Stünden die politische Lage und die mediale Volkspädagogik in diesem unserem Lande nicht total kopf, so wäre es nachgerade amüsant zu analysieren, wie Mainstreampresse und arrivierte Parteien seit Herbst 2015 bzw. spätestens seit der Bundestagswahl vom 24. September 2017 einen Bogen um den „Elefanten im Raum“ machen. „Elefant im Raum“ – das ist die eingedeutschte Version des englischen Sprachbildes elephant in the room. Gemeint ist damit, dass es ein gigantisches, ins Auge springendes Problem gibt, das aber von niemandem als solches erkannt wird bzw. nicht angesprochen werden soll.
Die Rede ist von Angela Merkel:
- Wenn jemand die Mitte der Gesellschaft politisch atomisiert hat,
- wenn jemand das Land in Links-Parteien hier und AfD dort auseinanderdividiert hat …
- wenn jemand Freunde und Verwandte in grundsätzlichen politischen Fragen zu Feinden werden und aneinandergeraten ließ …
- wenn jemand sich von den Niederungen der Politik abgehoben fühlt, keine Wahlkampfauftritte mehr bestreitet und nur noch diesen oder jenen Preis, mit dem die Lobpreisenden eher sich als die Preisträgerin meinen adeln zu müssen, entgegennimmt …
- wenn das Kanzleramt zu einer Art Austrags-„Häusl“ für eine Entrückte geworden ist …
- wenn die – zu Recht oder zu Unrecht – Mächtigen der Welt und Europas mit der deutschen Kanzlerin nicht einmal mehr ein ordentliches Arbeitsverhältnis haben …
- wenn eine CDU inkl. CSU meint, Hunderttausende ihrer ehemaligen Wähler als „rächts“, als igittigitt identifizieren zu müssen …
dann ist dies ein Elefant im Raum, ein unübersehbarer weißer Elefant sogar.
- Bei der Bundestagswahl 2017 hat die CDU gegenüber 2013 satte 8,6 Prozent (von 41,5 auf 32,9) verloren. Das entspricht ziemlich genau 2,5 Millionen Wählern.
- Die „Schwester“ CSU hat im gleichen Zeitraum rund ein Zehntel ihrer Wähler, entsprechend rund 370.000 Wähler verloren.
- Ähnliches bei der „Europa“-(eigentlich EU-)Wahl vom Mai 2019: Hier im Land der „Königin Europas“ verloren CDU/CSU 6,4 Prozent (von 35,3 Prozent 2014 auf 28,9 Prozent 2019).
- Bei den jeweils beiden zurückliegenden Landtagswahlen haben CDU und CSU in 12 Bundesländern deutlich an Wählern verloren, nur in 4 Bundesländern dazugewonnen. Am krassesten war das Minus in Baden-Württemberg mit 12,0 Prozent (von 2011 auf 2016), in Thüringen mit 11,7 Prozent (von 2014 auf 2019), in Hessen mit 11,3 Prozent (von 2013 auf 2018) und in Bayern mit 10,5 Prozent (von 2013 auf 2018).
- Die Entwicklung der Zahl der Parteimitglieder ist zum Teil noch dramatischer: Die CDU stürzte von 750.000 Mitgliedern in den 1990er Jahren über 499.000 Mitglieder (2011) auf zuletzt 414.000 ab. Die CSU hatte in den 1990er und 2000er Jahren rund 180.000 Mitglieder, heute sind es 138.000.
Schlaue Parteienforscher machen solche Entwicklungen an Milieuveränderungen fest. Sie tun das ganz offensichtlich, um politisch korrekt einen Bogen um die Frage zu machen, ob die skizzierten Abstürze nicht auch mit Personen und eklatanten Fehlentscheidungen zu tun haben. Jedenfalls kann nicht verborgen bleiben, dass es seit 2005 eine Kanzlerin Merkel gibt und bis vor kurzem eine CDU-Vorsitzende Merkel gab. Es kann auch nicht verborgen bleiben, dass es einsame Merkel’sche Entscheidungen waren, die die gesellschaftliche Mitte gespalten haben: der Atomausstieg, die Grenzöffnung, die Euro-Rettung, der Merkel’sche Beitrag zum Brexit-Votum, die Preisgabe des klassischen Familienbildes, zusammen mit Seehofer und zu Guttenberg das Aussetzen der Wehrpflicht. Allgemein: die Sozialdemokratisierung und Ergrünung der CDU. Nein, Kanzlerin Merkel wird mehr und mehr „gepampert“, in Watte gepackt. Von ihrer Partei und von den Medien.
Merkels seit Ende 2018 amtierende Nachfolgerin als CDU-Parteivorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer (AKK) mag ihre Fehler gemacht und als Parteivorsitzende wie auch als Verteidigungsministerin nicht immer glücklich agiert haben. Aber diese spaltenden Fehlentscheidungen hat sie nicht zu verantworten. Deshalb greift die aktuelle Debatte um AKK als CDU-Vorsitzende bzw. als mögliche Kanzlerkandidatin zu kurz. Das Problem sitzt im Kanzleramt.
Heute gilt in besonderem Maße eine Aufforderung, die eine CDU-Generalsekretärin Angela Merkel zur Abnabelung der CDU von Helmut Kohl am 22. Dezember 1999 unter dem Titel „Die von Helmut Kohl eingeräumten Vorgänge haben der Partei Schaden zugefügt“ in einem FAZ-Namensbeitrag formulierte: „Die Partei muss laufen lernen.“ Und zwar nicht nach links, sondern zurück in die Mitte!
Im Interesse der bürgerlichen Mitte kann man nur hoffen, dass die Kramp-Karrenbauers, Friedrich Merz‘, Roland Kochs, Carsten Linnemanns, Wolfgang Bosbachs die CDU wieder zum Laufen bringen und sagen: „Genug ist genug!“
Eines jedenfalls darf nicht passieren: eine wie auch immer geartete Annäherung der CDU an die Epigonen der zur „Links“-Partei gewandelten vormaligen Mauerbauerpartei SED. Oder auch nur deren Tolerierung. Damit würde die CDU bei den Wahlen im Mini-Wahljahr 2020 (Wahlen in Hamburg, Kommunalwahlen in NRW) und im Super-Wahljahr 2021 (Bund, Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern, Berlin) der SPD und deren Lust am Untergang folgen. Die CDU-Mitgliederzahl dürfte sich dann auch rasch weit unter 400.000 wiederfinden.