Das Wort der Woche: voranscheitern. Der JU-Vorsitzende Tilman Kuban hat es im Heutejournal ausgesprochen, kaum bemerkt, als wär´s ein Versprecher. War es aber nicht. Wie schön, wenn es in der CDU wenigstens noch einen Nachwuchspolitiker gibt, der der Sprache mächtig ist und davon Gebrauch macht. Viele sind es nicht, wie die Debatte seit dem Wahldesaster von Thüringen beweist.
I.
Die CDU schreitet nicht, sie scheitert voran. Besser lässt sich der Zustand der CDU nicht ausdrücken. Wer nicht weiß, wohin er schreitet oder schreiten soll, erreicht sein Ziel nicht. Welches Ziel überhaupt? Voranschreiten hieße, sich aus bestehenden Verhältnissen zu befreien, Handlungsmöglichkeiten zu öffnen, einen unbefriedigenden Zustand zu überwinden. Das dazugehörige Hauptwort wäre Fortschritt. Aber die Politik kommt aus Berlin. Das ist die Stadt, wo nicht einmal Bauarbeiten voranschreiten, dort scheitern sie voran. Es ist in der Politik durchaus möglich, beim Voranschreiten zu scheitern. Die Frage, wer voran schreitet, ist ebenso wichtig wie die Frage, weshalb er scheitert, respektive wohin. Es wird jetzt aber so getan, als könnten Programmfragen von Personalfragen getrennt werden. Unsinn. Spahn irrt, wenn er jetzt gegen den Rivalen Merz formuliert: Gute Sachdebatten immunisierten gegen schlechte Personaldebatten.
II.
Die Debatte dieser Woche, vor allem auch in den Talkshows dieser Woche, hat sehr schnell den Schuldigen ausgemacht: Friedrich Merz. Statt die wahren Ursachen des Niedergangs der CDU zu suchen, fallen die Kritiker über den und die wenigen anderen Kritiker her, unterstellen Rachsucht und andere unlautere Motive. Quod erat demonstrandum: Von der Merkelschen Diskursverweigerung zur allgemeinen Diskurszerstörung führt der Weg, auf dem die CDU voranscheitert. Inzwischen wird die Kritikwürdige (bei Illner) von der taz-Redakteurin bis zum ehemaligen CDU-Ministerpräsidenten unisono verteidigt und Merz verurteilt. Am Ende steht gar der Vorwurf (etwa des Politologen von Lucke), wer Merkel in Frage stelle, betreibe das Geschäft der AfD. Zwar ist es genau umgekehrt, es ist die ununterscheidbare Merkelpolitik, die Wähler zur AfD treibt, aber so weit reicht die Einsichtsfähigkeit des Juste Milieus nicht. Schön für AM. Sie kann bedenkenlos weiter schweigen. Muss sich der Kritik nicht einmal stellen.
III.
Zu den bestürzendsten Argumenten zählt die Behauptung, Merkel habe vier Wahlen erfolgreich bestritten. 2005 verlor die Union mit ihrer Spitzenkandidatin 3,3 Prozent und fiel auf 35,2 Prozent. Ihren Aufstieg zur Kanzlerin verdankt sie vor allem dem ungehobelten Auftritt des damaligen Kanzlers Schröder im Fernsehstudio am Wahlabend, der unerwartet gut abgeschnitten hatte und Merkels Ambitionen offen verhöhnte. Jetzt schlossen sich die Reihen hinter ihr, statt sie für das schwache Abschneiden verantwortlich zu machen. Bei der nächsten Wahl 2009 zählte Merkel erneut zu den Verlierern. Ihre Große Koalition büßte 12,6 Prozentpunkte ein, das meiste davon ging zwar auf das Konto der SPD, aber auch für die Union waren 33,8 Prozent das bisher schwächste Ergebnis in der Geschichte. Merkels dritte Wahl war ihr einziger Sieg. Sie steigerte das Ergebnis auf 41,5 Prozent, ehe sie das mühsam Erreichte mühelos – wir schaffen das – wieder abräumte. Sie verlor 2017 8,6 Prozentpunkte, landete bei 32,9, erneut einem historischen Tief der Union, und öffnete die rechte Flanke des Parteienspektrums. Die AfD wurde drittstärkste Kraft. Dennoch konnte sich AM in eine vierte Amtszeit retten, woran die Unionsparteien bis heute leiden. Merkel-Adept Daniel Günther aber quatscht von vier Wahlsiegen. Wie verträgt sich dieser Gedächtnisschwund mit seinem Anfall von Altersrassismus, der Kritik an AM als schlechte Laune alter Männer abtut?
IV.
Das Adjektiv grottenschlecht (Merz) kommt übrigens nicht von der feuchten Finsternis in Grotten, sondern von Kröten. Es ist grottenschlecht, wenn eine Partei seit Jahren Kröten schlucken muss. Inzwischen hat sich die CDU so sehr ans Krötenragout gewöhnt, dass sie gar keine andere Nahrung mehr zu sich nehmen will.
V.
Vorzuwerfen ist den alten Männern im Gefolge der stark voran scheiternden Damen AM und AKK eigentlich nur eins: Dass sie so lange gewartet haben. Und jetzt immer noch darüber streiten, wann es der richtige Zeitpunkt wäre, sich so vorsichtig wie gesittet aufzulehnen gegen die Herrschaft des fortschreitenden Dilettantismus.
VI.
Söder als Hoffnungsträger? Elmar Brok schlägt ihn vor und vergleicht dessen denkbare Kandidatur mit der von Strauß und Stoiber. Doch der Vergleich ist falsch. Beide CSU-Chefs durften nur ran, weil sie keine Chance hatten. Strauß nicht gegen Schmidt, Stoiber nicht gegen Schröder. Ihr Scheitern machte jeweils den Weg frei für Kohl wie für Merkel in den Wahlen danach. Heute wäre Söders Wahl zum Kanzlerkandidaten der Union vermutlich gleichbedeutend mit dem Sprung ins Kanzleramt. Würde die CDU das wirklich akzeptieren? Ist die Not schon so groß? Wie auch immer, es führt kein Voranscheitern daran vorbei, dass zuerst die gegenwärtige Koalition beendet werden müsste. Je früher, desto besser für Merkels Nachfolger.
VII.
Schreiten ist übrigens ein starkes Verb, scheitern dagegen ein schwaches. Unsere Grammatik besitzt mehr versteckten Humor als alle, die nun Disziplin, Geschlossenheit, Respekt vor AKK und Ehrfurcht vor AM einfordern.