Tichys Einblick
Gödel, Escher, Bach trifft Goppel, Reschke, Beck: Politik als endlose Schleife

Das System hat ein Problem, und das Problem ist das System

Erfahren Sie, was Peter Altmaier und Cicero mit dem Ballermann zu tun haben. So eigenartig war Tichys Einblick noch nie!

Wenn Sie es schaffen, den heutigen Gedanken unseres Sonntagskolumnisten Ludger K. bis zum Schluss zu folgen, wird das Ende ein neuer Anfang sein.

Anders: Wer liest, dem werden die Augen geöffnet, und diese kann er dann zum Lesen benutzen. Noch immer skeptisch? Ok, versuchen wir’s damit: Erfahren Sie, was Peter Altmaier und Cicero mit dem Ballermann zu tun haben. So eigenartig war Tichys Einblick noch nie!

Seit gestern (19.3.) gibt es im offiziellen Handel einen modernen Klassiker wieder als Taschenbuch zu kaufen: Gödel, Escher, Bach (kurz: GEB) heißt die Schwarte, die es zu Beginn der 80er an die Spitze nicht nur der hiesigen Bestsellerlisten schaffte und einen bis dahin auf dem Buchmarkt völlig unbescholtenen US-Physiker namens Douglas Hofstadter zum Pulitzer-Preisträger werden ließ.

Seltsame Schleifen

Wie kam es, dass ein über 800 Seiten schweres Sachbuch, welches sich einzeln betrachtet eher drögen Themen verschrieben hatte, zum großen Wurf wurde, der fachübergreifend eine ganze Generation faszinierte und beflügelte? Es waren die Verbindungen, die der Autor knüpfte und die Schlussfolgerungen, die er zog: Hofstadter (wenn ich mir die folgende grobe Zusammenfassung anmaßen darf) legte Gemeinsamkeiten dar in den Ausführungen des Mathematikers Kurt Gödel mit dem zeichnerischen Werk M.C. Eschers und dem genialen musikalischen Schaffen des Johann Sebastian Bach.

Hofstadter leistete spielerisch Bahnbrechendes gleichermaßen für Informatik und Philosophie, indem er als Grundgedanken der von ihm gewählten Protagonisten endlose „seltsame“ Schleifen ausmachte und diese zu einem interdisziplinären Leitmotiv der Forschung erhob. Endlose Schleifen (auch als Selbstreferenzialität bezeichnet) seien Kennzeichen und Voraussetzung jeder Form des Ich-Bewusstseins und damit jeder Form von Leben, sie seien sogar als Existenzgarant in der Molekularbiologie erkennbar und maßgeblicher Faktor in der nach eigenständigem Vorgehen strebenden Computertechnologie.

Was sind solche endlosen Schleifen, und warum zum Donnerwetter sollten wir uns heute damit beschäftigen? Weil die politischen Ereignisse uns eine beinahe blendende wechselseitige Erleuchtung bescheren – auch dank Frank Plasberg und Hart aber fair …

„Ich weiß, dass ich nichts weiß“ – kaum ein Satz vermag das Prinzip der endlosen Schleife auf sprachlichem Terrain derart klar werden zu lassen, wie dieser meist Cicero zugesprochene antike Ausspruch. Der Satz „Dies ist kein Satz“ ist auch so ein Ding. Sie alle kennen die Kreis-Treppe, die immer bergauf (bzw. bergab) zu gehen scheint? Die Karikatur stammt von Escher und visualisiert eine endlose Schleife in ähnlicher Weise wie sein sich selbst verursachender Wasserfall oder die berühmten (sich gegenseitig) zeichnenden Hände. Wer im Juni auf dem Leipziger Bachfest weilt, dem sollte es leicht gelingen, das kanonartige, übereinander geschichtete, die Unendlichkeit suchende, aber niemals Findende in Kompositionen des Meisters herauszuhören – auch das gehorcht laut Hofstadter dem Prinzip der endlosen Schleife.

Programmiersprachen bekommen nur die wenigsten von uns zu Gesicht, doch es braucht nicht viel Phantasie, in den typischen Abfragefolgen a la Wenn/dann-goto:xy=>zurück-auf-1 ebenfalls besagte endlose Schleifen zu sehen. Auch Kindergesänge wie „Bruder Jakob“ oder „Ein Loch ist im Eimer“ sind endlose Schleifen und können als solche ganze Horden von Erstklässlern von sonstigen Begehrlichkeiten ablenken, während Lehrer Lämpel den Zeigefinger als Taktstock
schwingt. Und wenn im Bierkönig auf Mallorca die Sängerknaben eines feuchtfröhlichen Junggesellenabschieds ihre Ode an das sich im Kampf mit einer Fliege befindliche Hottepferd immer aufs Neue anstimmen, so hat es ein Hauch Gödel, Escher, Bach sogar bis zum Ballermann geschafft. Das soll uns als Basis reichen, nun zum Hier und Jetzt:

Liebe Lesenden, ich habe in der Politik mit Schrecken das Prinzip der endlosen Schleife entdeckt und damit ebenso die Tatsache, dass vieles, was wir für unendlich wichtig halten, zwar endlos ist, aber nicht unendlich und schon gar nicht wichtig, sondern lediglich eine ständig um sich selbst drehende Unkultur, welche die daraus entstehende Energie nutzt, um sich weiter um sich selbst drehen zu können. Sind Sie noch dran? Danke! Nachfolgend ein paar Beispiele, und ich verspreche Ihnen: am Ende ist’s lustig, ich bin schließlich Kabarettist!

Beispiel 1: Lohn-Preis-Spirale (je nach Gesinnung auch Preis-Lohn-Spirale genannt)

Paff! Nur zur Sicherheit: Dieser Effekt ist unbestritten und steht ganz vorn in jedem VWL-Lehrbuch. Wir sollten uns klar machen, wie dominant diese endlose Schleife in unserem wirtschaftspolitischen Dasein ist und wie viele Dienstwagen nur ihretwegen rollen dürfen, denn so wird uns die Unsinnigkeit bewusst in den unentwegten, teils erbitterten Grabenkämpfen der politischen Gegner. Leutnant Henkel und Oberfeld Bsirske, euer Krieg wird nie zu Ende gehen! (Falls jemandem der Zinseszinseffekt als begleitendes Übel einfällt: Ja, hat auch Einfluss auf die Lohn-Preis-Spirale und ist schon für sich genommen eine endlose Schleife. Dieser Seitenhieb muss hier reichen, der Rest ist schlimm genug.)

Beispiel 2: Flüchtlingskrise

Zurzeit wird gern auf das Grundrecht auf Asyl verwiesen, jedoch ebenso darauf, dass die Politik Unberechtigten ein solches nicht gewähren kann und bei Zuwiderhandlung Folgen folgen lassen wird. Wenn wir das hofstadteresk zusammenfassen, klingt das so:

Hätte Douglas Hofstadter seinerzeit Peter Ramsauer und Thomas Goppel gekannt, vielleicht hätte er die beiden als Figuren seiner Auftaktanekdötchen genutzt statt der von ihm gewählten Achilles und Theo Schildkröte.

Beispiel 3: „Lügenpresse“

Wenn ein Journalist – nehmen wir exemplarisch die beste Journalistin aller Zeiten Anja Reschke – behauptet, der Vorwurf „Lügenpresse“ sei eine Lüge, so wird das in den Augen derjenigen zu nichts führen, die Frau Reschke als Vertreterin jener „Lügenpresse“ wahrnehmen. Wir sind nah dran am Satz „Alle Orakel lügen“ von seiten eines Orakels. Es gibt ständig Abriebe, mit welchen alle Seiten ihre Energie verschwenden, die dann fehlt, um die weiteren Umstände ausmachen zu können.

Beispiel 4: Griechenlandhilfe & Co.

Falls Sie das jetzt für komplett irre halten: diese Endlosschleife ist nichts anderes, als die auf den Punkt gebrachte Doktrin der Bailoutbefürworter!

Beispiel 5: Sozialarbeit

Ganze Industriezweige verdanken einer Endlosschleife im Sozialwesen ihre Existenz. Wie sollte es auch anders gehen? Ein Sozialarbeiter wird beauftragt, weil es soziale Probleme gibt, und sein Job besteht darin, diesen sozialen Problemen entgegenzuwirken. Indes: Tut er dies konsequent, vernichtet er sich selbst, und sogar wenn es gelänge, einen unliebsamen Status Quo wenigstens zu halten, würde ihm dies als Misserfolg ausgelegt werden. Also wird am Ende seiner Arbeit immer die Erkenntnis stehen, dass alles noch viel schlimmer ist als angenommen. Und dann bleibt nur eine Konsequenz: Wir brauchen mehr Sozialarbeiter!

Es ist verführerisch, an dieser Stelle (vor allem mit Verweis auf Beispiel 4 und 5) zu denken: „Hey, es klappt doch auch! Die Sache läuft! Dann ist doch alles super!“ Genau so könnten wir beim Blick auf die Zeichnungen Eschers sagen: „Hey, die Treppe geht doch wirklich immer nach oben!“ Nein, geht sie NICHT! Und auch die Kindergruppe hört irgendwann auf, ihren Hit „Ein Loch ist im Eimer“ zu singen: einer euphorischen Phase des Anstiegs folgt eine Phase der Ernüchterung, in der die Erkenntnis reift, dass der endlose Gesang nicht unendlich weitergehen wird. Dem folgt eine Phase des neuerlichen Aufbegehrens. Und irgendwann ist dann einfach Schluss. Wann? Irgendwann halt. Es gibt kein Perpetuum Mobile!

Irgendwann ist Schluss mit jeder Schleife …

Jede Sinfonie, jedes Programm, jedes Hottepferd am Ballermann hat sich einmal zu Ende gelaufen. Welches gesamtgesellschaftliche Ereignis entspricht dem Rest-Button, dem Niederlegen des Taktstocks, um ihn wieder erheben zu können, dem Augenschließen, das gleichsam Augenaufschlag ist, und was geschieht dann? Lassen Sie mich mit Paul Gascoigne antworten: „Ich mache nie Voraussagen und werde das auch niemals tun.“ Bleiben wir also in der Gegenwart – und gönnen wir uns dabei ein Amüsieren durch Fokussieren: Volker Beck hat sein Handeln entgegen geltender Drogengesetze als erstes dadurch zu legitimieren versucht, dass er ja immer schon gegen die geltenden Drogengesetze gewesen war. Verrückt! Ohnehin darf als wahres Schlaraffenland der endlosen Schleifen das Talkshowunwesen in Deutschland gesehen werden. Schauen Sie sich die Themen an, hören Sie die Sprechenden: Wer kann dem andauernden teils überlappenden Palavern (… lassen Sie mich ausreden, ich hab‘ Sie auch ausreden lassen …) nicht ein gewisses Bruder-Jakob-Gefühl abgewinnen? Die letzte Ausgabe der Sendung Hart aber fair mit Frank Plasberg ließ dahingehend ein paar zusätzliche Glanzlichter aufblitzen. Haben sie noch Spin für eine Runde? Es lohnt sich!

Die Autorin Juli Zeh wirft Peter Altmaier bei Hart aber fair Arroganz vor, weil dieser soeben in der Sendung gesagt habe, jeder könne im Internet bestimmte Sachverhalte leicht nachprüfen. Altmaier bestreitet diesen Sachverhalt, woraufhin Juli Zeh sagt, das könne ja jeder im Internet leicht nachprüfen. Dass Altmaier seiner Kontrahentin gegenüber nun keinen Arroganzvorwurfkonter folgen lässt, um damit eine Doppelschleife einzufädeln, läßt (neben seiner Physiognomie) darauf schließen, dass er sich in seiner Freizeit nicht Gödel Escher Bach einverleibt, sondern lieber Lakritzschnecken. Weiter:

Thomas Oppermann (SPD) empfiehlt Jörg Meuthen (AfD), sich dringend mit dem Prozedere eines Parteirauswurfs bestimmter Leute zu beschäftigen. Meuthen entgegnet, da müsse die SPD erstmal vorlegen, bei Sarrazin hätte sie’s machen können. Oppermann sagt, das habe man bei der SPD versucht und empfiehlt Meuthen, sich erstmal mit dem Prozedere eines Parteirauswurfs bestimmter Leute zu beschäftigen. Weiter?

Vieles unser Leben Prägende entpuppt sich schnell als endlose (mal mehr mal weniger bewegende) Schleife: der Minirock, auf den der lange Rock folgt, der wiederum vom Minirock abgelöst wird. Das „Man müsste nochmal 20 sein und so verliebt wie damals“, das der Scheidende an den Jüngling richtet, auf dass auch der es singen wird, wenn das entsprechende Alter erreicht ist. Tja, nun bin ich der Großvater! Hat nicht Oswald Spengler schon die endlosen Schleifen bemüht, als er seinen Untergang als Vollendung rehabilitierte, die dem Ursprung als Voraussetzung dient? Die Schleife hat System, die Schleife ist System – das weiß auch das System: In seiner „Fibel der Demokratie“ hat Joachim Fernau 1953 die junge Republik auf die paradoxe Selbstreferenzialität des Grundgesetzes hingewiesen:

„Angenommen im Jahre 1949 sei ein ganzes Volk geschlossen für die demokratische Staatsform gewesen, – wer will behaupten, daß dieses Volk 20 Jahre später nicht die absolutistische Monarchie wünschen kann? Diesen neuen Willen könnte das Volk laut Grundgesetz (…) aber niemals zur Geltung bringen. Ja, schon die ersten Versuche, die darauf abzielten, sich zu diesem Zweck zusammenzuschließen, wären verfassungswidrig und müssten bestraft werden, sogar wenn die Richter selbst anders dächten. (…) Praktisch bedeutet das die grundsätzliche Ausschließung aller Andersdenkenden, gleichgültig, ob sie eine große oder kleine Gemeinde bilden, ob sie die alte Generation oder eine ganz neue Generation, ob sie friedlich idealistisch oder umstürzlerisch-gewalttätig sind. Die Unterdrückung einer Meinung oder Willenskundgebung ist aber gänzlich undemokratisch.“ (Seite 51) Der letzte Wahlsonntag hat gezeigt: Das System hat ein Problem, das durch das System ermöglicht wurde. Also wehrt sich das System – wir erleben es jeden Tag.

… aber es gibt auch immer neue Schleifen

Ihr seid ja immer noch da! Wie lustig! Was treiben Sie so im Leben? Klettern Sie auf der Karriereleiter oder rennen Sie in einem Hamsterrad? Wer vermag das selbst zu erkennen? Die Räder müssen laufen, damit wir zur Ruhe kommen können. Nachdem ich vor zwei Wochen für einen völlig harmlosen, kleinen Beitrag zum Thema „Toilette“ so viele Digitalwatschen wie noch nie einstecken musste, ist es heute (auch) mein Anliegen, mich intellektuell zu rehabilitieren, um bald wieder so einen tollen Toilettenbeitrag schreiben zu können. (Dass Toilettenpapier mal als Endlosrolle bezeichnet wurde, nehme ich an dieser Stelle gern mit.)

Meiner GEB-Wiederentdeckung und dem Abgleich mit dem jüngsten Politgeschehen verdanke ich einen Schreibwasserfall im ICE nach Pforzheim. Morgen fahre ich zurück. Habe ich Sie gelangweilt? Perfekt, denn mein Ziel ist, Gelangweilte zu Interessierten zu machen, und dazu muss ich Interessierte auch langweilen zuweilen. Verstehen wir einander noch? Als mein Vater mir nach einer USA-Reise Gödel, Escher, Bach zum ersten Mal nahe brachte, war ich knapp 10 Jahre alt – das darf ich heute wohl als bestenfalls ambitioniert bezeichnen, war ich doch mit Michael-Jackson-Musik und dem ZDF-Kinderprogramm komplett ausgelastet. Und das ist ja nun wirklich was völlig Anderes, oder? What’s up, man in the mirror?

Zwar habe ich später Hofstadters blumige Sprache beim Umschreiben der Hecken stets zu würdigen gewusst (zumindest eines Blickes), doch ein zielsicherer Gang durch das von ihnen gebildete Labyrinth war mir nicht beschieden. Was soll’s. Ich bekenne mich, der großen Gruppe anzugehören, die GEB zwar kennen und partiell erfasst haben (ich schreibe „partiell“ statt „teilweise“, weil’s einfach schlauer klingt), doch in einem Rutsch durchgelesen habe ich das üppige Come-in-and-find-out des großen Douglas nie. Bis heute. Eschers Zeichnungen haben sich fest in mein Gedächtnis gebrannt, ein Bild sagt eben mehr als 1.000 Worte, auch wenn diese ein Bild beschreiben.

Lieber Papa, du musst nicht nochmal 40 sein und so verzweifelt wie damals, ich bin verzweifelter als du es je warst! Ich vermisse dich, denn du bist dann mal weg, und das ist gut, sonst könnt‘ ich dich ja nicht vermissen. „Gesi Rickert, ich wette mit dir um ein Eis, dass ich wieder lachen kann.“ – „Wetten nich‘?“ Hofstadter sagt … Tja, was sagt er? Falls Sie sich nun dieselbe Frage auf meine Person und diese Kolumne bezogen stellen, so empfehle ich: Gehen Sie einfach wieder rauf nach oben, scrollen Sie zurück und beginnen Sie von vorn nach dem Motto „Alles auf Anfang“! Was gibt es nochmal seit gestern?

 

Mehr zu Ludger unter www.ludger-k.de

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