Bumm-bumm, bumm-bumm, bumm-bumm, bumm-bumm. Hören Sie es? Nein. Dann sage ich Ihnen den Liedtitel dazu, dann hören Sie es: »In the Air Tonight« von Phil Collins. Der berühmte Drum-Fill-In setzt erst spät im Lied ein (siehe etwa 3:28 beim 2016-Auftritt in der Tonight Show) und es sind noch tiefere Noten drin (siehe Transkription bei drumschoolcleuver.nl), doch die Serie der Doppelschläge, einmal von links nach rechts übers Drumset, haben das Lied »In the Air Tonight« berühmt gemacht, und sie passten gut zu den düsteren Andeutungen im Text.
Das Lied hat viel Refrain, sehr viel, doch es sind auch einige harte Zeilen drin:
Well if you told me you were drowning, I would not lend a hand
I’ve seen your face before my friend, but I don’t know if you know who I am
(In the Air Tonight, siehe genius.com)
Übertragung: Nun, wenn du mir sagen würdest, dass du ertrinkst, ich würde dir keine Hand leihen. Ich habe dein Gesicht schon zuvor gesehen, aber ich glaube nicht, dass du weißt, wer ich bin.
Der Text des Liedes ist in freier Improvisation entstanden. Phil Collins befand sich im Rosenkrieg mit seiner damaligen Gattin. Die Zeilen sind, wie der Song, schlicht und ergeben keine einheitliche Erzählung. Es sind einzelne Äußerungen von Schmerz – bis es dann im Drum-Fill-In aus dem Trommelnden herausbricht – wenn man ein Konzert besucht oder die Lautsprecher aufdreht, bricht es auch wie eine Serie von Donnerschlägen über den Hörer herein. Ein Popsong, ein Klassiker – und was für eine Katharsis!
Dem Größenwahn, der Autokratie
Ach wäre das Leben doch wie ein Popsong! Ein reinigendes Donnerwetter, eine eingängige Melodie, und schon ist alles besser – aber nein, das Leben ist kein Popsong und Zuckerschlecken macht Diabetes. Ponyhof ist abgebrannt, ich glaub das war ein Antifant.
Manche Meldung fühlt sich heute an, als müsste das Bumm-bumm, bumm-bumm des Phil-Collins-Songs erklingen. In einer normalen Welt müsste ein Donnerwetter losbrechen, das alle aufschreckt, damit sie zur Besinnung kommen.
Man muss sie nicht nacherzählen, die Schlagzeilen genügen: »Nigerianer sticht auf Polizisten ein – Messer-Angreifer seit mehr als einem Jahr nicht abgeschoben« (bild.de, 29.10.2019), »Krawallflüchtling aus Sachsen – Wieder nur Bewährung für „King Abode“« (bild.de, 28.10.2019). »Von Einbrecher vergewaltigt – Rentnerin (80) schildert Martyrium« (bild.de, 28.10.2019). Nein, wir hören kein Trommeln, keinen Donner, niemand schlägt aufs große Drumset. Nein, im TV-Funk, da läuft es nicht, der Kommissar hat auch schon bald keinen Bock mehr – uups, das war ein anderer Song.
Ein anderes Bumm-bumm, ein laut hallendes, das hörten wir heute aus den vielen Vorzimmern der Zerstörerin. (Worte fehlen, die Widerlichkeit ihrer Schemelhalter zu beschreiben.)
Ein Herr Merz nutzte die Thüringer Wahl, um die Kanzlerin anzugreifen – es ist ein gewaltiges Bumm-bumm, und es hallte laut.
»Friedrich Merz bläst zum Angriff auf Merkel und AKK« lesen wir etwa bei welt.de, 30.10.2019 – gut, dass er die Kanzlerin nicht »jagen« will, das gäbe wieder Aufregung bei Journalisten mit der berufsüblichen Metaphernschwäche! Merkels inoffizielle publizistische Leibgarde in Deutschlands Redaktionen ging sofort in den Gegenangriff über. »Ein niederträchtiger Angriff« heißt es bei tagesschau.de, 29.10.2019.
Im selben Text liest man: »Dieses Land hat wirkliche Probleme: den Rechtsextremismus und den Klimawandel, um nur zwei zu nennen«. Man schüttelt den Kopf – ja, lieber Staatsfunk, das sind die zwei Probleme, die normale Menschen beschäftigen. Wir alle kennen diese Angst, abends durch den Park zu gehen oder mit der U-Bahn zu fahren, weil ein Rechtsextremist uns mit CO2 vergiftet. Leben Staatsfunker wirklich in einer derart weltfremden Parallelrealität oder ist es alles nur teures Theater, das sie selbst nicht glauben?
Herr Kazim vom Relotiusmagazin gibt einen Einblick in die dortige Denkrichtung: »Es geht ja heutzutage nicht um Verteidigung der Kanzlerin, sondern um Verteidigung von Anstand, Moral, Respekt, Fakten, Wissenschaft und Logik vor der Idiotie, der Menschenverachtung, dem Hang zu Lügen, dem Größenwahn, der Autokratie.« (@HasnainKazim, 29.10.2019/ archiviert)
Wie wirksam Merzens Oktober-Angriff sein wird, sei dahingestellt. Man könnte den Kritikern seiner Kritik zumindest darin beipflichten, dass es vielleicht klug, aber etwas feige ist, Merkel in Momenten derer Schwäche anzugreifen – die AfD begann ihren politischen Angriff auf die Kanzlerin, als sie als stark und unbesiegbar galt, als inoffizielle Herrscherin Europas und Königin der Herzen Afrikas sowieso. Aber gut, nun greift Merz nochmal an, und er nimmt AKK eine Zeit lang ein wenig aus dem Feuer heraus – sie kann ihm noch nützlich sein. Beim letzten Parteitag hielt er gerade dann, als es darauf ankam, eine bemerkenswert schwache Rede (ich empfehle mehr Talking Points). Was hat man von einem satten Multimillionär zu halten, der nur dann angreift, wenn der politische Gegner ohnehin schwach ist und im entscheidenden Moment versagt?
Wut und Trommeln
»In the Air Tonight« ist ein sehr erfolgreiches Lied, aber kein vollkommenes. Es baut minutenlang auf die berühmten kathartischen Trommeln hin auf, und dann kommt es, und dann ist es großartig – aber aufgelöst wird nichts – es ergibt nicht einmal durchgehend Sinn. »In the Air Tonight« ist das perfekte Lied für heute – wir können es wieder und wieder hören, und jedes Mal tun die donnernden Trommeln nach dreieinhalb Minuten gut, doch aufgelöst ist dadurch nichts. Das Lied blendet aus und alle Probleme bleiben.
Es liegt tatsächlich etwas »in der Luft«, man wartet auf ein Trommeldonnerwetter, das endlich alles klärt. Was die Guten und Grünen in ihrer Jahrhundertblindheit nicht sehen: Je länger es hinausgezögert wird, umso lauter wird der Trommeldonner werden.
Mit Kampf auf Nebenschauplätzen wird heute etwas Dampf vom Kessel genommen – wie lange und oft kann es funktionieren? Mal kämpft man gegen die eigene Industrie, mal gegen Abweichler und Opposition. Da, wo es Wut und Trommeln geben sollte, wird geschwiegen, und dafür lärmen laute Trommelwirbel dort, wo es schön ablenkt. Die »Guten« hoffen, dass sie etwas laut trommeln und dann wieder alles ausblenden können – und dann? Was soll dann passieren?
Twitterer @textlastig wird wohl richtig liegen, wenn er prophezeit: »You won‘t like what comes after CDU and SPD.« – »Ihr werdet nicht mögen, was nach CDU und SPD kommt.« – Ich würde ergänzen: Die heutige CDU und SPD haben wenig mit der CDU und SPD von vor ein bis zwei Jahrzehnten zu tun, insofern ist das ja bereits eingetreten, doch ja, es könnte nochmal eintreten, egal welcher Markenname dann draufklebt.
Mit eigenen Augen
Der Liedvers mit dem Ertrinkenden, den der Sänger nicht retten will, geht so weiter:
Well I was there and I saw what you did, I saw it with my own two eyes
So you can wipe off that grin, I know where you’ve been
It’s all been a pack of lies.
(siehe genius.com)
Meine Übertragung: »Nun, ich war da, und ich habe gesehen, was du getan hast. Ich habe es mit meinen eigenen Augen gesehen, du kannst dir also dein Grinsen vom Gesicht wischen. Ich weiß, wo du warst. Es war alles ein Haufen Lügen.«
Langsam ausgeblendet
Das Lied »In the Air Tonight« verspricht in der langen Hinführung auf den berühmten Trommeldonner mehr, als es schließlich hält. Das Lied hat kein Ende, es wiederholt einfach den Refrain und wird langsam ausgeblendet.
Wir hören verräterisches Schweigen, wo eigentlich lautes, warnendes Donnern angebracht wäre – und leeren, sinnlosen Lärm, wo eigentlich nur abgelenkt wird.
Das Justizministerium hat angekündigt, die Meinungsäußerungen im Internet stärker einzuschränken und zu überwachen (tagesschau.de, 30.10.2019: »Netzwerkdurchsetzungsgesetz – Mit mehr Härte gegen Hetze im Netz (…) Strafen erhöhen, schnellerer Eingriff«). Plattformen sollen ihre User proaktiv beim Staat verpfeifen – ein Geist, der gut zum Wahlerfolg der SED-Erben in Thüringen passt. Staatsanwaltschaften und Gerichte sind schon jetzt überlastet, also kann eine Verfolgung nur selektiv erfolgen, und es graut einen, darüber nachzudenken, nach welchen Kriterien ausgewählt werden wird.
Fürchtet die Regierung, dass es (noch) lauter werden könnte? Was braut sich da zusammen? Hat man Angst, dass die Menschen – metaphorisch gesprochen – einmal quer übers Drumset trommeln.
Phil Collins singt: I can feel it coming in the air tonight. – ich fühle, dass da etwas in der Luft liegt. Er hat nie gesagt, was es denn war, das da »in the air« lag.
Dieser Beitrag erschien zuerst auf dushanwegner.com
Dushan Wegner (geb. 1974 in Tschechien, Mag. Philosophie 2008 in Köln) pendelt als Publizist zwischen Berlin, Bayern und den Kanaren. In seinem Buch „Relevante Strukturen“ erklärt Wegner, wie er ethische Vorhersagen trifft und warum Glück immer Ordnung braucht.