Das EU-Parlament verabschiedete im Frühjahr eine Resolution „zu den Grundrechten von Menschen afrikanischer Abstammung in Europa“. In ihr kritisierten die Straßburger Abgeordneten, schwarze Europäer würden großflächig diskriminiert, und forderten ein umfangreiches Maßnahmenpaket der Mitgliedstaaten in nahezu allen politischen Bereichen. Auch andere offizielle Stellen und Organisationen werfen den EU-Mitgliedstaaten Menschenrechtsverletzungen und „Rassismus“ vor.
Nun ist die Kontrolle, ob Staaten Menschenrechte wahren, zweifellos wichtig und richtig. Nur ist die einseitige Fragestellung, welche Rechte und Ansprüche Migranten von Staat und Gesellschaft vorenthalten werden, in praxi damit verbunden, dass zwei andere Aspekte unterbelichtet bleiben: einerseits die Integrationsfähigkeit und -bereitschaft der Betroffenen und andererseits die real existierenden Möglichkeiten der Aufnahmegesellschaften, Ressourcen und Infrastruktur bereitzustellen, um allen Zuwanderern zufriedenstellende Perspektiven zu sichern, wie es der Ende 2018 verabschiedete globale UN-Migrationspakt im Kern zum Ziel hat.
Nach der Flüchtlingszuwanderung 2015 wird in den letzten Monaten wieder darüber diskutiert, ob als Folge des UN-Migrationspaktes, der europaweiten kontroversen Diskussion um die neuzeitliche „Seenotrettung“ aus Afrika und Aktionen wie der „Seebrücke“ bundesdeutscher Städte eine neue Zuwanderungswelle ins Haus steht. „Und wenn sich der Flüchtlingsherbst doch wiederholt?“ sinnierte etwa Rainer Haubrich jüngst in der WELT, und der Historiker Michael Stürmer schrieb am 21.11. in derselben Zeitung: „Flüchtlinge: 2015 war nicht Höhepunkt des Dramas. Sondern eher der Beginn“.
Aspekte der Migrationspolitik
Die Migrationspolitik, die nach wie vor eines der zentralen Themen der öffentlichen Debatte ist, unterteilt sich dabei in unterschiedliche Aspekte – die oft munter durcheinander geworfen werden:
- die Frage, wie viele Zuwanderer mit welchem (Aus-)Bildungsniveau Deutschland/die EU jährlich aufnehmen kann, was dies für den Wohnungsmarkt, den Arbeitsmarkt, die Sozialkassen, den Bildungsbereich bedeutet,
- die Frage nach der „eigentlichen Fremdenfeindlichkeit“, der Ablehnung von Zuwanderern aufgrund bestimmter Merkmale,
- die Frage, inwieweit die Aufnahmegesellschaft den Zuwanderern angemessene Rechte und „Teilhabe“ gewährt oder diese „strukturell diskriminiert“.
Drei Fragestellungen, über denen heutzutage die dunklen Wolken der viel zitierten „gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit/GMF“ bzw. des „Rassismus“ schweben, ablehnende Haltungen, die vor allem der undefinierten „Mehrheitsgesellschaft“ bzw. „Mitte der Gesellschaft“ vorgeworfen werden. Im Laufe der Jahre sind der „Menschenfeindlichkeit“ immer mehr Elemente einverleibt worden. Galten 2012 bereits zehn Benachteiligungsformen, darunter Sexismus und Islamophobie, als unakzeptabel, warnt die Amadeu Antonio Stiftung inzwischen auch vor der Abwertung aufgrund von Aussehen (Lookismus), sozialer Herkunft oder des Alters.
Beim gesamten „Syndrom“ der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit bleibt aber offen, ob man pauschale in Meinungen/Einstellungen und Verhalten zum Ausdruck kommende Feinseligkeiten mit dem Oberbegriff „Phobien“ – der krankhaften Furcht vor Menschen und Situationen – wirklich treffend erfasst.
EP-Resolution geißelt „Rassismus gegen Schwarze“
Ein auf europäischer Ebene inzwischen weit verbreiter neuer Schlüsselbegriff ist die „Afrophobie“ – genauer gesagt: verbreitet in Einrichtungen der Europäischen Union und einschlägigen Fachzirkeln/Nichtregierungs¬organisationen (NGOs) – weniger in der Wahrnehmung des Normalbürgers und der Medien. Das Europäischen Parlament (EP) erklärt, „dass sich die Begriffe ‚Afrophobie‘, ‚Afriphobie‘ und ‚Rassismus gegen Schwarze‘ auf eine bestimmte Form des Rassismus, einschließlich aller Arten von Gewalttätigkeit oder Diskriminierung, beziehen, dem historischer Missbrauch und negative Stereotypisierung einen Nährboden bieten und der zur Ausgrenzung und Entmenschlichung von Menschen afrikanischer Abstammung führt; in der Erwägung, dass dies im Zusammenhang mit den historisch repressiven Strukturen des Kolonialismus und des transatlantischen Sklavenhandels steht, …“
Diese Definition entstammt einer langen Resolution „zu den Grundrechten von Menschen afrikanischer Abstammung in Europa“, die das EP in seiner letzten Zusammensetzung am 26.03.2019 in Straßburg verabschiedet hat. Der Text wirft nicht näher definierten, aber unausgesprochen wohl doch als umfangreich unterstellten Anteilen der EU-Bevölkerungen und ihren Regierungen „Afrophobie“ vor. Die Resolution haben 535 Straßburger Abgeordnete unterstützt, 80 stimmten dagegen, 44 enthielten sich.
Die Parlamentarier fordern „die Mitgliedstaaten und EU-Organe auf, anzuerkennen, dass Menschen afrikanischer Abstammung besonders stark Rassismus, Diskriminierung und Fremdenfeindlichkeit ausgesetzt sind und ihre Menschen- und Grundrechte im Allgemeinen nicht im gleichen Maße wahrnehmen können, was strukturellem Rassismus gleichkommt, und dass sie als Einzelpersonen und auch als Gruppe Anspruch auf Schutz vor diesen Ungleichheiten haben“. Die „aktive und sinnvolle soziale, wirtschaftliche, politische und kulturelle Beteiligung von Menschen afrikanischer Abstammung“ sei „von entscheidender Bedeutung …, wenn es darum geht, das Phänomen der Afrophobie zu bekämpfen und die Inklusion dieser Menschen in Europa zu gewährleisten“.
Umfangreicher Forderungskatalog
Die EU-Kommission soll nach den Vorstellungen des EP „einen EU-Rahmen für nationale Strategien für die soziale Inklusion und Integration von Menschen afrikanischer Abstammung … entwickeln“. Man verurteile „alle tätlichen oder verbalen Angriffe gegen Menschen afrikanischer Abstammung“ und fordere die EU-Staaten auf, „die Geschichte der Menschen afrikanischer Abstammung – einschließlich vergangener und andauernder Ungerechtigkeiten und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, z. B. Sklaverei und transatlantischer Sklavenhandel, oder Ungerechtigkeiten und Verbrechen, die im Rahmen des europäischen Kolonialismus begangen wurden, aber auch der gewaltigen Errungenschaften und positiven Beiträge von Menschen afrikanischer Abstammung – in Europa offiziell anzuerkennen und ihr zu gedenken, indem sie den Internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer der Sklaverei und des transatlantischen Sklavenhandels auf europäischer und nationaler Ebene offiziell anerkennen und sogenannte ‚Monate der schwarzen Geschichte‘ einführen“. Die Mitgliedstaaten und die EU-Organe sollten in diesem Sinne das von den Vereinten Nationen ausgerufene Internationale Jahrzehnt der Menschen afrikanischer Abstammung/International Decade for People of African Descent (2015–2024) offiziell begehen.
Explizit werden die EU-Staaten vom EP weiter ermuntert, „nationale Strategien zur Bekämpfung von Rassismus zu entwickeln, die sich mit der vergleichenden Situation von Menschen afrikanischer Abstammung in Bereichen wie Bildung, Wohnen, Gesundheit, Beschäftigung, Polizeiarbeit, Sozialdienste, Justiz sowie politische Teilhabe und Vertretung befassen und mit denen die Teilhabe von Menschen afrikanischer Abstammung in Fernsehsendungen und anderen Medien gefördert wird …“. Das EU-Parlament, heißt es, bestehe darauf, dass die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass „Hassverbrechen“ gegen Menschen afrikanischer Abstammung bestraft werden. Die Erstellung von Profilen auf der Grundlage der Rasse oder der ethnischen Zugehörigkeit sei „in allen Formen der Strafverfolgung, der Terrorismusbekämpfung und der Einwanderungskontrolle“ zu beenden. Nötig sei eine stärkere finanzielle Unterstützung von zivilgesellschaftlichen Organisationen. Die EU solle in ihren Finanzierungsprogrammen den Fokus auch auf Menschen afrikanischer Abstammung legen.
Plädoyer für sichere legale Wege von Afrikanern in die EU
Um gegen „rassistische und afrophobe Traditionen“ vorzugehen, fordert das EP von den Mitgliedstaaten: die Überwachung von „rassistisch begründeter Voreingenommenheit in ihren Strafrechts-, Bildungs- und Sozialsystemen“, den gleichberechtigten Zugang zur Bildung, ebenso den gleichen Zugang zu sozialen Diensten. EU-Organe und die Mitgliedstaaten sollten Initiativen für Menschen afrikanischer Abstammung in den Bereichen Beschäftigung und Unternehmertum fördern, damit den überdurchschnittlich hohen Arbeitslosenquoten und der Diskriminierung von Menschen afrikanischer Abstammung auf dem Arbeitsmarkt entgegengewirkt wird. Man solle gegen die Diskriminierung der Betroffenen auf dem Wohnungsmarkt vorgehen.
Der EU-Kommission und den Mitgliedstaaten wird außerdem aufgegeben, „unter Berücksichtigung der bestehenden Rechtsvorschriften und Verfahren dafür zu sorgen, dass Migranten, Flüchtlinge und Asylbewerber auf sicherem und legalem Wege in die EU einreisen können“. Die Anzahl der in Europa lebenden Menschen afrikanischer Abstammung wird mit mindestens 15 Millionen angegeben. Das EP fordert die Kommission und den Europäischen Auswärtigen Dienst schlussendlich auf, sich eng mit internationalen Akteuren abzustimmen, „um Afrophobie auf internationaler Ebene zu bekämpfen“.
Afrophobie seit einigen Jahren verstärkt Thema vor allem auf EU-Ebene
Die Diskussion über „Afrophobie“ hat vor circa fünf Jahren an Fahrt aufgenommen. So trafen sich Anfang 2014 schwarze Initiativen aus Europa in Berlin. Laut taz war es „das erste Treffen diese Art – und ein Ausdruck eines neuen Selbstbewusstseins schwarzer Initiativen in Europa.“ Eingeladen hatten die Initiative Schwarze Menschen in Deutschland/ISD und das Brüsseler Europäische Netzwerk gegen Rassismus/ENAR.
Bereits am 20. Februar 2014 hatte im Europäischen Parlament eine Anhörung „Afrophobia in the EU“ stattgefunden. Vom 13. bis 17. Mai 2018 widmete sich im Europäischen Parlament dann eine ganze Woche mit Anhörungen, Referaten und Diskussionen den afrikastämmigen Menschen in Europa. Die Teilnehmer der „People of African Descent (PAD) Week“ plädierten für eine europäische Rahmenstrategie sowie nationale Aktionspläne. Unter anderem anknüpfend an die PAD-Woche erstellte im November 2018 eine EU High Level Group on combatting racism, xenophobia and other forms of intolerance unter der Generaldirektion Justice and Consumers der Europäischen Kommission ein Positionspapier mit vielen weiterführenden Quellen unter dem Titel „Afrophobia. Acknowledging and Unterstanding the Challenges to Ensure Effective Responses“.
Zuvor, vom 20. bis 27.02.2017, hatte überdies auf der Ebene der Vereinten Nationen eine 2002 eingesetzte Expertengruppe United Nations Working Group of Experts on People of African Descent Deutschland bereist. Sie bemängelte in harten Worten die Menschenrechtssituation der geschätzt 800.000 afrikastämmigen Einwohner hierzulande. Die große UN-Website zur Afrika-Dekade verweist darüber hinaus auf eine Reihe von regionalen Treffen und einschlägige Links, Dokumente, Veröffentlichungen, unter ihnen diverse aktuelle Berichte des Generalsekretärs der Vereinten Nationen.
Hauptakteure
Mittlerweile hat sich in der EU und auch auf UN-Ebene ein Netzwerk von offiziellen Stellen und Nichtregierungsorganisationen herausgebildet, das sich die Wahrung der Menschenrechte auf die Fahnen schreibt. Das Deutsche Institut für Menschenrechte hatte den Bundesländern bereits 2017 als Hausaufgabe aufgegeben, dafür zu sorgen, dass die Schulen „Rassismus und Sklaverei thematisieren“.
Zu den bundesdeutschen Hauptakteuren gehört der kämpferische Interessenverband ISD Bund in Berlin. Die Initiative ist Mitte der 1980er-Jahre nahezu zeitgleich mit der Berliner Bewegung ADEFRA – Schwarze Frauen in Deutschland entstanden. Der ISD hat es sich „zur Aufgabe gemacht, die Interessen Schwarzer Menschen in Deutschland zu vertreten“ sowie „politische, Schwarze Projekte“ zu fördern. Der Verband betreibt die Website „Schwarze Politik“, auf der ein Autor des Young Migrants Blog über den hiesigen Kampf „Migration vs. Nation“ theoretisiert. Der Bund beteiligt sich ferner am „Monitoring Anti-Schwarzer Rassismus in Berlin“ und unterstützt die Berliner Kampagne „Ban! Racial Profiling – Gefährliche Orte abschaffen!“, die „verdachtsunabhängige“ Polizeikontrollen etwa im Görlitzer Park als „rassistische Gewalt“ anprangert.
Der ISD ist Mitglied im 2012 gegründeten Zentralrat der afrikanischen Gemeinde in Deutschland e.V., der vom Bundesinnenministerium gefördert wird. Der Zentralrat ist bundesweit durch 53 Landesverbände und einzelne Vereine vertreten.
Demgegenüber ist das 1998 gegründete agile Netzwerk ENAR nach eigenen Angaben übergreifend in 27 EU-Ländern aktiv und versucht als Gemeinschaft von NGOs Einfluss auf die Entscheidungsfindung der EU zu nehmen. Zu seinen Arbeitsthemen gehört die „Afrophobie“. ENAR wird unter anderem gefördert von der EU und der Open Society Foundations. In der langen Liste einschlägiger Veröffentlichungen befinden sich der Report „Data-Driven Policing: The Hardwiring of Discriminatory Policing Practices across Europe“ (2019) sowie das Papier „Fundamental Rights of People of African Descent in Europe“ (2018). Letzteres ist mit verantwortet vom European Network of People of African Descent/ENPAD.
Verschiedene Schattenberichte kritisieren die Zustände in europäischen Ländern.
Im Rahmen der EU aktiv ist die European Agency for Fundamental Rights/FRA https://fra.europa.eu/en, das 90-köpfige „Zentrum der EU für Expertenwissen zu Grundrechten“, welches eine Vielzahl von Publikationen veröffentlicht hat, darunter die groß angelegte Umfrage „Als Schwarzer in der EU leben: eine Zusammenfassung der Zweiten Erhebung der Europäischen Union zu Minderheiten und Diskriminierung /EU MIDIS II“. In MIDIS II wurden 2015/2016 Erfahrungen von knapp 6.000 Menschen afrikanischer Abstammung in zwölf EU-Mitgliedstaaten abgefragt. Menschen afrikanischer Abstammung, kritisieren die Autoren, stießen „noch auf ausgeprägte und tief sitzende Vorurteile und Ausgrenzung“.
Hintergrund der Resolution: Fortwährend Zuwanderung aus Afrika
Unter dem Strich sind die Aktivitäten und die Resolution zu Grundrechten schwarzer Menschen ein weiterer Beleg dafür, dass die EU sich verstärkt dem Thema „Werte“ bzw. sozialer Zusammenhalt widmen will. Hier dürfte mit eine Rolle spielen, dass angesichts des großen Bevölkerungswachstums in vielen afrikanischen Ländern mit einer fortwährenden Zuwanderung von dort zu rechnen ist. In der aktuellen UN-Studie „Scaling Fences. Voices of irregular African migrants to Europe“, die sich explizit als Beitrag zur Operationalisierung des UN-Migrationspaktes versteht, wird die Idee, Migration – hier: illegale – von Afrika nach Europa könnte durch politische Programme verhindert oder deutlich reduziert werden, klar in Frage gestellt. 4 von 10 Befragten waren sich sicher, dass „nichts“ ihre Entscheidung, nach Europa zu migrieren, ändern könne. Auch eine Studie des Instituts Afrobarometer legte nahe, dass mehr als ein Drittel der Afrikaner eine Auswanderung in andere Staaten zumindest in Erwägung zieht, gern nach Europa.
Auffallend ist, dass der EP-Text nicht klar zwischen legaler und illegaler Einwanderung unterscheidet. Er spricht sich vielmehr, wie schon zitiert, pauschal dafür aus, „dafür zu sorgen, dass Migranten, Flüchtlinge und Asylbewerber auf sicherem und legalem Wege in die EU einreisen können“, nennt hierzu jedoch keine Größenordnungen. Dies entspricht letztlich dem Geist des UN-Flüchtlingspaktes und des UN-Migrationspaktes, welcher als Ziel hat, eine „sichere, geordnete und reguläre Migration (zu) erleichtern“, wie auch „gleichzeitig das Auftreten und die negativen Auswirkungen irregulärer Migration … (zu) reduzieren“. UN-Generalsekretär António Guterres selbst hatte dafür plädiert, „die Regierungen (müssten) „unter Achtung des Völkerrechts und der Menschenrechte“ „Wege für eine reguläre Migration öffnen, die den Realitäten von Arbeitsangebot und -nachfrage entsprechen“.
Problematik der Resolution
Was weiter an der EP-Resolution „zu den Grundrechten von Menschen afrikanischer Abstammung in Europa“ ins Auge fällt, ist einerseits, dass sie recht pauschal Anklage erhebt, Europa benachteilige mit seinen „rassistischen und afrophoben Traditionen“ schwarze Menschen in quasi allen Lebensbereichen, obwohl ja nicht alle EU-Mitgliedstaaten eine Kolonialgeschichte haben.
Gleichzeitig stellt der Forderungskatalog für alle Lebens- und Politikfelder eine beträchtliche Herausforderung für die 27 (28) angesprochen Mitgliedstaaten dar. Vor allem werden die Menschen afrikanischer Abstammung tendenziell in die Rolle passiver, zu betreuender Objekte der Politik gesteckt. Unterbelichtet bleibt ferner, dass die überdurchschnittlich hohe Arbeitslosigkeit und die behauptete Diskriminierung von afrikastämmigen Personen auf dem Arbeitsmarkt und in anderen gesellschaftlichen Sphären evtl., wie bei anderen Minderheiten, auch mit mangelhaften Sprach-, Bildungs- und Berufsqualifikationen usw. in Zusammenhang stehen. Daneben könnten Benachteiligungen der generellen Entwicklung des Arbeits- und Wohnungsmarktes mit geschuldet sein, also schlicht dem Mangel an Jobs und Wohnmöglichkeiten. Unausgesprochen bleibt die Tatsache, dass es nicht nur Vorurteile und problematisches Verhalten wie Kriminalität gegenüber dunkelhäutigen Menschen gibt, sondern auch manche dunkelhäutige Menschen ein vereinfachtes Weltbild mitbringen, sich illegal verhalten und sich nur schwer integrieren könnten.
Diskriminierung schwer nachzuweisen – defizitäre Datenlage
Dunkelhäutige Menschen sieht das Europa-Parlament gleich als Vielfach-Diskriminierte: Erlebter Rassismus „(überschneidet) sich häufig mit anderen Formen der Diskriminierung und Unterdrückung aufgrund des Geschlechts, der Rasse, der Hautfarbe, der ethnischen oder sozialen Herkunft, genetischer Merkmale, der Sprache, der Religion oder der Weltanschauung, der politischen oder sonstigen Anschauung, der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, des Vermögens, der Geburt, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Orientierung“. Unter Anwendung dieser Kriterien würden allerdings wohl auch beachtliche Teile anderer sozialer Gruppen sich als mehrfach benachteiligt betrachten dürfen.
Dabei dürfte Diskriminierung als „Ungleichbehandlung einer Person [oder Gruppe] aufgrund einer (oder mehrerer) rechtlich geschützter Diskriminierungskategorien ohne einen sachlichen Grund, der die Ungleichbehandlung rechtfertigt“ (Antidiskriminierungsstelle des Bundes) in praxi nicht immer leicht nachzuweisen sein.
Hinzu kommt die defizitäre, lückenhafte statistische Datenlage auf nationaler und erst recht übernationaler Ebene. Vorliegende EU-Bestandsaufnahmen zur alltäglichen Behandlung Schwarzer Menschen durch die übrigen Bevölkerung und den Staat bauen in der Regel auf einer Mischung aus mehr oder weniger verlässlichen, offiziellen und inoffiziellen Statistiken (etwa eigenen Erhebungen von NGOs) sowie einzelnen Fallstudien auf. Der „ENAR Shadow Report 2014–2018“ zum Beispiel zitiert unter anderem das Hate Crime Reporting des ODIHR-Büros unter der Ägide der zwischenstaatlichen Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa/OSCE, das wiederum unterschiedliche Quellen zusammenführt.
„Empfundene“ und „gefühlte“ Zurücksetzungen
Eine Reihe von Bestandsaufnahmen resümieren Befragungsergebnisse etwa zum „empfundenen“ ethnischen Profiling der einer „gefühlten“ Unterprivilegierung, die streng genommen keine „Fakten“ darstellen. Beispielhaft sind hierzu die Befragungsergebnisse von EU-MIDIS II:
- Fast jeder dritte Befragte afrikanischer Abstammung (30 %) hat in den letzten fünf Jahren vor der Erhebung erlebt, was als rassistische Belästigung empfunden wurde.
- In den letzten fünf Jahren erlebten rund 5 Prozent der Befragten, was sie als rassistische Gewalt empfanden (einschließlich Angriffe durch einen Polizeibeamten). Die meisten Opfer (61 %) kennen die Täterinnen oder Täter nicht, machen sie jedoch in der Regel als Personen aus, die keiner Minderheit angehören.
- Jeder vierte Befragte afrikanischer Abstammung (24 %) wurde in den letzten fünf Jahren vor der Erhebung von der Polizei kontrolliert; 11 Prozent wurden in den zwölf Monaten vor der Erhebung kontrolliert. Von denjenigen, die in den zwölf Monaten vor der Erhebung kontrolliert wurden, glauben 44 Prozent, dass die letzte Polizeikontrolle, in die sie gerieten, rassistisch motiviert war.
- Jeder vierte Befragte (25 %) fühlte sich bei der Suche nach einem Arbeitsplatz in den letzten fünf Jahren vor der Erhebung aus rassistischen Gründen diskriminiert.
- Jeder fünfte Befragte afrikanischer Abstammung (21 %) fühlte sich in den letzten fünf Jahren vor der Erhebung beim Zugang zu Wohnraum rassistisch diskriminiert. Mehr als jeder zweite Befragte (55 %) bezieht ein Haushaltseinkommen unter der nationalen Armutsgefährdungsschwelle.
Potenziale der Zuwanderer und Aufnahme-Potenziale der EU-Staaten mit entscheidend
Insgesamt betrachten sich fast 40 Prozent der Befragten afrikanischer Abstammung in einem Fünfjahreszeitraum als rassistisch diskriminiert, vor allem wegen ihrer Hautfarbe. Verständlich, dass diese Werte alarmieren. Dennoch müsste man für eine sachliche Einschätzung wissen, wie oft in einzelnen Zeiträumen welcher konkrete Vorfall erlebt wurde und negative Erfahrungen in Relation zu den Erfahrungen anderer sozialer Vergleichsgruppen setzen – natürlich auch, ob die subjektiven Empfindungen immer deckungsgleich mit objektiven Gegebenheiten sind.
In „Einwanderungsgesellschaften“, wie einzelne EU-Mitgliedstaaten heutzutage eingeschätzt werden, die Monat für Monat oft arme und illegale Zuwanderer ohne höheres Bildungsniveau aus allen möglichen Regionen aufnehmen und sehr viele Minderheiten beherbergen, ist der Anspruch auf (Chancen-)Gleichheit und eine „aktive und sinnvolle soziale, wirtschaftliche, politische und kulturelle Beteiligung“ jeder einzelnen Gender-, sozialen, religiösen, ethnischen Gruppe – so legitim er ist – in praxi eine höchst komplexe Aufgabe.
Und die Realisierbarkeit von Chancengerechtigkeit und Gleichstellung wird mit beeinflusst einerseits von den (Integrations-)Potenzialen, welche die Zuwanderer mitbringen, sowie andererseits von den in den einzelnen Staaten herrschenden sozialen, ökonomischen, kulturellen und politischen Gegebenheiten (Wohnungs-, Arbeitsmarkt, Sozial-, Bildungssysteme). Letztlich spielt bei den von der EU und Fachzirkeln kategorisch verlangten Verbesserungen eine, vielleicht sogar die, entscheidende Rolle, von wie vielen in Europa lebenden und vor allem künftig neu einreisenden Zuwanderern mit welchen Voraussetzungen wir sprechen. Wer den Einwohnern und Regierungen der Aufnahmestaaten strukturellen „Rassismus“ gegenüber Zuwanderern, hier in Europa lebenden Menschen mit dunkler Hautfarbe, vorwirft, unterschätzt leicht real existierende Integrationsprobleme, mit denen gerade die Hauptaufnahmestaaten kämpfen. Es ist ja nicht so, dass diese in puncto Flucht und Migration nichts tun und investieren.