Je mehr die „Klimakatastrophe“ zum alles überragenden Problem der maßgebenden Politik aufsteigt, desto mehr kriecht die klebrige Schlange des Selbstzweifels offenbar in die Gedankenwelt einiger führender Politiker.
Galt es bisher als sicher, dass wegfallender Atomstrom durch die „Erneuerbaren“ problemlos ersetzt werden könnte, sehen die Realitäten anders aus. Man vertraute auf etablierte politische WissenschaftlerInnen wie Frau Professor Kemfert.
Nun findet der Aufwand mehrerer hundert Milliarden Euro nur unzureichend Niederschlag in sinkenden CO2-Emissionen, so dass sich Politiker selbständig Gedanken zu dem Thema machen. Das ist sozusagen eine neue Qualität.
Keck strecken einige aus dem Kanzlerinnengefolge jetzt den Finger in die Luft. Der energiepolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, Joachim Pfeiffer, „erwärmt“ sich für die Kernkraft, schreibt n-tv. Wer jetzt denkt, er würde sich für eine Revision der Entscheidung von 2011 erwärmen und einen entsprechenden Gesetzentwurf vorbereiten, geht allerdings fehl. Originalton:
„Wenn es jetzt aber darum geht, aus Klimaschutzgründen wieder in die Kernenergie einzusteigen, muss die Initiative dazu von den Grünen und Linken ausgehen.“
Ein zweifellos interessanter Versuch, den Schwarzen Peter der Opposition zuzuschieben, um einen eigenen eklatanten energiepolitischen Fehler zu kaschieren. Als Profi weiß er, dass es einen solchen Vorstoß von Linken oder Grünen nie geben wird. Die Linken stimmten 2011 gegen die Änderung des Atomgesetzes, weil ihnen der Ausstieg zu langsam ging. Sie werden mit einer 180-Grad-Wende nicht ihre damalige Fehleinschätzung offenlegen.
Für die Grünen gehört der Atomausstieg zur DNA, es ist ihr Gründungsmythos. Sie werden nicht ihre Parteigeschichte verraten und ihre guten Umfragewerte aufs Spiel setzen, indem sie die Frontkämpferveteranen, die vor Wackersdorf im Dreck lagen, vor den Kopf stoßen.
Es ist eine opportunistische Scheinerwärmung von Pfeiffer. Er bringt sich in Stellung für künftige Zeiten, um seine Rolle im Desaster relativieren zu können.
Selbst in Schweden, der Heimat Gretas, würde man an der Atomkraft festhalten. Ein starkes Argument bezüglich einer Heiligen und völlig frei von sachlicher Abwägung. Dabei ist Armin Laschet auch völlig unbelastet von jeglicher Selbstreflexion. Vor nicht einmal zwei Jahren forderte er von der belgischen Regierung die Abschaltung des Kernkraftwerks Tihange und bot dafür den deutschen Strommix an, auch aus rheinischer Braunkohle.
Im Rahmen des Kohleausstiegsgesetzes wird es spannend zu sehen sein, welche flexible Position er dann einnimmt. Sinnvoll wäre, das nagelneue Kohlekraftwerk in Datteln in Betrieb zu nehmen und alte Anlagen abzuschalten. Als Inhaber einer Kanzlerambition könnte er aber auch die neue Anlage den Grünen zum Fraß vorwerfen, um sich für strategische Koalitionsoptionen günstig in Stellung zu bringen. Wer werden ihn – und andere in der CDU – wohl noch mehrfach flexibel im Sinne des Machterhalts erleben.
Frau Merkel wird auf den letzten Metern ihrer verlöschenden Kanzlerschaft energiepolitisch nicht mehr handeln. Damit ist kein weiterer Purzelbaum nach der Laufzeitverlängerung für die Kernkraftwerke, also dem Ausstieg aus dem Ausstieg und dem folgenden Doch-Ausstieg zu erwarten. Auch äußern wird sie sich dazu nicht mehr. Es könnte Kritik zur Folge haben, im schlimmsten Falle Selbstkritik und das Eingeständnis von Fehlern. Das ist nicht ihre Wesensart.
Selbst wenn die kleine GroKo einen Beschluss zur Verlängerung der Laufzeiten wollte und auch hinbekäme, hätte es keine Folgen. Die Betreiber würden dankend ablehnen. Die Brennelemente sind auf den Abschaltzeitpunkt hin berechnet. Eine Neubeladung würde –zig Millionen Euro kosten.
Und ab 2021 sind die Grünen in der Regierung. Dann beginnt die Klimadämmerung.