So schnell kann’s passieren mit einem PR-Gau: Da fährt Greta Thunberg mal nicht Segelschiff, sondern Bahn – und muss wegen ausgefallenem Zug erstmal auf dem Boden kauern. Später wird die Reise mit der Deutschen Bahn mit einem Platz in der 1. Klasse fortgesetzt, kontert die Bahn auf Twitter und gibt damit an. Aber damit fühlen sich nun Millionen Bahnreisende verprellt, die brav zahlen für Hock- und Stehplätze. Wie durchgehend die Marketingampeln auf Grün stehen, sollte das neue Außendesign der 280 ICE-Züge demonstrieren . Der rote Streifen, das Markenzeichen der Deutschen Bahn, wird erstmals umgeändert. In welche Farbe? In Grün natürlich. Am ersten und letzten Wagen der Züge wird der rote Streifen durch einen grünen ersetzt, welcher in einen angedeuteten Stecker mündet. Und damit die Streifen auch wirklich von jedem verstanden werden, ist auf ihnen der Schriftzug „Deutschlands schnellster Klimaschützer“ (Hashtag „#schnellster klimaschützer“) angebracht. Dieses Design oder besser gesagt Symbol soll den Fahrgästen den Eindruck vermitteln, alle ICE-Züge seien mit 100 Prozent Ökostrom unterwegs.
Es scheint, als werde mit der Mogelpackung (100 Prozent Ökostrom) das ganz normale Werbeinstrumentarium für die Symbolpolitik der Bundesregierung instrumentalisiert. Angenommen, die Bahn schaffte es nicht, ihre „Umweltstrategie“ mit geplanten „152 Umweltmaßnahmen“ konzeptionell oder zeitlich umzusetzen, so bleibt der grüne Streifen „als Symbol der klimafreundlichen Bahn“, welcher die Fahrgäste im Glauben lässt, die Bahn (und die Regierung) täten etwas fürs Klima.
Generell lässt das gesamte DB-Marketingkonzept den Eindruck zu, dass jedweder Rezipient den Staatskonzern Deutsche Bahn mit den Themen grün, Klima, Umwelt, Nachhaltigkeit und Tierschutz assoziieren soll. Dabei wollen die Leute doch in erster Linie pünktlich von A nach B kommen.
Haltungs- statt Marketingkampagne
Ein besonders kritischer Spot ist von der Berliner Spoken-Word-Künstlerin und Rapperin Jessy James LaFleur. Der Spot „Ich würde heute noch einen Baum pflanzen“ beginnt bereits mit einer tickenden Uhr, die als Schatten in der Handfläche der Künstlerin zu sehen ist. Währenddessen folgen die Worte: „Wir tun weiterhin so, als wüssten wir nicht, dass dieses Jahrhundert zu unserem Schicksalsjahrhundert wird.“ Bei „aber wir wissen längst, was uns noch blüht“ wird eine Pusteblume zerblasen. Während der Worte „nämlich immer weniger“ sieht der Rezipient einen als Weltkugel dargestellten aufgeblasenen Spielball, der bei jenen Worten schrumpft und einsinkt.
Bei den Worten „wir stürzen eine Welt in den Burnout, eine Welt, die uns nicht einmal gehört“ fällt der Spielball zu Boden. Des Weiteren sagt LaFleur: „Direkt vor unserer Haustür geht ein Wunderland zugrunde“ und vor allem: „Heute muss jeder zum Umweltschützer werden“ sowie: „Also wenn wir doch wissen, dass morgen die Welt in tausend Stücke zerbricht, dann lasst uns heute noch Bäume pflanzen und handeln.“
Damit erschwert die Bahnkampagne eine sachlich fundierte Klimaschutzdebatte und erweckt den Eindruck, dass man sich bei der „Fridays for Future“-Bewegung anbiedern wolle. Die vorgeführten Betonbauten sowie die permanent gezeigten Tiere und Grünflächen emotionalisieren den Rezipienten, der parallel mit Worten moralisiert wird. Da es sich um ein Unternehmen handelt, das 2018 rund 2,5 Milliarden Fahrgäste zählte, stellt dies durchaus eine Beeinflussung der Massen dar.
Politik über die Schiene
Der Staatskonzern fordert den Rezipienten mit seiner Werbekampagne implizit auf, Umweltschützer zu werden, grün zu werden, grün zu handeln. Dabei ist die Bahn ein Transport- und kein Umweltschutzunternehmen. Fahrgäste werden unter moralisch-grünen Druck gesetzt, obwohl das mit dem Zweck der Firma nichts zu tun hat.
Als Abbinder sind am Ende eines Spots immer die gleichen Worte zu hören: „Das ist grün.“ Diese finden sich auch auf den Webseiten der Bahn, wo es beispielsweise heißt: „Mit uns sind Sie Umweltschützer. Die Zeit des Zögerns ist vorbei. Der Klimawandel ist mit Händen zu greifen.“
„Das ist grün“ heißt gleichzeitig das „Programm“ mit den 150 Umweltmaßnahmen. Damit erhält der Spruch eine Doppelfunktion: moralisieren und werben. Doch damit wird nicht nur für die Deutsche Bahn geworben, die das Klima retten soll, sondern auch für die Bundesregierung, die zeigen muss, dass sie das Klima retten will und kann.
Besonders das Marketing unterstreicht insgesamt, in welchem Ausmaß die Bahn als Klimaschützer und Klimaretter der Bundesregierung fungieren muss – wenn auch vorerst nur symbolisch. Es fragt sich indes, ob mit dieser verschobenen Symbolpolitik eine größere Akzeptanz der Klimapolitik seitens der Bevölkerung erreicht werden kann.
Es scheint, als versuche man, es der Bevölkerung mit dem moralischen Druck leichter zu machen, die Bahn als Transportmedium zu benutzen, statt beispielsweise das nun preislich erhöhte Fliegen. Nicht umsonst sitzen im Kanzleramt sogenannte Nudging-Experten (von Englisch „to nudge“, anstupsen).
Wenn dem so ist, dann wird die Deutsche Bahn von der Regierung für ihre politischen Zwecke missbraucht, denn dann geht es nicht mehr um Marketing, sondern um reine Beeinflussung. Den Versuch, politische Meinungen zu formen oder öffentliche Sichtweisen zugunsten der Regierung zu beeinflussen, könnte man bösartig auch Propaganda nennen.
Ob Union und SPD mit dieser grünen Werbekampagne des Staatskonzerns punkten können, ist allerdings noch ungewiss. Vielmehr sieht es mit jeder Werbung stärker nach einem Eigentor aus. Mit Begriffen wie „grün“, „Klima“, „Umwelt“, „Natur“, „Tierschutz“, „Nachhaltigkeit“ und der eingesetzten grünen Moralkeule spielt die Kampagne eher den Grünen den Ball zu. Menschen, die von der Werbung beeinflusst werden, werden die nun grün geprägte Staatsbahn nicht unbedingt mit der GroKo in Verbindung bringen.