Tichys Einblick
Ein Sieg, der keiner war

Ungarn: Weckruf für Orbán

Viktor Orbáns Fidesz-Partei hat die Kommunalwahlen in Ungarn zwar gewonnen – und trotzdem verloren. Wenn sich die Partei nicht dringend ändert, wird sie die nächsten nationalen Wahlen in jeder Hinsicht verlieren.

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Am 13. Oktober fanden in Ungarn Kommunalwahlen statt. Sie erregten außerhalb des Landes keine besondere Aufmerksamkeit, denn es schien alles beim Alten zu sein: Die konservative Fidesz-Partei des Viktor Orbán gewann fast überall, auch wenn diesmal nicht mit der großen Mehrheit wie bei den nationalen Wahlen oder bei der EU-Wahl.

Doch der Schein trügt. Zwar hat in 18 von 19 Komitatsverwaltungen (Komitate sind Regierungsbezirke) Fidesz weiterhin überall die Mehrheit. Die Partei hat jedoch in den regionalen Zentren, in den mittelgroßen Städten in erheblichem Maße Stimmen verloren. Die Kandidaten, denen es gelungen war, die Fidesz-Kandidaten zu schlagen, waren meistens Vertreter starker lokaler Initiativen, von Bürgerbewegungen für verschiedene lokale und regionale Zielsetzungen.

In einigen Städten war auch die nationale Opposition erfolgreich. Hier handelt es sich nicht um eine bestimmte Partei, sondern um den Zusammenschluss von bis zu vier oder fünf verschiedenen – in der Regel linken – Parteien, die durch ein gemeinsames universalistisches, meist grünes Weltbild bündnisfähig sind. Zu dem Bündnis gehörten fast überall die bedeutungslos gewordenen postkommunistischen Sozialisten des MSZP, die von ihnen abgespaltene Ein-Personen-Partei des Exministerpräsidenten Ferenc Gyurcsány, die sog. „Demokratische Koalition“, und eine schwer durchschaubare Aktionspartei „Momentum“ mit grünen Ambitionen. Was sie über das allgemeine Weltbild hinaus eint, ist die Parteinahme für die EU gegenüber der nationalen Regierung Ungarns und die Unterstützung von Klima- und Genderideologien.

Sie trennen zwar innerhalb dieser Ideologien verschiedene, manchmal schwer nachvollziehbare Differenzen, doch es eint sie der Hass auf Fidesz und Orbán persönlich, der so übermächtig ist, dass sie um des Wahlsieges willen tatsächlich vielerorts bereit waren, sich sogar mit der nationalsozialistischen, rassistischen und antisemitischen Partei „Jobbik“ zusammenzutun. Wer bis dahin eines Beweises bedurft hatte, dass Links- und Rechtsextremisten bestens zusammenpassen, der hat ihn hier bekommen. Allerdings ist Jobbik dermaßen offen rassistisch und antisemitisch, dass man sich fragen muss, wie groß der Hass auf den politischen Gegner oder der Wille zur Macht sein muss, damit Personen, die sich als Demokraten bezeichnen, mit einer Partei wie dieser ein Bündnis eingehen.

Der Verlust der Hauptstadt Budapest an die linke Opposition kann ein Wendepunkt sein

Das echte Desaster für Fidesz und Orbán ist allerdings der Verlust der Hauptstadt Budapest. Der bisherige Oberbürgermeister István Tarlós, ein Unabhängiger, aber Fidesz-naher Politiker, regierte die Stadt seit 2010. Er verlor gegen Gergely Karácsony, der mehr als 50 Prozent der abgegebenen Stimmen erhielt (bei einer Wahlbeteiligung von 50 Prozent). Karácsony ist eine schillernde Figur, ehemaliger Berater des MSZP-Exministerpräsidenten Gyurcsány aus der Zeit, als beide noch Mitglieder bei den Sozialisten waren, dann Miglied bei der grünen LMP, dann bei der ebenfalls grünen Abspaltung „Dialog für Ungarn“, die jedoch jetzt wieder den Sozialisten nahe steht. Karácsony wurde in einer umstrittenen Urwahl der fünf Bündnisparteien zum Spitzenkandidaten gewählt, diesmal ohne Nationalsozialisten.

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Der Verlust von Budapest wiegt für kommende nationale Wahlen schwer. Die Hauptstadt spielt von jeher und in jeder Hinsicht eine besondere Rolle in Ungarn. Mit ihren 1,7 Millionen Einwohnern (ohne die Agglomerationen um die Stadt herum) stellt sie fast 20 Prozent der gesamten Einwohnerschaft Ungarns. Sie ist kulturelles, intellektuelles und politisches Zentrum des Landes. In der Hauptstadt haben sich die erbitterten Auseinandersetzungen zwischen den Agenten der EU, den von Soros finanzierten NGO und der Regierung abgespielt, hier konzentrieren sich – trotz der bis zuletzt vorhandenen Dominanz von Fidesz – all jene Organisationen und Personengruppen, denen Brüssel näher ist als der XIII. Bezirk. Orbán und Fidesz war es in den vergangenen Wahlen seit 2010 gelungen, nach den bedrückenden Jahren der sozialistischen Vorherrschaft die traditionell national orientierten, konservativen und wohlhabenderen Einwohner der Hauptstadt für sich zu gewinnen. Sie gewannen sie mit dem Versprechen auf mehr Freiheit, mehr Ordnung, mehr Tradition, die Tarlós und Fidesz eine Zeit lang auch lieferten.

Karácsony hat schon in seiner ersten Erklärung klargemacht, dass er vorhabe, Budapest zu einem starken Brückenkopf der EU und all jener Ideologien auszubauen, gegen die sich Fidesz bis jetzt mehr oder minder erfolgreich zur Wehr gesetzt hatte. Schon will er den Klimanotstand ausrufen, Budapest „grün“ machen, und natürlich viel Geld von der Zentralregierung fordern, um Sozialgeschenke zu verteilen. Geplante öffentliche Gebäude sollen trotz existierender Baugenehmigungen nicht gebaut, stattdessen sollen Sozialwohnungen errichtet werden. Er wolle „den Einwohnern die Entscheidungsgewalt über sich“ zurückgeben, sagt er, was das jedoch darüber hinaus bedeuten soll, dass nun er und seine Bündnispartner die Machtstellungen in den Verwaltungen einnehmen, sagt er nicht. Gegen Fidesz sinnt er auf Rache, schon hat er angekündigt, die von führenden Fidesz-Mitgliedern erworbenen Immobilien mit einer Extrasteuer belegen zu wollen. Gesetzlichkeit scheint dem neuen OB keine Herzenssache zu sein.

Karácsonys Programm ist allgemeines Neid- und Fortschrittsgeschwätz, er selbst hat die Anziehungskraft eines unterbezahlten Grundschullehrers. Warum also hat Fidesz gegen eine so bedeutungslose Person mit einem wolkigen, offenkundig unrealistischen Programm verloren? Es gibt ganz gewiss inzwischen einen allgemeinen Verdruss am Führungspersonal der Partei. Die Wirtschaft läuft gut, die Menschen sind sichtbar wohlhabender geworden, und sie sind die alten Parolen und die immer gleichen Gesichter leid. Selbst in den Bezirken, in denen die Dinge gut laufen, haben die Fidesz-Kandidaten verloren. Fidesz hat sich – aus Überheblichkeit? Selbstüberschätzung? Verachtung der Opposition? – nicht einmal die Mühe gemacht, die eigenen Anhänger zu mobilisieren.

Orbáns Fidesz-Partei ist träge, arrogant und selbstherrlich geworden

Nicht nur die Wähler, auch Fidesz und seine Funktionsträger haben sich daran gewöhnt, immer gewählt zu werden. Sie sind träge, selbstherrlich und arrogant geworden. Nicht nur in Budapest, sondern auch auf dem Lande, dort aber halten die örtlichen Potentate noch Fidesz die Stange. Während früher die Entscheidung für Fidesz mehr Vernunft und Freiheit bedeutete, wird dieses Versprechen inzwischen nicht mehr eingelöst. Überall in den Verwaltungen haben sich die eigenen Leute eingenistet und suchen ihren eigenen Vorteil und den ihrer Parteifreunde und Familien. Bei vielen Einwohnern der Stadt herrscht das Gefühl, ungerecht behandelt zu werden, das freilich von den linken Medien und Parteien ununterbrochen angeheizt wird, mit der Behauptung, nur wer korrupt und ein Freund von Fidesz sei, könne in Ungarn zu Vermögen gelangt sein. Der Neid auf die Erfolgreichen, egal auf welche Weise der Erfolg zustande gekommen ist, zerfrisst die Gesellschaft. Zu allem Überfluss wurde eine Woche vor den Wahlen ein Video veröffentlicht, der den Fidesz-Spitzenkandidaten in Györ auf einer Urlaubsreise mit mehreren Prostituierten in flagranti zeigt. Die Parallelen zur Strache-Affäre sind gewiss kein Zufall. Die Wähler in Györ hielten ihm trotzdem die Treue, aber in Budapest wurde das Video zum großen Thema und zum Symbol der Verdorbenheit von Fidesz-Vertretern.

Fidesz muss sich dringend ändern

Auch im Großen laufen die Dinge für Fidesz und Orbán nicht gut. In gewisser Weise leiden die Partei und das Land immer noch unter den Spätfolgen des Kommunismus, beziehungsweise an den Folgen der Beseitigung des kommunistischen Erbes an Staatseigentum. Welcher Weg auch immer bei der Privatisierung gewählt wurde, in jedem Land führte sie zu Fehlentwicklungen, die infolge der Privatisierung eingetreten sind. Orbán wollte statt der Vorherrschaft ausländischer Konzerne die nationale Wirtschaft stärken. Also kaufte der Staat Versorger und einige Banken von den (meist deutschen und österreichischen) Monopolisten zurück, Ausschreibungen wurden so lange zurechtgebogen, bis ungarische Unternehmen zu den Gewinnern gehörten. Nur allzu häufig waren die Besitzer oder die Führungskräfte Unterstützer von Fidesz oder gehörten zu Freunden und Familien von mehr oder weniger bekannten Vertretern der Partei. Sinngemäß erklärte Orbán einmal dazu, dass die Sozialisten (die vorher ganz ähnlich verfuhren) niemals wieder das wirtschaftliche Netzwerk besitzen sollten, um Fidesz zu besiegen.

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Lange war Orbán trotzdem populär, weil er die Migration von Ungarn ferngehalten und dem Irrsinn der Universalisten Einhalt geboten hatte. Doch gerade der anhaltende Erfolg wendet sich nun gegen ihn. Allmählich glauben die Wähler, die Migrationsgefahr sei vorbei, Ungarn sei in Sicherheit, und nun könne man doch endlich mit der Propaganda aufhören. Wie fragil der vorläufige Frieden an Ungarns Grenzen ist, ist ihnen nicht bewusst, und sie fangen an, Orbán die Warnungen übelzunehmen. Die Arroganz der Macht, der wuchernde Staatsapparat tragen ebenso zur schlechten Stimmung bei, die die Regierung nun gerade anfängt – wie ihre Vorgänger – durch Sozialgeschenke abzumildern.

Die jetzt fast verlorene Wahl müsste ein Weckruf für Orbán und Fidesz sein. Es müsste sich grundsätzlich etwas am Verhalten dieser Partei ändern, und das sehr schnell. Sonst wird Budapest das Muster dafür sein, wie Fidesz die nächste nationale Wahl verliert, mit absehbaren üblen Folgen sowohl für das Visegrád-Bündnis als auch für die Machtverhältnisse in der EU.

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