Wenn Spitzenpolitiker davon sprechen, dass es um „das Land“ gehe und „nicht um die Partei“, dann weiß man als erfahrener Politikerphrasen-Hörer, dass da jemand eine Abkehr von früheren Versprechen einleitet. Bei Thüringens CDU-Chef Mike Mohring hörte sich dies im Morgenmagazin der ARD so an: „Wir sind für eine starke Mitte eingetreten. Und dass in der Mitte Thüringens keine Mehrheit mehr da ist, das ist neu im politischen System der Bundesrepublik Deutschland. Das heißt nicht, dass wir uns in die Ecke stellen können, sondern wir müssen Verantwortung übernehmen, damit das Land auch weiter vorankommen kann.“ Und dann noch: „Mir sind stabile Verhältnisse wichtiger für das Land, als dass es nur um parteipolitische Interessen geht.“ Im Klartext heißt das frei nach Adenauer: Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern.
Das ist natürlich nichts anderes als ein verklausuliertes Angebot zur Zusammenarbeit mit Bodo Ramelow und der Linken. Aber der kann ohnehin gelassen bleiben. Dank der Quarantäne, in der die AfD gehalten wird und dank der thüringischen Verfassung.
Es sei „völlig offen“, sorgte sich die ZDF-Frontfrau Bettina Schausten, als die ersten Thüringer Hochrechnungen auf dem Schirm erschienen, wie es in dem Bundesland weitergehe. „Thüringen stehen komplizierteste Regierungsverhandlungen bevor“, meinte auch der Grünen-Vorsitzende Robert Habeck gut vierzig Minuten nach Schließung der Wahllokale: „Eine total dramatische Situation eigentlich.“
Die Minister behalten dann ebenfalls ihre Posten. Gegen Ramelow bringt der CDU-Spitzenkandidat Mike Mohring, mit 21,8 Prozent Verlierer des Abends, keine Mehrheit zustande. Da die Regierung Ramelows schon auf Vorrat einen Haushalt für das kommende Jahr verabschiedet hatte – nach Meinung von Staatsrechtlern an der Verfassung vorbei, aber erst einmal gültig – könnte seine Minderheitsregierung auch im politischen Geschäft unverändert weiter fortfahren.
In welche Richtung er denkt, machte der strategisch geschickte Ramelow noch am Wahlabend deutlich: er wolle jetzt „auch mit der CDU“ über Volksabstimmungen reden. Flankiert mit Plebisziten bekäme auch eine Minderheitsregierung einen legitimen Anstrich. Wehren kann sich die CDU dagegen schlecht – zumal CDU-Ministerpräsident Michael Kretschmer im Nachbarland Sachsen ein ganz ähnliches plebiszitäres Instrument einführen will.
Damit würde Thüringen weiter links regiert, obwohl es im Land keine linke Mehrheit gibt. Eine Koalitionsvariante blendete das ZDF-Wahlstudio interessanterweise nicht ein, obwohl es sonst alle Möglichkeiten durchspielte, sogar die von Linkspartei und CDU und, von Bettina Schausten immer wieder in Interviews ins Spiel gebracht, Linken, Grünen, SPD und FDP. Die fehlende Variante: AfD, CDU und FDP käme ebenfalls auf eine Mehrheit. Allerdings schließen nicht nur Mohrings CDU sondern auch die Freidemokraten eine Koalition mit der AfD aus. Es kommt dazu: in keinem anderen Land fällt die politische Distanz zwischen dem AfD-Spitzenmann – also Björn Höcke – und den Politikern der Mitte-Parteien so gravierend aus. Eine Umfragezahl des ZDF zeigt, dass sich die Parteienlandschaft unter anderen Bedingungen auch noch stärker hätte verschieben können. Immerhin 33 Prozent der befragten Thüringer unterstützen demnach die Aussage: „Die AfD ist die einzige Partei, die bestimmte Probleme beim Namen nennt“. Also deutlich mehr als diejenigen, die dann am Ende Höckes Partei tatsächlich ankreuzten.
Vor der Wahl hatte Friedrich Merz in einer dramatischen Rede im thüringischen Nordhausen von dringend „nötigen Korrekturen“ des Parteikurses gesprochen, und das Offensichtliche festgestellt: Wenn in der Koalition in Berlin alles richtig gelaufen wäre, „dann wäre die AfD heute nicht so stark“. Der derzeit amtslose CDU-Politiker rief Sätze in den Saal, die sich durchaus als Bewerbungsrede für den Posten des Kanzlerkandidaten interpretieren lassen: „Ich bin fest entschlossen, meinen Beitrag zu leisten, dass die CDU wieder eine klare Position einnimmt zu den Fragen, wo sie früher auch klar gewesen ist“. Die Welt habe sich verändert – aber, so Merz, „es kann trotzdem sein, dass Antworten von früher immer noch richtig sind“. Zum Beispiel in der Migrationsfrage. Er nannte zwar weder die Namen Merkel noch Kramp-Karrenbauer. Aber mittlerweile kann sich auch die Parteichefin mitgemeint fühlen.
Der Chef der parteiinterne CDU-Basisbewegung Werte-Union Alexander Mitsch fordert nach dem Ergebnis der Thüringen-Wahl im Gespräch mit TE einen schnellen Abgang Angela Merkels aus dem Kanzleramt. „Die erneuten dramatischen Verluste für die CDU“, so Mitsch, „liegen hauptsächlich in der Bundespolitik begründet. Auch die Tatsache, dass der Linksblock mit Linke, SPD und Grünen die Mehrheit verloren hat, zeigt, dass die Wähler immer lauter nach einer Politikwende insbesondere in der Einwanderungspolitik rufen. Die muss jetzt mit einem zeitnahen geordneten Wechsel im Kanzleramt begleitet werden.“
Eine Zusammenarbeit der CDU mit der Linkspartei, die manche Unionspolitiker wie der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Daniel Günther schon früher ins Spiel gebracht hatten, nennt Mitsch „politischen Harakiri und Verrat an der Geschichte“.
Schwierig wird es für die CDU, vor allem in Berlin. Aber auch das ist – eigentlich – nicht kompliziert.