, mindestens im Protestantismus wird der Einzelne zum Bibel-Deuter. Die Deutschen lernten buchstäblich durch die (gedruckte) Bibel lesen – und durchs Lesen trainierten wir das strukturierte Denken. Wir lernen nicht auswendig, sondern wir lernen, um selbst zu deuten, statt nur von Autoritäten auslegen zu lassen.

Man könnte mir entgegnen, dass doch manche Kultur heute erfolgreich ist, ohne dass die Bürger regelmäßig in der Bibel lesen – vielleicht ist das Christentum als Erfolgsfaktor doch nicht so wichtig? Nun, ich habe mehrere Antworten. Erstens: Ich sage nicht, dass das Christentum die einzige logisch mögliche Denkweise ist, die zur Menschlichkeit und zugleich zum Erfolg einer Gesellschaft führt. Zweitens: Mancher Erfolg nicht-christlicher Kulturen geht auf Erfindungen und Denkweisen zurück, die in christlichen Ländern entwickelt wurden – wo wurde denn die Technologie erfunden, mit der Christenhasser ihre Hassbotschaft verbreiten? Und drittens: Gesellschaften, die das Christentum verlassen und dennoch erfolgreich sind, erinnern mich an jenen Scherz vom Typen, der aus dem Fenster im zehnten Stock fällt, und beim zweiten Stock vorbeifallend sagt: »Bis hierhin ist doch alles gut gegangen!«

Ich glaube nicht, dass es eine Seele gibt, die über mein durchs Gehirn erzeugte Bewusstsein hinausgeht (und wenn doch, dann ist all unser Reden darüber dermaßen ungenau, dass es besser wäre, zu schweigen). Ich spüre das von Kant beschriebene »moralische Gesetz in mir«, und ich brauche kein »jüngstes Gericht«, das mich dazu zwingt, anständig zu sein – und doch wird mir heiß und kalt, wenn ich auch nur darüber nachzudenken beginne, was wir verlören, wenn das Christentum den Weg diverser anderer vergessener Religionen ginge. Was haben die, die das Christentum leichtfertig aufgeben, denn stattdessen anzubieten?!

Wir sind wenig überrascht

Ich habe auf meinem Reader immer eine Bibel dabei. Ich lese daraus und ich lese daraus meiner Familie vor. Nein, ich tue es nicht, weil ich ansonsten höllische Strafen fürchte. Ich lese aus der Bibel, weil ich meine, dass es mich »weniger unweise« macht. (Es schadet niemandem, von den »alten weisen Männern« zu lernen.)

Wir lernen, dass manchmal etwas Forschheit sich auszahlt (Richter 7:5), dass ein Herrscher klug sein und die Mentalität der Menschen bedenken sollte (1. Könige 3:27), und dass es für uns einfache Leute generell im Leben eine gute Idee ist, unsere Wichtigkeit nicht allzu hoch einzuschätzen (Lukas 14:10). Wir lernen, dass auch der kleinste Mensch wichtig ist (Matthäus 25:40b) und dass man mutig mit den Talenten wuchern soll, die man zugewiesen bekam (Matthäus 25,14–30). Wir lernen, dass es eine Ordnung der Dinge gibt, die vor uns war und nach uns sein wird und dass Glück auch mit Selbstbeherrschung zu tun hat (1. Mose 1:27). Wir lernen, dass auf Christen harte Zeiten zukommen (Lukas 21:17), und dass es deshalb eine gute Idee ist, sich mindestens mental auf Flucht einzustellen, die selten zu einem »günstigen« Zeitpunkt ansteht (Matthäus 24:20). Wir sind wenig überrascht, wenn Gutmenschen mit Tricks und Tücke uns ihren Willen aufzwingen wollen, diese Heuchler mit viel Macht und wenig Skrupeln (Matthäus 23:4, zitiert in »Die Schuld der Gutmenschen«). Wir werden gewarnt, wieder und wieder, vor denen, welche ihr Leben auf Lügen bauen (etwa in Offenbarung 22:15: »Draußen sind die Hunde und die Zauberer und die Hurer und die Mörder und die Götzendiener und alle, die die Lüge lieben und tun.«) Wir lernen (und wir hoffen, dass es stimmt), dass am Ende alles gut wird, und wenn es noch nicht gut ist, dann ist es noch nicht das Ende (Jesaja 11:6). Und wir hoffen, dass am Ende dann doch Gerechtigkeit herrschen wird, wie auch immer sie aussehen mag: »Siehe, ich komme bald und mein Lohn mit mir, einem jeden zu geben, wie sein Werk ist« (Offenbarung 22:12).

Wir haben noch nicht einmal begonnen, zu begreifen, was verloren ginge, wenn uns das Christentum geraubt würde, wenn wir es uns nehmen ließen, wenn wir es leichtfertig drangäben.

Kein zweites Christenraum

Ich will ein altes Bonmot abwandeln: Ihr geht mit dem Christentum um, als hättet ihr ein zweites im Kofferraum.

Was haben wir denn Besseres? An was wollen wir glauben? Wollt ihr an die Popen und Politiker glauben, die in dicken Limousinen umherfahren, und euch Lasten aufbürden, die sie selbst nicht tragen müssen? Wollt ihr dem Staatsfunk und den Journalisten glauben, die Haltung, also Linientreue tragen, wo bei anderen Menschen das Gewissen sitzt? An das Marketing von steuervermeidenden Konzernen, für die Moral nur ein Marketing-Gag ist, die sich heute Regenbogen und Klima und Menschenrechte auf die Fahnen malen, um euch die in Diktaturen zusammengeschraubten Geräte mit absurden Margen zu verkaufen?

Es hilft dem Ansehen des Christentums nicht, dass der jüngere der beiden lebenden Päpste (83 vs. 92) die rhetorisch gemeinte Formulierung, ob der Papst katholisch sei, zur durchaus sinnvollen Frage macht). Ja, das Christentum ist weit entfernt davon, vollkommen zu sein – es ist ja doch Menschenwerk – doch das Christentum ist, was Wertesysteme angeht, unser bislang erfolgreichstes – und mit »erfolgreich« meine ich so etwas wie die Inspiration der Menschenrechte oder die Verantwortung des Einzelnen für seine Taten, aber auch die Gewissheit, dass Mühe sich lohnt.

Das Christentum ist nicht fehlerfrei, wahrlich nicht, doch es ist eine der besten Erfindungen der letzten zweitausend Jahre. Von mir aus gebt das Christentum auf, ihr Linken, ihr Globalisten und Gutmenschen – aber bitte erst, wenn ihr euch ganz sicher seid, etwas Besseres im Kofferraum zu haben, und das, war ihr mir bislang gezeigt habt, war weit entfernt davon, besser zu sein.


Dieser Beitrag erschien zuerst auf dushanwegner.com

Dushan Wegner (geb. 1974 in Tschechien, Mag. Philosophie 2008 in Köln) pendelt als Publizist zwischen Berlin, Bayern und den Kanaren. In seinem Buch „Relevante Strukturen“ erklärt Wegner, wie er ethische Vorhersagen trifft und warum Glück immer Ordnung braucht.

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