Kurz nachdem am Mittwoch der Vorsitzende des Bundestags-Rechtsausschusses – der AfD-Abgeordnete Stephan Brandner – abgewählt wurde, setzte der SPD-Parlamentarier Karl Lauterbach einen Tweet ab:
„Brandner wurde abgewählt mit allen Stimmen gegen die AfD. Die Demokratie hat sich gewehrt. Den Rechtsausschuss kann kein Fremdenfeind und Judenhasser leiten. Auch Fremde und Juden haben die gleichen Rechte wie wir und müssen vom Ausschussvorsitzenden würdevoll behandelt werden.“
Die Kurznachricht stand nicht lange auf seinem Twitter-Profil. Am frühen Mittwochabend löschte Lauterbach sie wieder. „Fremde und Juden“ einerseits, „wir“ andererseits – offenbar war dem SPD-Mann irgendwann aufgefallen – oder andere hatten ihn darauf aufmerksam gemacht – dass sein Kommentar ziemlich dem Tweet glich, wegen dem Brandner erst vor kurzem attackiert und von Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble abgemahnt worden war. Auch den Trigger-Begriff in der Kurznachricht, die Brandner schließlich seinen Posten kostete, kam übrigens in einem anderen Lauterbach-Statement vor, dazu später.
Was war passiert? Bei der ersten Kurznachricht, der Brandner rücktrittsreif machte, handelte es sich um den Kommentar eines anderen Users, den der AfD-Mann unmittelbar nach dem versuchten Attentat auf die Synagoge in Halle weiter twitterte:
Darin hieß es:
„Kapier ich sowieso nicht“, die Opfer des Schützen von Halle seien doch „eine Deutsche“ und „ein Bio-Deutscher“ gewesen. Und weiter: „Warum lungern Politiker mit Kerzen in Moscheen und Synagogen rum?“ Abgesehen davon, dass es nur Synagogen waren: Der Urheber des Tweets meinte also, Deutsche beziehungsweise „Bio-Deutsche“ und Besucher von Synagogen gehörten nicht zur gleichen Kategorie, ein Deutscher könne also kein Jude sein und umgekehrt. Das zählt zu den Grundüberzeugungen von Antisemiten.
Brandner sagte damals im Gespräch mit TE, er habe diese Bedeutung gar nicht gesehen, aber jetzt, da er dafür „sensibilisiert“ sei, würde er einen derartigen Tweet nicht mehr verbreiten. Etwas später – nach einem Gespräch mit Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble und interner Kritik in seiner Fraktion – entschuldigte sich Brandner vor dem Bundestag.
Das, was Lauterbach am Mittwoch twitterte, entspricht exakt dem Argumentationsmuster in dem von Brandner weitergesendeten Tweet. Er bildet zwei Kategorien, einerseits „Fremde und Juden“, , andererseits „wir“. Juden in Deutschland sind für ihn also etwas grundsätzlich anderes, auch wenn er ihnen großzügig „gleiche Rechte“ zugesteht, die sich in Wirklichkeit natürlich von selbst verstehen. Irgendwann, siehe oben, musste Lauterbach an diesem Abend bewusst geworden sein, dass er gewissermaßen ein Brandner II produzierte hatte, er löschte also schnell, entschuldigte sich allerdings nicht.
Zur Abwahl Brandners führte ein zweiter Tweet, in dem er den Sänger Udo Lindenberg beschimpfte: Die Verleihung des Bundesverdienstkreuzes an ihn, so Brandner, sei ein „Judaslohn“. Nun ist der Begriff „Judaslohn“ nicht antisemitisch konnotiert, er steht für bezahlten Verrat und geht auf Judas Ischariot zurück, der Jesus für 30 Silberlinge verriet. Brandners Tweet vertrug sich sehr schlecht mit der Würde eines Rechtsausschussvorsitzenden. Nach dem Halle-Retweet hatte der AfD-Politiker selbst in den eigenen Reihen Rückhalt verloren – auch deshalb, weil Parteifreunden sein wildes Getwittere über alles und jedes generell auf die Nerven ging. Aber wie gesagt: als Beleg für Antisemitismus dient der Begriff „Judaslohn“ nicht. Anderenfalls hätte nämlich die SPD mit Karl Lauterbach gleich das nächste Problem. Denn der Gesundheitspolitiker hatte genau diesen Begriff auch schon verwendet, und zwar 2010 in einem Interview mit dem „Kölner Stadtanzeiger“, als es um Krankenkassen ging:
»Dafür, dass die Arbeitgeber künftig nicht mehr an den Kostensteigerungen im Gesundheitswesen beteiligt werden, zahlen sie nun den Judaslohn, indem sie als Zwangsvollstrecker für Krankenkassen dienen.«
Was Lauterbach nicht daran hinderte, Brandner wegen der Verwendung von „Judaslohn“ in einem Tweet die Eignung zum Rechtsausschussvorsitzenden abzusprechen:
Die Frage ist nun: wie geht die SPD-Fraktion damit um, dass sie für die Abwahl von Brandner stimmte, aber in ihren eigenen Reihen einen nicht ganz unprominenten Politiker hat, der gleich zweimal praktisch das gleiche wie der AfD-Mann twitterte?
Lauterbach selbst lässt bisher nicht erkennen, dass er irgendein Problem bei sich selbst sieht.
Sondern nur bei dem rechten Twitter-Politiker, dem er sehr ähnelt.