Tichys Einblick
SED/PDS/Linkspartei

Nichts darf vergessen werden

Die Linkspartei steht in Verantwortung für die Verbrechen der SED und des Unrechtsstaates DDR. Das muss auch 30 Jahre nach der Friedlichen Revolution in Erinnerung bleiben.

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Am 9. November feiert die Bundesrepublik das 30. Jubiläum des Mauerfalls 1989. Unvergesslich bleiben die damaligen Fernsehbilder: Bilder von Menschenmassen an den Grenzübergängen; Bilder von zurückweichenden Grenzern; Bilder von Freudentränen; Bilder von fallenden Mauerteilen; Bilder von jubelnden und tanzenden Menschen; Bilder von langen Trabbi-Schlangen auf dem Weg nach Westen.

Einen Tag nach dem Mauerfall versuchte Wolf Biermann, seine Gedanken und Gefühle in Worte zu fassen: „Ich habe fünfundzwanzig Jahre gesungen und gesprochen, als die meisten in der DDR schwiegen oder schweigen mussten. Für heute kann endlich mal ich schweigen. Ich muss weinen vor Freude, dass es so schnell und einfach ging, und ich muss weinen vor Zorn, dass es so elend lange dauerte. In vier Tagen soll ich in Ost-Berlin auftreten. Meine Fantasie reicht nicht aus, mir das vorzustellen.“ Gerade für DDR-Bürgerrechtler und Regimegegner wie Biermann ähnelte der Mauerfall einer Art Erlösung.

Aufklärung über die SED-Diktatur bleibt wichtig

Bei aller Freude der meisten Menschen über den Mauerfall bleibt Aufklärung über die SED-Diktatur wichtig. Die SED hat Menschenrechte in der DDR mehr oder minder massenhaft missachtet. 1953 ließ die SED, die als Arbeiterpartei auftrat, auf unschuldige Arbeiter schießen – der erste Volksaufstand im Ostblock. Damals töteten sogenannte „Antifaschisten“ wehrlose Menschen, um die zweite deutsche Diktatur zu sichern. Mit dem Ziel, davon abzulenken, nannte die SED den Aufstand einen „faschistischen Putsch“ aus dem Westen.

Acht Jahre später, 1961, ließ die SED die mörderische Mauer errichten. Viele „Republikflüchtlinge“ ließ sie an der Grenze von hinten erschießen. Im Widerspruch zur SED-Propaganda war die Mauer kein „antifaschistischer Schutzwall“. Denn die Maschinengewehre zielten nach innen auf DDR-Bürger. Bis zu ihrem Ende fungierte die Mauer vielmehr als Schutzwall für die SED und ihre „Diktatur des Proletariats“, die faktisch eine Diktatur des Politbüros über das Proletariat war.

Die Kriminalgeschichte der SED-Diktatur

Weitere sieben Jahre später unterstützte die SED die Niederschlagung des „Prager Frühlings“ 1968. Ihn nannte die SED eine „Konterrevolution“ – unterdessen räsonierte und sinnierte der Schwerintellektuelle Jürgen Habermas im Westen über „Legitimationsprobleme des Spätkapitalismus“. Selbst während der Entspannungszeit ließ die SED unschuldige Menschen zersetzen, quälen, terrorisieren, foltern und ermorden.

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Zu den vielen SED-Opfern gehörte Gisela Mauritz mit ihrem Sohn. Die SED ließ die junge Chemnitzerin 1974 am Grenzübergang Marienborn verhaften, weil sie mit ihrem vierjährigen Sohn die DDR verlassen wollte. Ein Gericht verurteilte sie daraufhin zu viereinhalb Jahren Haft, die sie im Zuchthaus Hoheneck verbüßen musste, einem der grausamsten Gefängnisse der DDR. Während ihrer Haftzeit wurde ihr Sohn von einem linientreuen Ehepaar zwangsadoptiert. Trotz aller Einschüchterungsversuche suchte Gisela Mauritz nach ihrer Entlassung erneut nach ihrem Kind. Deswegen ließ die SED sie zum zweiten Mal verhaften und zu über zwei Jahren Haft verurteilen. Nach ihrer erneuten Entlassung verbot die SED ihr, die Hauptstadt der DDR zu betreten, wo ihr Sohn lebte. Erst fünf Jahre später, 1988, gelang es der Bundesregierung, Gisela Mauritz freizukaufen. Als sie ihren Sohn Anfang 1989 mithilfe des Fernsehmagazins „Report“/München wiederfand, hatte der inzwischen Achtzehnjährige keine Erinnerung mehr an seine Mutter. Mehr noch: Die 15-jährige Trennung hat beide einander stark entfremdet. Was Gisela Mauritz und ihrem Sohn widerfuhr, hieß in der DDR „sozialistische Gesetzlichkeit“.
Jüdische Gemeinden und christliche Kirchen unterdrückt

Bis 1989 unterdrückte die SED sowohl Meinungsfreiheit und Opposition als auch die jüdischen Gemeinden und christlichen Kirchen. Eklatant war gerade auch der geistige Mangel etwa an westlicher Literatur, die es, wenn überhaupt, nur unter der Ladentheke gab. Regimegegner und ihre Kinder durften in vielen Fällen nicht studieren. Missliebige Bürger ließ die SED gegen harte Währung in den Westen ausreisen – ein Gipfel des Materialismus. Um Dissidenten zu diskreditieren, verbreitete die Stasi in manchen Fällen gar das perfide Gerücht, Regimegegner agierten selbst als Spitzel.

Darüber hinaus litt die Mehrheit der DDR-Bürger unter der Knappheit vieler Güter. Die SED sicherte lediglich eine Grundversorgung. Die meisten Leidtragenden der SED-Miss- und Mangelwirtschaft waren Arbeiter. Damit unterminierte die selbst erklärte Arbeiterpartei ihre soziale Rhetorik. Letztlich errichtete die SED in der DDR eine neue Klassengesellschaft, die bei der Zuteilung von Lebenschancen zwischen systemnahen und systemfernen Menschen unterschied.

Über 950 Tote an Mauer und Stacheldraht

Insgesamt verantwortete die SED über 950 Tote an Mauer und Stacheldraht: Erschossene, ertrunkene und zerfetzte Ausreisewillige. Hinzu kommen rund 250 000 politische Gefangene – inklusive Isolationsfolter und weitere Arten von Psychoterror. Umso höher sind Mut und Widerspruch gegen das SED-Regime einzuschätzen, das niemals eine demokratische Republik war. Vielmehr waren die Menschen in der DDR aus SED-Sicht eher Untertanen als Bürger.

Nie haben die Menschen in der DDR die SED gewählt. Vielmehr schützte das MfS – als „Schild und Schwert der Partei“ – die SED-Diktatur mit mörderischen Methoden. Lediglich Mauer und Stacheldraht samt Schießbefehl verhinderten einen weiteren Anstieg der Abwanderung. Über die Mauer hatte John F. Kennedy bereits 1961 bemerkt: „Die Demokratie ist nicht perfekt. Aber wir hatten es nie nötig, eine Mauer zu bauen, um die Menschen an der Abwanderung zu hindern und bei uns zu halten.“

Partei setzt auf Sündenbock-Strategie

Um nach dem Sturz ihres Unrechtsregimes zu überleben und von ihrer Verantwortung für viele Verbrechen abzulenken, brauchte die SED nach dem Mauerfall aus ihrer Sicht „Sündenböcke“. So beschloss die alt-neue Parteiführung Ende 1989 im kleinen Kreis, das MfS öffentlich als Hauptschuldigen für Verbrechen des Regimes zu präsentieren, um die SED reinzuwaschen. Umso wichtiger ist es heute, darauf hinzuweisen, wer als Auftraggeber des MfS fungierte: die SED. Denn das MfS agierte in der SED-Diktatur nicht wie ein Staat im Staate, sondern operierte als ein Hauptherrschaftsinstrument und als Handlanger der SED. Genau das wollen Schönredner der SED-Diktatur heute vernebeln – immer wieder mit Erfolg, wie Umfragen zeigen.

Trotz aller Verbrechen weigern sich SED-Erben und andere Schönredner des SED-Regimes bis heute, die zweite deutsche Diktatur einen Unrechtsstaat zu nennen, unter dem die große Mehrheit der DDR-Normalbürger litt, die nicht SED-Mitglied war. Deshalb befand eine Resolution des Deutschen Bundestages 1994, die das Parlament gegen die Stimmen der Neo-SED beschloss: „Die politisch-moralische Verurteilung der SED-Diktatur bedeutet keine Verurteilung der ihr unterworfenen Menschen, im Gegenteil. Die Deutschen in der SBZ/DDR trugen den schwereren Teil der deutschen Nachkriegsgeschichte.“

Nicht nur an Jahrestagen bleibt Aufklärung über das SED-Regime auch deshalb wichtig, weil mittlerweile auch viele Teile des Rechtsextremismus die SED-Diktatur im Vergleich zur Bundesrepublik als das deutschere Deutschland loben, unter anderem wegen der Juden-, Christen-, Israel- und USA-Feindlichkeit des Honecker-Regimes und der geringen Migranten- und Judenquote im SED-Staat.


Harald Bergsdorf ist Politikwissenschaftler und Verfasser mehrerer Untersuchungen zur Linkspartei und zum Linksextremismus insgesamt – dieser Beitrag ist zuerst bei Die Tagespost erschienen. 

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