Vorbemerkung der Redaktion: Der Ex-Oberst, Historiker und Informatiker Rolf Bergmeier vertritt andere Sichtweisen auf Religionen, Geschichtsgrößen und kulturelle Zusammenhänge. Dehalb sprach Alexander Wallasch mit ihm.
Herr Bergmeier, am 04. April erscheint Ihr neues Buch „Karl der Große. Die Korrektur eines Mythos“ im Tectum-Verlag. Auch ihre bisherigen Veröffentlichungen nehmen gewichtige bis provokative Korrekturen der europäischen Geschichtslehre vor. Sind Sie auf Mission?
Keineswegs. Ich bin Historiker und spüre als solcher der Vergangenheit nach. Wenn man weiß, dass das katholische Christentum mehr als 1.000 Jahre lang die gesamte Reproduktion von Texten, Büchern, Dokumenten beherrschte, wird man in der Nutzung damaliger Quellen vorsichtiger und fragt sich, ob das in der Geschichtsschreibung vermittelte Bild den Realitäten entspricht und noch stimmig ist.
Bevor wir uns mit Ihrem bisherigen und neuem Werk beschäftigen, gestatten Sie aus gegebenem traurigem Anlass den Blick nach Brüssel. Sie sind ja Militär und Historiker in Personalunion. Deshalb gleich mal ein Fragenkatalog en Bloc:
- Die europäische Politik spricht bezüglich der Attentate von „Krieg“. Handelt es sich tatsächlich in Brüssel, Paris usw. um Kriegshandlungen?
- Wer kämpft da gegen wen, wer hat den Krieg erklärt und wo ließen sich am erfolgversprechendsten Friedensverhandlungen führen?
- Kurz und knapp: Gehören diese Attentate zum Islam?
- Sind sie gar logische Konsequenz eines gelebten Glaubens?
- Als Militär gefragt: Lässt sich dieser Konflikt für Europa überhaupt militärisch gewinnen?
Die Antwort auf letztere Frage zuerst: Nein, natürlich lässt sich ein solcher verdeckter Kampf einer Ideologie nicht militärisch gewinnen. Weder in Brüssel, noch in Syrien, noch in Afghanistan. Die Antworten müssen auf einer anderen Ebene, der kulturellen, historischen und außenpolitischen Ebene gefunden werden.
Die Attentate gehören zum Islam, aber zu einer Variante des Islam, der nicht sein eigentliches Wesen reflektiert. Es bringt auch wenig, anstößige Koran-Stellen zu zitieren, um zu belegen, dass die Attentate doch „islamisch“ seien, denn die Bibel ist ebenfalls kein Buch des Friedens.
Fern aller Religionsbücher bleibt festzuhalten, dass die Einstellung der Fundamentalisten nicht zu verändern sind. Sie müssen mit der ganzen Härte des Gesetzes verfolgt werden, schon alleine um muslimischen Trittbrettfahrern das Leben schwer zu machen.
Wesentlich ist, den islamischen Fundamentalismus von der übergroßen Mehrheit der Gemäßigten zu trennen. Das wissen auch die Politiker, aber operieren mit hilflosen Leerformel „Der Islam gehört zu Deutschland“.
Ihr „Schatten über Europa“ scheint mir streckenweise eine große Schwärmerei für den Islam, dem Sie sogar attestieren wollen, den Sockel der europäischen Geistesgeschichte vor der frühen Barbarei des Christentums für die Nachwelt gerettet zu haben. Ist Europa den Muslimen gegenüber undankbar? Oder ist der Schatten der Gegenwart über Europa viel mehr der Islam selbst?
Ich spreche in meinem Buch über den Islam zwischen 700 und 1400. Nur über diesen. Also nicht über einen „Schatten über dem heutigen Europa“. Dieser ist zweifelsfrei unübersehbar und belastet die Beziehungen zwischen Ost und West.
Als „Schwärmerei“ erscheint das Buch „Schatten über Europa“ nur denjenigen, die sich bisher mit der Materie nicht befasst haben. Das sind die meisten.
Die damaligen Zeitgenossen, christliche wohlgemerkt, haben keinen Zweifel gelassen, dass sie im muslimischen Toledo oder in Cordoba den Schlüssel zur einer neuen Bildung zu finden suchten. Die Sachverhalte sind durch eine Fülle von Quellen belegt und im übrigen in den Bibliotheken der islamwissenschaftlichen Instituten nachlesbar.
Daran anschließend: Was ist passiert mit dem Islam? Wo sind die weisen Islamgelehrten geblieben?
Sie sind im Kreuzfeuer der Fundamentalisten untergegangen.
- Im 12. Jahrhundert, zunächst noch ohne grundlegende Schädigung der Kultur, durch die aus Nordafrika eindringenden muslimischen Fundamentalisten
- und dann im Westen (Spanien etc) durch die christlichen Fundamentalisten, die im Zuge der Reconquista die gesamte jüdische und muslimische Intelligenz vertrieb.
Wie sehen Sie die Zukunft Europas in Bezug auf das Miteinander mit den Muslime?
Die Zukunft wird durch unser Handeln bestimmt. Wir müssen kulturelle und historische Gemeinsamkeiten betonen, um Abwehrhaltungen aufzubrechen. Eine dieser Gemeinsamkeiten ist die Kultur.
Islamwissenschaftler und einige mit der damaligen Kultur vertraute Historiker wissen, dass große Teile der griechisch-römischen Kultur ab dem 12. Jahrhundert im arabischen Gewand von Toledo und Sizilien nach Mitteleuropa strömte und die Renaissance bereicherte. Bis heute finden sich im deutschen Sprachschatz Hunderte von arabischen Lehnwörtern.
Wir müssen endlich diese Gemeinsamkeiten aufdecken und die vertrackte religiöse Diskussion nach hinten verschieben. So erreichen wir den Stolz der Muslime, damit bauen wir Brücken.
Man stelle sich einmal vor, der Außenminister würde in der Kairoer Azhar-Universität über diese damaligen kulturellen und historischen Gemeinsamkeiten sprechen, die Herzen der Muslime würden ihm entgegenfliegen.
Es geht nicht darum, eine untergegangene islam-arabische Kultur zu vergöttern, sondern zu zeigen, dass wir kulturelle Gemeinsamkeiten hatten. Es geht darum, einen Einstieg in einen Dialog zu finden, der allen anderen bisher getätigten Versuchen überlegen ist.
Es geht nicht um einen Kniefall, sondern um historische Tatsachen. Und es geht um Abtragen von Schuld, und damit um Kreuzzüge und Kolonisation.
Ob der Islam zu Deutschland gehört, ist ein Frage späterer Jahre. Jetzt sollten wir bekennen, dass Europas Kultur auch arabische Wurzeln hat, Istanbul einst politischer Mittelpunkt des Imperium Romanum war, die hispanische Halbinsel und Sizilien ohne islamische Kultur nicht denkbar sind und Arabien einst römische Provinz war, die manchen Kaiser stellte.
Wir müssen den Muslimen zeigen, dass sie Epochen hatten, in denen Mitteleuropa mit Neid auf sie schaute und sie dadurch zu animieren suchen, diese Quellen wieder aufleben zu lassen.
Gestatten Sie mir einen Einwand: Wenn Sie zum einen die Muslime bei ihrem Stolz packen wollen, was sinnvoll erscheint, aber zum anderen den ansässigen Christen große Teile der für sich reklamierten Kulturerrungenschaften absprechen, kommen wir da nicht vom Regen in die Traufe?
Lange, vielzu lange haben wir betont, dass unsere Kultur eine christliche sei. Viel zu lange haben wir übersehen, dass Europas Kultur auf einem interkulturellen Mix ruht. Vor allem auf dem griechisch-römischen Fundament, das wiederum Ergebnis ägyptischer und mesopotamischer Vorgängerkulturen ist.
Der Hinweis auf die Verdienste der Griechen, Römer, Juden und Muslime schädigt ja nicht die christliche Ehre. Denn das Christentum ist in seiner ursprünglichen Verfassung Juden,Griechen und Römern gegenüber aufgeschlossen.
Mohammed hat vermutlich nicht die Neugründung einer Religion im Sinne gehabt, wohl aber eine arabisch-arianische Variante. Er sah Christen und Juden als Brüder, wenngleich mit irrigem Glauben.
Wieso kann ein wirklicher Christ sich zurückgesetzt fühlen, wenn er die Verdienste anderer Kulturen achtet? Wieso erlaubt die „Religion der Liebe“ keine Demut?
Was wir brauchen ist ja nicht nur eine Rückbesinnung des Islam auf eine Vergangenheit, die auch durch Toleranz gegenüber Juden und Christen bestimmt war, sondern auch eine Rückbesinnung der heutigen Christen auf einen Gott, der jenseits aller Universen nicht erkennbar ist.
Kommen wir zu Ihrem neusten Werk: „Karl der Große. Die Korrektur eines Mythos“. Sie haben sich da ja für ihr „Bashing“ niemand geringeren ausgewählt als den „Vater Europas“. Für sie ist das Wirken Karls des Großen durchtränkt von einer „totalitären Theologie.“ Darf man das als Historiker überhaupt, die Maßstäbe des 21. Jahrhunderts anwenden auf eine weit über tausend Jahre alte Figur der europäischen Geschichte?
Kein Historiker ist frei von eigenen Anschauungen. Gerade die vor einem Jahr erschienenen Karl-Biografien betonen, dass ihr Karl eigentlich ein Fiktion sei. Ich setze also der Fiktion eine weitere entgegen. In Wahrheit ist es mehr.
Ich analysiere den Wahrheitswert der überlieferten Quellen und stelle Karl in eine Gesamkomposition hinein. Es muss doch einem Historiker auffallen, dass ein Kaiser, der nicht eine öffentliche Schule gegründet, nicht eine öffentliche Bibliothek finanziert hat, der fast 45 Jahre seines Lebens ein von Hungersnöten geplagtes Volk mit Krieg überzieht, der Frauen die Peitsche androht, wenn sie nicht das Vaterunser beherrschen, dass ein solcher Herrscher kaum den Beinamen „Vater Europas“ verdient.
Im übrigen kann man sicherlich nicht alles an der Elle der Gegenwart messen. Wenn aber Grundregeln des menschlichen Zusammenlebens verletzt werden, dann muss der Historiker darauf hinweisen. Das muss nicht in einer Verurteilung münden, wohl aber in Lehren für die Gegenwart.
Wenn Sie es in wenigen Sätzen zusammenfassen müssten, was sollte beim Leser für eine Erkenntnis hängen bleiben nach 320 Seiten Bergmeier?
Es ist ein Appell an die Mediävisten, sich zu besinnen und keine katholische Geschichtsschreibung zu betreiben.