Wer einen berauschenden Sieg eines neues Heilsbringers, einen neuen Martin-Schulz-Moment (die berühmten 100 Prozent für den Kanzlerkandidaten von der traurigen Gestalt) erhofft hatte, wurde enttäuscht. Aber mal ehrlich: Wer konnte darauf schon hoffen, angesichts dieser sechs Kandidatenpaare?
Die Stichwahl wird nun also zwischen Bundesfinanzminister Olaf Scholz und dem früheren nordrhein-westfälischen Finanzminister Norbert Walter-Borjans stattfinden. Naja, offiziell geht es natürlich auch um ihre Tandem-Partnerinnen, Klara Geywitz und Saskia Esken. Nein, sogar als Politikinteressierter muss man sich nicht schämen, wenn man diese Namen kaum zuordnen kann (zumal sich beide auch noch erstaunlich ähnlich sehen). Sie erfüllen wohl für die SPD-Machtprofis Scholz und Walter-Borjans einen ähnlichen Zweck wie im alten Rom der Reitergeneral Lepidus für Oktavian und Marc Anton als dritter Triumvir, oder Cambacérès und Lebrun als zweiter und dritter Konsul neben Napoleon Bonaparte. Deren Namen muss man auch immer nachschlagen.
Also, bei der Stichwahl zwischen Scholz und Walter-Borjans wird es, wenn man denn partout will, was beide bei der Befragung durch den Phoenix-Reporter unmittelbar nach Bekanntgabe des Ergebnisses in vertraut langweiliger Manier vermieden, nämlich über programmatische Inhalte sprechen, wohl letztlich um diese Frage gehen: Mit dem Bundesfinanzminister die Große Koalition so lange wie möglich fortführen oder mit dem amtslosen Walter-Borjans (in die NRW-Geschichte schon jetzt eingegangen durch vier verfassungswidrige Landeshaushalte hintereinander) möglicherweise den Bruch derselben herbeiführen. Wobei man sich fragt, womit die SPD dies selbst bei äußerstem Streitwillen einigermaßen glaubwürdig hinbekäme. Schließlich erfüllt ihr die Kanzlerin ohnehin jeden sachpolitischen Wunsch, wenn es drauf ankommt.
Die viel wichtigere und interessante Erkenntnis dieses binnensozialdemokratischen Wahlabends ist aber: Nur rund 53 Prozent der SPD-Mitglieder haben an dieser Wahl überhaupt teilgenommen. Die Moderatorin der Veranstaltung, die Interimscovorsitzende Malu Dreyer, sprach unverdrossen tatsächlich davon, dass „sich ganz ganz viele beteiligt haben“. Nun ja, man hat da offenbar mittlerweile Übung drin, die Wirklichkeit einfach weg zu reden.
Nein, da gibt es eigentlich nichts zu deuteln: Wenn selbst fast der Hälfte der Sozis offenbar völlig wurst ist, unter welcher Führung ihre SPD die Endphase ihrer Existenz verbringt, wieso sollte das dann noch irgendjemanden außerhalb der Partei interessieren? Vermutlich hat der Journalist Holger Fuß mit seinem aktuellen und sehr lesenswerten Buch recht. Es trägt den treffenden Titel: „Vielleicht will die SPD gar nicht, dass es sie gibt“.