Die Schlagzeilen kehren seit Jahren immer wieder: Die Belastung von Deutschlands Grundwasser mit Nitrat, also bestimmten Stickstoffverbindugen, sei zu hoch. Das Umweltbundesamt etwa meldet: „An Messstellen, in deren Einzugsgebiet viele landwirtschaftliche Nutzungen vorkommen (Ackerflächen, Grünland und Sonderkulturen wie z.B. Gemüseanbau), überschreiten ca. 28 Prozent der Messstellen den Schwellenwert.“ Auch die EU-Kommission mahnt und verklagt die Bundesrepublik, dass sie die Grenzwerte für Nitrat überschreitet. Das kann teuer werden: 860.000 Euro Strafzahlungen könnten fällig werden – pro Tag. Deshalb hat die Bundesregierung ein neues Agrarpaket angekündigt, das unter anderem eine Einschränkung der Düngung – der Ursache von Nitratbelastung – vorsieht. Damit sollen sogar die für die Pflanzenernährung notwendigen Mengen unterschritten werden. Das würde erhebliche Ernteeinbußen bedeuten.
Viele Landwirte sind deswegen wütend auf Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU). Landwirt Christian Lohmeyer, Mitglied des geschäftsführenden Vorstandes des Landvolks Mittelweser, zürnt in einem Video: „Und liebe Frau Klöckner: Wenn Sie bei diesem elenden Auftritt in Thüringen wirklich gesagt haben, dass die drohenden Strafzahlungen aus dem landwirtschaftlichen Etat zu zahlen sind, und zwar ausschließlich, nicht anteilig, sagen Sie, nichts anderes, als dass die Landwirte einzig und allein verantwortlich sind für die Gewässerverunreinigungen.“
Lohmeyer droht: „Das lassen wir Ihnen nicht durchgehen. Das sind erhebliche Mengen, die öffentlich seit Jahren in diesen Jahresberichten erfasst werden!“ Das Zustandekommen der „Jahresberichte“, die die Bundesregierung nach Brüssel schickt und auf denen die drohende Verurteilung Deutschlands beruht, ist tatsächlich fragwürdig.
Die Bundesländer messen zwar an Tausenden von Messstellen die Gewässergüte. Davon wählen die Länder aber nur 800 aus, deren Werte an die Umweltbehörden weitergegeben werden. Davon wählt Berlin wieder nur einen Teil mit den höchsten Werten aus und meldet diese als deutsches Messergebnisse nach Brüssel. So etwa im Nitratbericht 2012, als Deutschland nur die Ergebnisse von 186 Messstellen nach Brüssel meldet. Indessen werden allein in Baden-Württemberg an rund 5.000 registrierten Messstellen die Werte erhoben. Italien meldet zum Vergleich 5.296 und Belgien 2.974.
Hebel für die Einschränkung der Landwirte
Die Qualität des Grundwassers in Deutschland gehöre „zu den schlechtesten in der EU“, sagte er und drohte mit einer weiteren Vertragsverletzungsklage, sollte die Düngeverordnung nicht auf dem schnellsten Weg überarbeitet werden. So verkündete der Staatssekretär im Umweltministerium, Jochen Flasbarth: „Die Kommission war offensichtlich der Auffassung, dass wir nicht schnell genug sind.“ Und es klang schon fast ein wenig jubelnd, liefert Brüssel doch damit den willkommenen Hebel für weitere Einschränkungen der Landwirte über neue Düngemittelverordnungen.
Doch die Geschichte des Güllelandwirtes als Brunnenvergifters klingt überzeugend und wird seit Jahren erzählt. Dazu muss nur noch das Stichwort „Massentierhaltung“ fallen – mit der Assoziation von Tieren, die so viel Mist ausscheiden, dass niemand mehr weiss, wohin damit.
Doch die Messungen, die all dem zugrundeliegen, sind mehr als zweifelhaft. Der Agrarstatistiker Georg Keckl fragt sogar deutlich: „Gibt es einen systematischen Betrug bei der Berechnung der Nitratwerte der Grundwassermessstellen?“
Denn seit Jahren bestehen schon strenge Düngevorschriften; Landwirte müssen die Gülleentsorgung ihrer Höfe aufwendig in umfangreichen Dokumentationen nachweisen. Kaum etwas ist so gründlich statistisch erfasst wie der Darminhalt von Schwein und Kuh in Deutschland. Heerscharen von Beamten sind damit befasst, dies exakt zu prüfen. Über eine Güllebörse werden die Güllemengen ordentlich dorthin entsorgt, wo es die Nitratmengen erlauben.
Georg Keckl beschäftigt sich schon lange mit den Nitratmessungen, ihm fielen massive Ungereimtheiten auf. Allein in der Amtszeit des vorigen niedersächsischen Landwirtschaftsministers Meyer (Bündnis90/die Grünen) stiegen merkwürdigerweise die gemessenen Nitratwerte in den Gewässern auf doppelt so hohe Werte wie zuvor an. „Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass Eiferer mit Bedacht für Niedersachsen ›rote Brunnen‹ gesucht haben, um möglichst da, wo sie es wollten, passende ›rote Gebiete‹ auszuweisen und das als Zufallsauswahl, die sich halt nun mal so aus einer Blindauswahl ergeben hat, auszugeben“, sagt Keckl. „Mit der Methode und flachen Brunnen können sie ganz Bayern rot machen. Was sich Eiferer da erlaubt haben, hätten sie in Bayern nicht gewagt. In Niedersachsen wurden so viele hoch belastete Brunnen für den deutschen Nitratbericht 2016 eingebracht, dass hauptsächlich deswegen der Anteil der Nitratbrunnen im neuen EUA-Messnetz gegenüber dem alten von 14,3 Prozent auf 18,3 Prozent stieg, eine Steigerung von 30 Prozent, nur wegen ›optimierter Repräsentativität‹, was statistisch unsinnig ist und auf Manipulation bei der Messstellenauswahl hindeutet.«
Erstaunlicherweise scheint die vorgebliche Nitratbelastung nämlich an innerdeutschen Landesgrenzen Halt zu machen. Keckl: „Im EUA-Messnetz, dessen ›landwirtschaftlicher Teil‹ (697 Messstellen von 1.207) seit dem Nitratbericht 2016 für die deutsche EU-Nitratberichterstattung genutzt wird, fällt der Unterschied zwischen NRW und Niedersachsen auf: 13,9 Prozent der 3.709 Messtellen zur Grundwasserüberwachung in NRW haben mehr als 50mg/l Nitrat und 11,5 Prozent im NRW-gesamtflächenrepräsentativen EUA-Messnetz. Das ist eine hohe Übereinstimmung von deutschem EUA-Nitratbeobachtungsnetz und dem sehr großen NRW-Landes-Beobachtungsnetz. 15 Prozent der 1.112 Messstellen im niedersächsischen Grundwassergüteüberwachungsmessnetz haben mehr als 50mg/l Nitrat, aber 30 Prozent in Niedersachsens gesamtflächenrepräsentativem EUA-Messnetz.“
Keckl spricht von: „Messstellenauswahl nach Kalkül statt Zufall.“ Weiterhin erstaunlich: Im Weser-Ems-Land ist das Grundwasser häufig einwandfrei, obwohl dieser Landstrich ein Schwerpunkt der Massentierhaltung ist. Eine Folge der über Güllebörsen kontrollierten Entsorgung und der bereits vorhandenen strengen Düngevorschriften. Das Problem darf als gelöst betrachtet werden.
Noch eine weitere erhebliche Ungereimtheit taucht auf. Landwirt Christoph Lohmeyer besorgte sich von den zuständigen Landesbehörden die Nitratwerte, die von den Kläranlagen in die Gewässer eingeleitet werden. Denn – das ist bekannt – Kläranlagen können bei weitem nicht alle Schmutzfrachten ausfiltern, die im Abwasser mitschwimmen. Im Ablauf der Kläranlagen finden sich deshalb erhebliche Mengen an ungeklärten Reststoffen, die Richtung Nordsee entwässert werden. Besonders schlimm wird es bei stärkerem Regen. Dann schaffen die Anlagen die Mengen nicht mehr, sie werden schlicht abgeriegelt und die Abwässer ungeklärt um die Anlagen geleitet.
Das Ergebnis seiner Analyse ist desillusionierend: In Niedersachsen werden 3,1 Millionen Kilogramm Stickstoffe in die Gewässer eingeleitet – von den Kläranlagen.
Mit dieser Menge an Stickstoff allein aus niedersächsischen Kläranlagen könnten Landwirte 120.000 Hektar Ackerfläche düngen bei einer normalen durchschnittlichen Verteilung von 160 kh/ha.
In Bayern ergibt sich ein ähnliches Bild: Aus bayerischen Kläranlagen werden rund 20 Millionen Kilogramm Stickstoff in Rhein und Donau eingeleitet. Genug Stickstoff, um 170.000 Hektar zu düngen.
Man kann das wohl als ein schmutziges Spiel ums Abwasser bezeichnen: Ausgesuchte Messungen werden nach Brüssel geschickt, die erheblichen kommunalen Abwässer aber nicht berücksichtigt. Kein Wunder, dafür ist die Umweltministerin zuständig, und die schreit am lautesten nach Sanktionen gegen die Landwirtschaft.
Bedeutsam sind die Vorgänge deswegen, weil die angeblich so schlechten Nitratwerte in Wassermessstellen der Hebel sind, um die Landwirtschaft mit neuen Vorschriften und Verordnungen zu malträtieren und letztlich zu zerstören. Folge: Immer mehr kleine und mittlere Landwirtschaftsbetriebe geben auf.
Am 22. Oktober planen die Landwirte weitere landesweite Proteste unter anderem in Bonn. Da dürften auch der Vorschriftenoverkill wie die Düngeverordnung eine gewichtige Rolle spielen.
Es ist dasselbe Spiel wie bei Diesel- und Benzinmotoren: Mit Tricks werden Luft- und Wasserqualitäten als schlecht und lebensgefährlich dargestellt wie noch nie zuvor. In Wirklichkeit sind Luft und Wasser mit hohem Aufwand im Vergleich zu den sechziger und siebziger Jahren sauber geworden. Lediglich die Grenzwerte wurden nach unten in irreale Bereiche abgesenkt.
Wie zu Zeiten der sozialistischen Planwirtschaft werden heute immer schärfere Grenzwerte als Öko-Planziele festgelegt, egal ob die technologisch erreichbar, wirtschaftlich oder ökologisch sinnvoll sind. Die Taktik wird getarnt als Gesundheitsschutz vor nach dem Vorsorgeprinzip nicht ausschließbaren Beeinträchtigungen. Schon die mit moralischer Empörung aufgestellten Forderungen rücken die Forderer auf die Seite der Guten, böse Nebenwirkungen werden negiert.“
Dass Landwirt Christian Lohmeyer der Kragen platzt, ist angesichts dessen nicht mehr verwunderlich: „Ich lasse meine Familie und meinen Betrieb hier nicht an die Wand fahren, weil einige Leute meinen, uns für Sachen verantwortlich zu machen, die wir nicht verursacht haben.“