Der Empfang der Rathausjournalisten, die sich in einer Freien Stadt wie Hamburg als Landespressekonferenz (LPK) zusammengeschlossen haben, ist immer eines der wichtigsten gesellschaftlichen Ereignisse des Jahres. Hier, in einem der besten Häuser am Platz, finden – anders als beim ritualisierten Presseball der Möchtegernreichen und -schönen – Journalisten und Politik, Medienmacher und Wirtschaftsspitzen ungezwungen zueinander.
Für den Landesvater und Bürgermeister ist dieser Termin Pflichtprogramm, bei dem er sich vom LPK-Chef ebenso hochnehmen lassen muss wie von einem mittlerweile zum Ritual gehörenden, satirischen Jahresrückblick aus dem Landesstudio des NDR, weshalb er sich zu der Feststellung durchrang, es handele sich um „so etwas wie den Nockherberg des Nordens“. Naja – ganz so bajuwarisch-herb wie an der Isar kommt es im hohen Norden meistens nicht. Da geht es an der Elbe eher hanseatisch-distanziert bis nordisch-trocken zu – vor allem dann, wenn der amtierende Bürgermeister, von Hamburger Journalisten immer noch gern „der Scholzomat“ gerufen, das Wort ergreift.
Wer vergessen wird, ist aus dem Rennen
Insgesamt also eine unterhaltsame, angenehme Veranstaltung, die ein wenig zurückschaut auf das, was ist – und ein wenig vorausblickt auf das, was sein könnte. Bei all dem gilt: Wer in den Reden und Filmen nicht erwähnt wird, der hat schon verloren. Da ist dieses Hamburger Jahrestreffen tatsächlich ein wenig Münchner Nockherberg.
Umso härter muss es daher am Montag dieser Woche CDU, FDP und PdL getroffen haben, die kaum jemand der Erwähnung wert fand. Lediglich im NDR-Film traten einige ihrer Akteure ohne Namens- und Parteinennung gelegentlich kurz auf – nun ja, die Anwesenden erkannten diese Oppositionsvertreter natürlich trotzdem. Einige zumindest. Aber sie blieben im wahrsten Sinne des Wortes Randerscheinungen, was Hamburgs Bürgermeister in seiner kurzen Rede – vielleicht ungewollt – zu dem Nockherbergschen Hinweis veranlasste, dass es nicht darauf ankomme, WIE man bei dieser Veranstaltung erwähnt werde, sondern DASS man überhaupt erwähnt werde.
Die AfD im Mittelpunkt
Keine Randerscheinung hingegen war die AfD. Schon in seiner Eröffnungsrede widmete der LPK-Vorsitzende und NDR-Redakteur Jürgen Heuer dieser jungen Partei derart breiten Raum, dass eine neben mir stehende CDU-Abgeordnete leise stöhnte: „Muss man die denn jetzt immer noch derart hochreden!“
Heuer hängte seine Philippika an jenem Begriff der „Lügenpresse“ auf, der offenbar gerade die öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten ins Mark getroffen zu haben scheint. Statt nun aber in der ihm sonst eigenen, humorvollen Art und Weise die Newcomer auf die Schippe zu nehmen, folgte eine bitterböse, ja auch diffamierende Generalabrechnung. Von „Dumpfbacken“ war nun die Rede, von Menschen, die unfähig zur Politik seien – um nur einige wenige der in Erinnerung gebliebenen Sprachfetzen zu zitieren.
Der anti-rechte Beißreflex
Da war er also wieder, der anti-rechte Beißreflex, der in seiner unreflektierten, unprofessionellen Herangehensweise genau das erreicht, was er zu verhindern sucht. Denn er bedeutet nichts anderes als Wählerbeschimpfung und stellt die Arroganz der „Mächtigen“ zur Schau. Perfektes Futter für all jene, die mit der „Lügenpresse“ die Glaubwürdigkeit der Leitmedien in Abrede stellen wollen.
Fast konnte man als Beobachter den Eindruck bekommen, dass die Medien sich mittlerweile in eine Bunkermentalität zu retten suchen, in der der journalistische Auftrag, sich kritisch-nüchtern mit „den Dumpfbacken“ zu beschäftigen, auf der redaktions-hysterischen Strecke blieb.
Wenn ich dazu noch einmal jene CDU-Abgeordnete zitieren darf: „Wenn die so weitermachen, wird die AfD bald ins Unendliche wachsen.“ Recht hat sie. Auch wenn sie nicht von links kommt.
Von der Hysterie zur Pogromstimmung
Die Hysterie, die aus einer Gruppierung, die laut ZDF-Politbarometer von einer breiten Mehrheit der Befragten als „rechts“ eingestuft wird, eine Gefahr für Deutschland und das christliche Abendland heraufbeschwört, beschränkt sich nicht auf jene professionellen Beobachter des politischen Geschehens.
Als jüngst ein Schreiben auftauchte, in dem jemand in Anlehnung an die linksextremistische „Rote Armee Fraktion“ als „AfD Armee Fraktion“ unter anderem den AfD-Mitbegründer Hans-Olaf Henkel – nun mit Lucke bei ALFA – mit dem Tode bedrohte, entstand in den unsozialen Medien (SM) des Internets fast eine Art Pogromstimmung. Nun zeigten „die Rechten“ ihr wahres Gesicht, war dort zu lesen. Die „Rechten“ seien „mit allen Mitteln“ zu bekämpfen! Alle Mittel? Auch Mord und Totschlag gegen eine Partei, die sich auf demokratischem Wege in die Parlamente hat wählen lassen? Hier wird jenen Wirrköpfen reichlich Futter geliefert, die nicht nur laut „Ostthüringischer Zeitung“ bereits im November 2015 als „RAF 4.0“ die Morde an zehn Richtern, zehn Staatsanwälten, zehn Polizisten und zehn Politikern sowie am Präsidenten des Landgerichts Gera angekündigt haben sollen.
Verurteilung ohne Beweis
Der Hinweis darauf, dass dieses absonderlich-dümmliche Schreiben an Henkel nicht zwangsläufig von einem durchgeknallten AfD-Fan stammen müsse und im Sinne eines agent provocateur auch aus ganz anderen Quellen stammen könne, weshalb man doch bitte vor dem Einstimmen in eine allgemeine Endzeit-Hysterie erst einmal die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft abwarten möge, wird in den SM prompt mit der Frage, ob man denn beweisen könne, dass das Schreiben NICHT von AfD-Anhängern stamme und es deshalb von dort kommen müsse, gekontert. Das ist zwar eine schwer erschließbare (Un)Logik – aber sie macht einmal mehr deutlich, auf welch absurdem Niveau der „Kampf“ gegen diese „neue Rechte“, gegen die „neue NSdAP“ geführt wird. Fakten? Wie überflüssig! Hauptsache, das eigene Weltbild „gegen Rechts“ wird kräftig gefüttert und liefert Futter zur weiteren Eskalation der Eskalation.
Kuschelige alte Herren
Ganz nebenbei: Die beiden älteren Herren von der AfD, die in einem kommunalen Ausschuss ihre Wähler vertreten, sind eher kuschelig. Eine rechtsextremistische Äußerung oder gar einen Hitlergruß habe ich bei ihnen bislang nicht konstatieren müssen. Nette Menschen ohne viel politischem Sachverstand – aber das trifft auf zahlreiche andere Kommunalpolitiker etablierter Parteien nicht minder zu. Denn den politischen Sachverstand – den erarbeiten sich in unserer repräsentativen Demokratie die politisch Aktiven in aller Regel erst durch ihre politische Arbeit. Learning by doing gilt auch für die Vertreter von CDU, SPD, FDP etc.
Eingeräumt: Meine beiden älteren Herren müssen nicht repräsentativ sein. Manches, was derzeit von führenden AfD-Vertretern beispielsweise aus Sachsen-Anhalt zu hören ist, kann einen durchaus die Nackenhaare hochstellen lassen. Es korrespondiert so gar nicht mit dem Auftreten jenes Professors Jörg Meuthen aus Baden-Württemberg, dem jeder sofort einen Gebrauchtwagen abkaufen würde.
Gackern über ungelegte Eier
Auch aus dem künftigen Parteiprogramm der AfD wird im Sinne eines Wikileaks bereits kräftig zitiert und draufgehauen. Unbestritten: Da steht derzeit manches drin, worüber man trefflich streiten kann und was nicht nur der allgegenwärtigen Sozialindustrie nicht gefällt, die sich derzeit bereits voller Zukunftsangst darüber Gedanken macht, wie sie ihre jüngst aufgestockten Personalapparate finanzieren soll, falls Merkels „Flüchtlings-Deal“ tatsächlich greift und die Zuströme legaler und illegaler Zuwanderer zum Erliegen kommen sollten.
Also wird auch hier in den digitalen SM und manchen analogen Medien kräftig draufgehauen. Und dabei gänzlich übersehen, dass es sich bei diesem „Programm“ derzeit um nichts anderes handelt als um einen Entwurf, in den alles aufgenommen wurde, was aus den Niederungen des Parteivolkes angelandet ist. Wohl bemerkt: Ein Entwurf! Kein beschlossenes Programm. Also derzeit nichts anderes als Gackern über ungelegte Eier. Und die mögen in einer Partei, die sich erst in der Selbstfindungsphase befindet, kunterbunt sein – oder weiß (was seinerzeit bei den „Grünen“ nicht anders war). Vielleicht aber auch dunkelbraun oder rot-braun-grün-blau-gelb-grau, wie einst Loriot seine Farbpalette so wunderbar beschrieb. Also: Abwarten ist angesagt – nicht Gackern. Und dann nüchtern auf das Gelege schauen und feststellen, was denn nun tatsächlich für Küken schlüpfen.
Apropos SM – früher war das die Abkürzung von Sado-Maso – und der Blick auf diese Erscheinungen der digitalen Neuzeit kann diese Assoziation durchaus als gerechtfertigt erscheinen lassen.
Linke Nüchternheit gegen die Panik der Mitte
Da lobe ich mir zum Abschluss dieser kleinen Betrachtung doch einen guten Kollegen, der seit vielen Jahren ausgerechnet für die gelegentlich zur Extreme neigenden, linke „taz“ schreibt – und gut schreibt. Nachdem wir uns gemeinsam darüber ausgetauscht hatten, welch erstaunliche Wandlung Stefan Aust genommen hat, der einst als linker Kämpfer startete, in einem Seminar der Hamburger Universität den NDR nebst dem Magazin „Panorama“, für das er damals als Freier arbeitete, der Zensur von Rechts zieh und heute nun als Herausgeber der von Axel Caesar Springer als Bollwerk gegen den Bolschewismus gegründeten „Die Welt“ den linken Konservatismus repräsentiert, kamen wir auf die AfD zu sprechen.
Das sah er dann ganz nüchtern. „Für die jungen Menschen ist Hitler genau so weit weg wie Karl der Große. Das interessiert sie nicht mehr. Dass es in deutschen Parlamenten über Jahrzehnte keine wirklich rechte Partei gab, ist eine in der deutschen Geschichte begründete Eigenart. Was wir heute erleben, ist eine Rückkehr zur Normalität – wir haben eine radikale Linke im Parlament, da ist eine radikale Rechte wie in den anderen europäischen Ländern nichts Ungewöhnliches.“
„Die Verteufelung ist ein Fehler“
Wie recht er hat – vor allem dann, wenn sich beide Extreme dem demokratischen Wettbewerb stellen, vor dem sich die Parteien „der Mitte“ offenbar so heftig fürchten. Womit ich dann wieder bei der CDU-Abgeordneten bin, die ebenso wie ein ehemaliger Innenminister feststellte: „Die Verteufelung der AfD ist ein Fehler.“
Wie recht auch sie haben. Denn Demokratie lebt selbst dann, wenn einem die Ziele der politischen Gegner noch so zuwider sein mögen, von der Debatte. Nicht von der Hysterie. Es wäre kein Schaden, wenn sich diese Erkenntnis des linken „taz“-Mannes nun langsam auch bis in die Reihen unserer mitte-linken Mainstreammedien herumspräche. Da mögen einem AfD-ler noch so zuwider sein und man sich ihnen intellektuell haushoch überlegen fühlen – Hysterie und Diffamierung sind die falschen Ratgeber in der Auseinandersetzung mit Menschen, die vom Bürger als ihre politischen Vertreter gewählt wurden.
Den Adrenalin-Spiegel runterfahren
Im übrigen: Sollte eine zu politischen Extremen neigende Partei tatsächlich Anstalten machen, unsere Verfassungsordnung abschaffen zu wollen, dann wird immer noch das Bundesverfassungsgericht parat stehen, um diese Gruppe aus dem Rennen zu nehmen. Bis dahin gilt: Adrenalin-Spiegel runterfahren und zu den Gepflogenheit der demokratischen Auseinandersetzung zurückkehren. Das gilt insbesondere dann, wenn man sich als Vertreter vom Steuerzahler finanzierter Medien der Aufgabe verpflichtet sieht, sachlich zu berichten. Kritische Beobachtung und deutliche Darlegung des Tatsächlichen – keine Frage. Hysterisches Gegacker und unqualifiziertes Niedermachen der Akteure – nein danke. Damit tun unsere Mainstreamer weder sich selbst noch unserer Gesellschaft einen Gefallen. Ganz im Gegenteil.