Tichys Einblick
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„Dämonisierung des Autos“

Die Förderung der Elektromobilität gehört zu den obersten Prioritäten der Klimapolitik. Doch für die Produktion von Elektroautos braucht es deutlich weniger Arbeitnehmer und Ingenieurskunst. Die Autobranche steht vor einem drastischen Wandel, sagt der bekannte Ökonom Daniel Stelter

Manche würden das Auto am liebsten ganz verbieten. Dabei wird die volkswirtschaftliche Bedeutung der Automobilindustrie in Deutschland gern übersehen. Immerhin steht sie für fast eine Million Beschäftigte und 420 Milliarden Euro Umsatz. Volkswagen investiert mit 13 Milliarden Euro mehr in Forschung und Entwicklung als Maschinenbau und chemische Industrie zusammen. Wenn VW-Chef Herbert Diess wie im September auf der Automobilausstellung in Frankfurt ein Auto ganz ohne negative Eigenschaften verspricht und der Daimler-Chef von individueller Mobilität ohne Emissionen schwadroniert, dann vergessen sie zu erwähnen, dass die Fertigungstiefe eines rein elektrisch angetriebenen Autos nur noch etwa 40 Prozent der eines Verbrenners beträgt. 100 000 Arbeitsplätze stehen auf dem Spiel. Die Automobilindustrie steckt mitten in einem gewaltigen Umbruch, begleitet von den Nachwehen des Dieselskandals und überschattet von sinkenden Verkaufszahlen.

Tichys Einblick: Herr Stelter, nicht nur die Aktienkurse, sondern auch das Selbstvertrauen der deutschen Autoindustrie ist offenbar im Keller. Der deutsche Verband der Automobilindustrie will nun nach den Protesten auf der Internationalen Automobilausstellung im September einen Imagewandel herbeiführen und setzt auf eine „Mobilitätsmesse“, bei der nicht mehr nur Autos im Vordergrund stehen sollen. Früher waren die Deutschen stolz auf ihre Autoindustrie, heute schämen sich die Hersteller offenbar selbst. Was bedeutet das für das Land?

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Stelter entzaubert den Mythos von den reichen Deutschen
Daniel Stelter: Diese Dämonisierung des Autos und der individuellen Mobilität hierzulande ist einer der Gründe dafür, dass Firmenlenker sich wohl kaum für ein technologiefeindliches Deutschland als Standort entscheiden werden, wenn mit Elektroantrieb und Brennstoffzellen ein ganz neues Spiel beginnt. Wir müssen uns klarmachen, dass die Automobilproduktion eigentlich nur deshalb in Deutschland ist, weil sie historisch hier gewachsen ist. Wir sind in Deutschland gerade dabei, einer Industrie, die ohnehin in hohem Maße durch den technologischen Umbruch gefährdet ist, gesellschaftlich und politisch den Saft abzudrehen. Auch durch eine Klimaschutzpolitik, die völlig ineffizient ist, sehr viel kostet, aber dem Klima wenig nutzt.

Wie tief reicht die Krise des deutschen Autos?

Wir erleben mehrere Krisen gleichzeitig. Unter anderem eine Strukturkrise, begründet durch den technologischen Wandel – weg vom Verbrennungsmotor, hin zum Elektromotor. Jeder große Strukturwandel, das zeigt die Geschichte, bedeutet für bestehende Unternehmen die Gefahr, ihn nicht zu überleben. Die deutsche Autoindustrie, wie auch die anderen wichtigen Industriezweige Deutschlands – Maschinenbau, Chemie, Pharma –, gab es schon im Kaiserreich. Manche alten Branchen wie Fotografie und Unterhaltungselektronik sind schon weitestgehend verschwunden. Den Computer haben wir zwar erfunden, aber nie selbst hergestellt. Die deutsche Autoindustrie jedenfalls hat es in mehr als einem Jahrhundert geschafft, die bestehende Technologie immer weiter zu optimieren. Doch jetzt kommt eben ein ungeheuer gefährlicher Strukturbruch.

Ist dieser Strukturbruch hin zum Elektroantrieb die Folge der politischen Vorgaben wie dem Klimaschutz und der Energiewende, oder käme der ohnehin?

Beides. Er ist natürlich einerseits Folge von deutscher Politik. Der politische Druck gegen den Verbrennungsmotor macht sich sehr stark bemerkbar. Aber dazu kommt: Die Wettbewerber außerhalb Deutschlands, nicht zuletzt in China, aber auch zum Beispiel die französischen Hersteller, setzen auf Elektromobilität, weil sie unsere deutschen Hersteller in der Verbrennungstechnologie nicht schlagen können. Bei einem Elektroauto fallen alle die Elemente weg, die deutsche Autos relativ erfolgreich gemacht haben, etwa die optimierten Verbrennungsmotoren und Getriebe. Was also bisher differenzierend war, ist es künftig nicht mehr. Dazu kommt: Elektroautos sind auch kostengünstiger zu produzieren.

Und wenn die deutschen Unternehmen diesen Wandel gut bewältigen?

Durchgerechnet
E-Auto: Anstatt Verbrennungsmotor ein Holzweg
Selbst dann gibt es einen erheblichen Arbeitsplatzverlust. Weil Elektroautos weniger komplex sind, brauchen sowohl die Automobilwerke selbst als auch die Zulieferer weniger Leute. Übrigens auch die Werkstattbetriebe, wenn keine Verbrennungsmotoren mehr repariert werden müssen. Es gibt da also über die großen Automobilunternehmen hinaus noch Multiplikator-Effekte. Für den Standort Deutschland ist der Effekt des Strukturbruchs in jedem Fall negativ.

Sind die jüngsten Meldungen über Stellenkürzungen, zuletzt beim thüringischen Zulieferer Mitec, aber auch bei Continental, Opel oder Brose und anderen dadurch zu erklären?

Ich will zu diesen konkreten Fällen nichts sagen. Ich habe ja zu Anfang schon gesagt: Ich sehe mehrere Ebenen der Krise des Autos in Deutschland. Die jetzigen Entlassungen sind wohl eher Wirkungen einer Konjunkturkrise, die jetzt mit der Strukturkrise zusammenfallen. Wir hatten in den vergangenen Jahren einen künstlichen Boom durch das billige Geld und eine weltweit steigende Verschuldung. Es ist nun klar sichtbar, dass wir eine weltweite Rezession bekommen. Und in Europa reagieren Deutschland, Schweden und die Schweiz nun mal aufgrund ihrer Exportausrichtung am sensibelsten auf die Weltkonjunktur. In diesen drei Ländern kollabieren gerade die Einkaufsmanagerindizes und andere Konjunkturindikatoren. Dazu kommt, dass sich die Chinesen in den letzten Jahren sehr stark verschuldet haben. Jetzt versuchen sie, von dieser Kreditabhängigkeit wegzukommen, und da sinkt die Nachfrage nach deutschen Autos.

Dass die deutsche Automobilindustrie so stark war und noch ist, liegt vor allem darin, dass hier die besonderen Fähigkeiten von Ingenieuren vorhanden waren, um die wichtigsten Teile wie Motoren und Getriebe zu bauen. Wenn diese Bestandteile mit dem Strukturbruch hin zur Elektromobilität wegfallen, dann entfällt für die großen Automobilhersteller auch die Notwendigkeit, hier in Deutschland zu investieren. Denn dann richten sie sich lieber an den größten Märkten aus: USA und China. Wenn wir also ein anderes Spielfeld haben, auf dem die besonderen deutschen Qualitäten im Automobilbau keine Rolle mehr spielen, dann geht es nur noch um die Mengen der Produktion. Und da sind China und die USA im Vorteil. Wenn die historischen Gründe dafür wegfallen, dass wir in Deutschland in dieser Industrie so stark waren, dann fällt auch der Grund weg, in Deutschland zu produzieren. Der Strukturbruch wird also auch bei den deutschen Herstellern zur Tendenz führen, die Produktion noch stärker ins Ausland zu verlagern.

Welche weiteren Krisen sehen Sie?

Da kommen dann noch politische Krisen mit ökonomischen Folgen wie der Brexit. Großbritannien ist der zweitgrößte Automarkt in Europa. Die Risiken des Euro muss man auch noch bedenken. Ohne die wirtschaftliche Stärke Deutschlands wäre der Euro sicher längst schon Geschichte. Eine schwächelnde deutsche Autoindustrie hat nicht nur große Auswirkungen auf ganz Deutschland, sondern auch auf die gesamte Eurozone.

Welche Branche könnte denn in die Bresche springen?

METZGERS ORDNUNGSRUF 44-2019
Die „Verkehrswende“ auf den Spuren der „Energiewende“
Die Wind- und Solarbranche wird es schon mal nicht werden. In der Solarbranche ist die Beschäftigung zunächst hochgeschossen auf über 130 000 Menschen. Doch jetzt sind es kaum mehr 30 000. Die verlorenen Arbeitsplätze sind nun in China, wo man schneller auf Volumen und Skaleneffekte gesetzt hat. Für die Windenergie gilt dasselbe. Gerade baut ja auch Vestas 500 Arbeitsplätze ab. Die Idee der Politik, mit der Energiewende neue Arbeitsplätze zu schaffen, funktioniert also nicht.

Im jüngsten Ranking des Weltwirtschaftsforums zur Wettbewerbsfähigkeit der Länder ist Deutschland von Platz 3 auf Platz 7 abgerutscht. Aber immerhin bleiben wir laut Ranking Nummer 2 bei den Innovationen. Ist das kein Grund zur Hoffnung?

Unsere Innovationen sind stark konzentriert auf den Automobilsektor. Und dort wiederum, wenn man sich die Patente genau ansieht, eher auf die Verbesserung des Alten als auf die Schaffung von Neuem. Es kommt also alles zusammen: Konjunkturkrise, Strukturkrise, Eurokrise und eine Politik, die den Schaden größer macht, statt ihn zu minimieren. Die Kanzlerin selbst hat bei einem Treffen des Europäischen Rats einmal gesagt, sie sehe schwarz für die europäische Automobilindustrie. Aber dann sollte man doch etwas dagegen tun … Wir setzen jetzt voll auf Elektro. Es könnte aber auch sein, dass Wasserstoff die Technologie der Zukunft ist. Da investieren die Japaner. Wenn wir da jetzt nicht anfangen, rennen wir in zehn Jahren bei dieser Technologie ebenfalls hinterher. Das ist auch Schuld der nicht ergebnisoffenen Politik. Wir sollten, statt 80 Milliarden für die soziale Abfederung der Folgen in den vom Kohleausstieg betroffenen Regionen auszugeben, lieber in die Forschung investieren.

Was kann man als Anleger daraus folgern? Sollte man Autoaktien abstoßen?

Ich selbst habe keine Bankenaktien, weil die Bankenkrise ungelöst ist. Und ich habe auch keine Autoaktien. Zu spekulativen Zwecken kann man ein Investment in diesen Branchen natürlich kurzfristig wagen. Generell ist es für deutsche Anleger aber ratsam, ihre Vermögenswerte nicht zu sehr auf Deutschland zu konzentrieren, sondern global zu investieren.


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