Unser Report zeigt das komplette Kontrollversagen – oder ist es sogar mehr: Das bewusste Ausschalten von rechtlichen und politischen Kontrollmechanismen gegen Korruption und Vorteilsnahme an der dünnen Grenze zur großflächigen Bestechlichkeit? Es ist auch auch ein Lehrstück über einzelne Journalisten, die glänzende Arbeit leisten – wenn man sie lässt. Die Rede ist von Daniel Gräber und Volker Siefert, die den Skandal aufgerollt haben. In Teil 1 ging es darum, wie die Millionen-Misswirtschaft der Arbeiterwohlfahrt aufflog – allerdings weitgehend folgenlos. Teil 2 widmet sich der Verwicklung des Frankfurter Oberbürgermeisters Peter Feldmann, seiner Frau und der SPD in diese Vorgänge.
Oberbürgermeister Feldmann und seine Frau
Seit Frühsommer häuften sich die Berichte über finanzielle Unregelmäßigkeiten bei der Frankfurter Arbeiterwohlfahrt: Wellness-Kurse für Flüchtlinge, die abgerechnet aber nicht durchgeführt worden waren; Missbrauch bei der Abrechnung der AWO-Flüchtlingsheime. Die Heime wurden anderen Organisationen übergeben, aber Rückforderungen der Stadt blieben aus. Der Skandal blieb auf die Lokalzeitung „Frankfurter Neue Presse“ und einigen weitere Medien wie TE begrenzt. Der in Sachen AWO recherchierende Reporte Daniel Gräber schien neutralisiert – angeblich habe er eine Kampagne der AfD betrieben. Das reichte dem Mainstream, um die AWO und ihre Geschäfte in Ruhe zu lassen: Der Kampf gegen Rechts erfordert, dass man zusammenrückt, nicht dass man Missstände benennt. Aber dabei ging etwas schief: Volker Sievert, freier Reporter beim Hessischen Rundfunk, übernahm für Daniel Gräber die Recherche an Ort und Stelle, da Gräber mittlerweile in Karlsruhe arbeitete. Und plötzlich wurde die lokale Posse zum Skandal auf der großen Bühne.
Das in der FNP vom 17.4.16 veröffentlichte Foto zeigt hinter dem Brautpaar Feldmann den AWO Protect-Geschäftsführer Klaus Roth (Foto FNP, Özlem Yavuz)
Die Ehe lohnt. Zübeyde macht rasant Karriere als Leiterin einer Kita. „Wir wissen alle, dass es nicht sein kann, dass sie als Leiterin einer Kita in eine Gehaltsstufe vorrückte, die normalerweise erst nach 17 Jahren erreicht wird. Das geht nicht. Da gibt es kein Vertun. Das kann nicht sein“, betont Siefert. Muss man dazu schreiben, dass es eine AWO-Kita ist? Muss man hinzufügen, dass Ehe-Aufpasser Klaus Roth passenderweise Frankfurter Kita-Chef der AWO ist? Dass die Frau des Oberbürgermeisters darüber hinaus einen Dienstwagen nutzen durfte, habe nicht nur ihn überrascht, sagt Siefert. Noch überraschender, dass Zübeyde Feldmann den Dienstwagen erst bekommen habe, als sie in Elternzeit war. „Das ist das Verrückte an der Geschichte. Im Oktober die Stelle angefangen, dann Januar in Mutterschutz und ab in den Dienstwagen.“ Warum man ihr das Fahrzeug erst im Mutterschutz überlassen habe und dieses dann im November 2017 zurückforderte, darauf gebe Zübeyde Feldmann keine Antwort. Sie antworte nicht auf Presseanfragen. Aber auch der Oberbürgermeister selbst habe ihm diese Fragen nicht beantwortet.
Selbst wenn der Oberbürgermeister jetzt eingeräumt hätte, das sei unsensibel gewesen, seien Fragen wie „Was wusste er vom Gehalt? Was wusste er über den Dienstwagen?“ weiterhin nicht hinreichend und glaubhaft beantwortet. Feldmann versucht, sich rauszureden, dass er den Gehaltszettel seiner Frau nicht geprüft habe und das auch keinem anderen Mann empfehle. Feldmann gibt gerne den Emanzipaitonsversteher und Kämpfer gegen Populisten. Damit ist er weit gekommen. Ist es notwendig zu betonen, dass er selbst auch eine AWO-Geschichte hat?
Bürgermeister der AWO – aber auch der Bürger?
Immerhin war er sechs Jahre gemeinsam mit dem Bruder von Hannelore Richter Altenheimleiter in Darmstadt gewesen. In der AWO kennt man sich. Hilft man sich auch? „Das ist ein Detail und es gibt keine Sippenhaft. Aber es gibt auch keinen Sippenfreispruch“, erklärt Siefert.
Kontrolle hat in der Gesamtheit versagt
Damit tritt ein strukturelles Problem zu Tage. „Wer kontrolliert diese Verbände? Die Gelder kommen von der öffentlichen Hand, überwiegend von der Stadt aber auch vom Land und vom Bund“, so Reporter Volker Siefert. Die Verbände kontrollieren sich weitgehend selbst; Kontrolleure und Kontrollierte tauschen wechselseitig ihre Rollen wie bei Familie Richter. Auf allen Beteiligten ruht das wohlgefällige Auge der Partei. Auch sie kontrolliert, aber nicht so richtig.
„Die Kontrolle hat in der Gesamtheit versagt,“ gesteht schließlich selbst der Vorsitzende des Bundespräsidiums der AWO, Wilhelm Schmidt. Zu den Revisoren in Frankfurt zählte auch die SPD-Bundestagsabgeordnete Ulli Nissen. Mittlerweile ist sie als Rechnungsprüferin zurückgetreten und begründete den Rücktritt von ihrer langjährigen Tätigkeit damit, dass die Revision für Ehrenamtliche nicht mehr „in der Tiefe zu leisten“ sei. Ob die Revisoren selbst Teil des Systems waren oder „ob verschleiert wurde“, ließ AWO-Schmidt bislang offen. Dabei ist Nissens Aussage, sie habe die Aufgabe „in der Tiefe” nicht erfüllt, schon ein Schuldeingeständnis. Revision ist kein Ehrentitel für verdienende Genossen, sondern eine Verpflichtung. Nissen darf weiter als Bundestagsabgeordnete weit komplexere und umfangreichere Beträge abnicken. Es ist, als wäre die Umleitung öffentlicher Mittel ein Kavaliersdelikt: Es wird nicht verfolgt; es folgen keine Konsequenzen.
Die Stadt Frankfurt habe bis heute die für angebliche Physiotherapie und autogenes Training von „Flüchtlingen” gezahlten Gelder nicht von der AWO zurückgefordert, so Volker Siefert. Es sei kein Strafantrag gestellt und auch keine Anzeige erstattet worden. „Bis heute gibt es keine Erklärung des eigentlich Geschädigten: ‚Wir haben einen Verlust öffentlicher Gelder zu verzeichnen‘. Der Geschädigte sagt, ich weiß von nichts“, prangert Siefert den politischen Umgang mit der Affäre an. Auch andere Parteien sind AWO-infiziert.
Teure Dienstwagen für Genossen und Grüne
Im Rahmen der Recherche, in die sich jetzt auch die Wiesbadener Lokalpresse einschaltet, musste Burcu eingestehen, dass auch ihm ein Dienstwagen, ein Range Rover Evoque, für seine nur achtmonatige Tätigkeit Zeit zur Verfügung gestellt worden sei. Das Fahrzeug habe Burcu „aus dem Bestand der AWO Wiesbaden“ bekommen. Das ist doch bemerkenswert – eine Wohlfahrtsorganisation, die auf dem Wohlfahrtsparkplatz Range Rover herumstehen hat.
Daniel Gräber ergänzt das Dienstwagengefüge. „Ein Audi RS mit 450 PS, immerhin in der AWO-Farbe Rot, war der offizielle Dienstwagen der stellvertretenden Geschäftsführerin der AWO Frankfurt, Jasmin Kasperkowitz. Sie wird jetzt ab dem 1. Januar neue Geschäftsführerin.“ Für den Kita-Abteilungsleiter Klaus Erich Roth, den Chef von Zürbeyde Feldmann, stellte die AWO einen Mercedes AMG mit 306 PS zur Verfügung. Das alles seien „Fahrzeuge der oberen Mittelklasse und Compliance-konform“, so habe es ihm die AWO Frankfurt mitgeteilt. Es fährt sich gut mit Wohlfahrt.
Sicherheitsfirma ohne Personal
Roth sei übrigens gleichzeitig Geschäftsführer der AWO Protect. Das ist die Firma, die für Sicherheitsdienstleistungen bei den beiden von der AWO betriebenen Flüchtlingsheimen in einem Zeitraum von zweieinhalb Jahren 7,1 Millionen Euro von der Stadt Frankfurt „einkassiert“ habe.
Die AWO Protect ist überraschenderweise eine gemeinnützige GmbH. Dass Wach- und Sicherheitsdienstleistungen gemeinnützig seien, darauf sei er vor seiner Recherche auch nie gekommen, so Volker Siefert. Immerhin gibt es einen florierenden Markt für private Unternehmen. Auf die Problematik der Gemeinnützigkeit der AWO generell angesprochen verweise das Finanzministerium immer nur an die zuständige Oberfinanzdirektion in Frankfurt. Diese verweigere jedoch unter Berufung auf das Steuergeheimnis die Auskunft.
Die offizielle Begründung der AWO für die Gründung einer eigenen Sicherheitsfirma sei gewesen, dass man als Arbeiterwohlfahrt wolle, dass die Wachleute ein ordentliches Gehalt bekommen. De facto sei es aber so gelaufen, dass die AWO „relativ wenig eigenes Personal hatte“ und die Bewachung durch Subunternehmen organisieren lassen habe. Diese wiederum haben dann weitere Subunternehmen beauftragt, „sodass am Ende sicherlich nicht der Stundenlohn an die Arbeiter gezahlt wurde, den die AWO Protect gegenüber der Stadt abgerechnet hat“, stellt Daniel Gräber fest. Möglicherweise ist auch das kein Zufall.
Der Kontrollverlust wurde herbeigeführt. Er ist nicht einfach so passiert.
Die Verwicklung des Oberbürgermeisters – Lesen Sie Teil 3 morgen.